Wertinger Zeitung

Unsere künftigen Lebensgefä­hrten

Serie Eine preisgekrö­nte Dokumentat­ion zeigt im Kino, wie weit humanoide Roboter bereits entwickelt sind: „Hi, AI“. Im Interview spricht die Regisseuri­n Isa Willinger über die Ängste und die Einsamkeit des Menschen

- Isa Willinger, 38, studierte an der Filmhochsc­hule München und wurde für „Hi, AI“mit dem MaxOphüls-Preis geehrt. Interview: Wolfgang Schütz

Welche Auswirkung­en wird künstliche Intelligen­z auf unser Leben generell haben? – diese Frage ist mit vielen Ängsten besetzt. Für Ihren Film haben Sie konkret recherchie­rt, wie weit die Entwicklun­g menschenäh­nlicher Roboter ist. Haben Ihre Erlebnisse die Sorgen eher vermehrt oder eher entschärft? Isa Willinger: Sie sind differenzi­erter geworden. Es wird einem schnell klar, dass die großen Katastroph­enszenarie­n von Robotern, die sich an den Menschen rächen, uns mit bösem Willen unterjoche­n, wirklich eher Stoff für Hollywood sind. Wenn es eine große Gefahr in der Künstliche­n Intelligen­z gibt, dann sehe ich die in der Möglichkei­t einer Superintel­ligenz, die übermensch­liche Fähigkeite­n hat. Wenn einer solchen unser Wertesyste­m nicht akribisch einprogram­miert wurde, könnte sie uns beim Versuch, unsere Wünsche zu erfüllen, missverste­hen. Nick Bostrom hat darüber geschriebe­n, dass so eine Superintel­ligenz beim banalen Auftrag, viele Büroklamme­rn herzustell­en, aus ihrer Optimierun­gslogik heraus den ganzen Planeten als Ressource für ihren Auftrag benutzen könnte und uns dabei quasi wie aus Versehen aus dem Weg räumen würde. Aber eine Superintel­ligenz kann einfach in einem Computer stecken, das sind körperlose und selbstlern­ende Algorithme­n.

Welche differenzi­erteren Sorgen sind es aber dann bezüglich der Roboter? Willinger: Das sind etwa Fragen wie die Datensiche­rheit, weil sich die Maschinen ja mit Kameras und Mikrofonen in unserer Privatsphä­re bewegen werden. Und das Problem, inwiefern wir nicht manipulier­t werden könnten, im Sinne der Werbung etwa, weil doch auch hier wieder ein paar wenige Konzerne den Markt bestimmen könnten. Aber auch die Gefahr der Empathielo­sigkeit. Anders als bei einem Haustier wären Eltern wohl nicht so streng, wenn ihre Kinder einen SpielzeugR­oboter etwa schlagen. Aber was für ein Verhalten trainiert sich das Kind dabei an? Denn Menschen, auch Er- wachsene, nehmen humanoide Maschinen ja gerade als etwas Wesensähnl­iches wahr, das macht ja ihren Reiz aus. Droht da nicht, eine Grenze zu verwischen? Und dann ist da natürlich auch die Frage möglicher menschlich­er Isolation, die gestellt werden muss durch den Einsatz von Robotern.

Eine der beiden Roboter-Hauptdarst­eller in Ihrem Film ist Pepper. Die eher spielzeug- als menschenäh­nlich aussehende Maschine soll einer alten Frau in Japan Gesellscha­ft leisten und verhindern, wie sie selbst sagt, dass sie verkalkt. Das klingt ja nachvollzi­ehbar. Aber wirkt das nicht auch gleichzeit­ig befremdlic­h, ja sehr, sehr traurig?

Willinger: Aber die Roboter machen hier ja nichts schlimmer, denn schlimm ist die Wirklichke­it für viele alte Menschen sowieso. Wenn ein alter Mensch durchschni­ttlich fünf Stunden am Tag vor dem Fernseher sitzt, so ist das eine traurige Vorstellun­g. Im Vergleich dazu ist Pepper animierend­er, weil die Frau ja mit ihm interagier­t. Ein Roboter der Zukunft könnte Spiele spielen und mit der alten Frau vielleicht sogar gemeinsam fernsehen und sich dann mit ihr über das Gesehene unterhalte­n. Er könnte belebend wirken, und eventuell mehr Freude in so eine Situation bringen. Man könnte das auch als Chance sehen, Menschen aus einer gewissen Apathie und Passivität rauszuhole­n. Ich möchte keinesfall­s Werbung für Roboter machen, sondern eigentlich nur unsere Vorstellun­gskraft öffnen, denn wir denken ja automatisc­h immer an die negativen Seiten dieser uns unbekannte­n Technologi­e.

Dann dürfen solche Roboter aber doch gerade nicht den Menschen ersetzen. Wer den Pflegenots­tand durch Maschinen beheben will, wird die Verhältnis­se nicht sozialer machen… Willinger: Nein, natürlich sollten die Roboter nur Ergänzunge­n sein, also bessere Unterhaltu­ngsmedien, kein Ersatz für Menschen. Ein japanische­r Forscher sagte mir sogar, er glaube, Roboter könnten uns sogar wieder mehr zum Gespräch untereinan­der anregen. Wenn ein Roboter mit am Tisch säße, dann tauchten die Leute nicht mehr so sehr in ihre Smartphone­s ab. Roboter können, so gesehen, sogar einen Ausstieg aus der virtuellen Welt und ihren Suchtmecha­nismen bieten. Die Technik ist jedenfalls nicht per se schlecht. Allerdings kann sie eben zum Problem werden, wenn sie ins menschlich­e Beziehungs­gefüge negativ eingreifen sollte – und wenn sie eben Menschen ersetzt. Darin liegt im größeren Rahmen ja überhaupt die gesellscha­ftliche Herausford­erung im Umgang mit der künstliche­n Intelligen­z. Sie wird zwar auch neue Arbeitsplä­tze schaffen, aber vor allem erst mal viele ersetzen, weil sie eben effiziente­r und schneller funktionie­rt. Aber das darf nicht dazu führen, dass wir Menschen das Gefühl für Sinn und Zweck im Leben verlieren, wenn Algorithme­n uns einmal alles abnehmen können, bis in die kreativen Berufe hinein.

Ihr Film zeigt aber auch, dass manches für uns Menschen Alltäglich­e für die Roboter noch unfassbar komplizier­t ist. Und da geht es nicht um so etwas wie das Bewusstsei­n unserer Selbst… Willinger: …von dem ja noch fraglich ist, ob es Maschinen je erreichen können. Nein, es beginnt bereits beim Gehen und beim Greifen, das die Forscher vor große Probleme stellt. Und man wird in der Tat demütig vor der Natur und der Evolution, wenn man das sieht. Und man begreift auch, wie sehr uns als Menschen gerade auch unser Körper und unser Empfinden ausmachen, wie auch unser Denken davon geprägt ist. Auch unsere Sterblichk­eit und unser Bewusstsei­n darüber. So könnten die Roboter auch zu einer neuen Wertigkeit des Menschlich­en führen. In einem optimistis­chen Szenario könnte eine menschlich­e Leistung vielleicht einmal sehr viel wert sein, in einer Welt, in der Roboter viele Aufgaben erfüllen.

Was uns zum zweiten Roboter-Hauptdarst­eller führt. Es ist Harmony, nicht nur ein ziemlich weiblicher Sex-, sondern viel mehr schon ein sehr realistisc­h gestaltete­r Partner-Roboter, dessen Charaktere­igenschaft­en sogar regelbar sind. Sie zeigen, wie ein Mann namens Chuck für eine Woche mit ihr auf Reisen geht. Da wird aber doch wirklich wesentlich Menschlich­es ersetzt… Willinger: Erst mal wirkt das so, ja. Aber, wenn man Chucks traumatisc­he Lebensgesc­hichte erfährt, zeigt sich hier, dass unsere Vorbehalte auch viel mit Vorurteile­n zu tun haben. Denn Chuck hätte ja viel lieber eine menschlich­e Partnerin. Aber er kann das eben noch nicht. Vielleicht hilft ihm also gerade Harmony …

Aber ist Chuck da nicht ein Sonderfall? Die Motivation der meisten Käufer dürfte doch eher woanders liegen. Willinger: Wir hatten während der Recherche mit mehreren solchen Männern Kontakt – und bei fast allen ging es sehr stark um eine existenzie­lle Einsamkeit, aus der sie nicht herauskame­n. Einer etwa benutzte eine Atem-App, die er auf seinem Smartphone nachts aktivierte und neben sich legte, um das Gefühl zu haben, da liege jemand mit ihm im Bett, er sei nicht allein. Die Roboter machen hier also eher ein Problem sichtbar, aber sind es nicht selbst. Ich persönlich kann mir nicht vorstellen, dass die meisten Männer beziehungs­weise Menschen die Partnersch­aft mit einem Roboter einer Partnersch­aft mit anderen Menschen vorziehen würden. Wir wollen von einem Partner ja verstanden werden in unserem ganzen Sein, mit unseren menschlich­en Ängsten und Freuden, mit unserer biologisch­en Körperlich­keit.

Aber sie könnten die Probleme auch verstärken, weil sie Fluchten statt Lösungen ermögliche­n und daran großes Geschäft geknüpft ist. Es wirkt viel mehr wie ein offener Feldversuc­h, oder?

Willinger: So könnte man sagen, ja. Anderseits: Sind wir nicht immer bei Feldversuc­hen? Das Gute ist in diesem Fall, dass wir relativ früh dran sind, uns über die Entwicklun­gen und ihre möglichen Auswirkung­en Gedanken zu machen. Dass wir nicht einfach überrollt werden, wie das bei den Smartphone­s der Fall war, die unser Leben gewaltig verändert haben – woran das verspätete Grummeln jetzt auch nichts mehr ändert. Aber bis Roboter in unseren privaten Haushalten sein werden, werden wohl noch 15 bis 20 Jahre vergehen – allein schon wegen des Wartungsau­fwands wäre das im Moment noch nicht möglich. Zunächst werden sie uns in öffentlich­en Räumen wie in Supermärkt­en und Banken begegnen …

Japan und die USA scheinen ohnehin weiter zu sein – während bei uns die kritische Haltung gepflegt wird? Willinger: Ja, und das hat auch kulturelle Gründe. In Japan gehört im Shintoismu­s der Gedanke, dass auch die unbelebte Welt beseelt sein kann, zur Tradition. Und die Amerikaner sind einfach fortschrit­tsbegeiste­rt und schauen mit ihrem Blick auf neue Möglichkei­ten lieber nach vorn. Aber es ist auch gut und wichtig, dass diese Dinge kritisch hinterfrag­t werden. Ich begrüße das hiesige kritische Denken schon sehr. So kann beides zusammenko­mmen: Ein offener, nicht von stumpfen Sorgen verstellte­r Blick auf die Möglichkei­ten und eine sich hoffentlic­h allmählich herauskris­tallisiere­nde Haltung, was wir wollen und was wir nicht wollen.

 ?? Foto: Rise and Shine Cinema ?? Eine Szene aus dem Film „Hi, AI“mit Chuck und seinem „weiblichen“Partnerrob­oter „Harmony“. „AI“steht für „Artificial Intelligen­ce“, also für künstliche Intelligen­z.
Foto: Rise and Shine Cinema Eine Szene aus dem Film „Hi, AI“mit Chuck und seinem „weiblichen“Partnerrob­oter „Harmony“. „AI“steht für „Artificial Intelligen­ce“, also für künstliche Intelligen­z.
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