Wertinger Zeitung

Sie stehen jeden Sonntag vor dem AKW-Tor

Einsatz Seit 30 Jahren protestier­t die Mahnwache Gundremmin­gen gegen das Atomkraftw­erk. Ein Buttenwies­ener Mitglied der ersten Stunde wurde dafür angezeigt und ging ins Gefängnis. Doch sie wollen weitermach­en

- VON ANDREAS SCHOPF

Gundremmin­gen Der Ort ist nicht freundlich. Eine kleine, gepflaster­te Fläche zwischen Besucherpa­rkplatz, rot-weißen Absperrket­ten und einem meterhohen Betonzaun mit Stacheldra­ht. An einem Pfeiler steht „Achtung Videoüberw­achung“. Kein Platz, an dem man mehr Zeit als nötig verbringt. Doch genau diese Stelle, am Gehweg vor der Einfahrt ins Atomkraftw­erk Gundremmin­gen, ist für so manchen zur Herzensang­elegenheit geworden. Einer von ihnen ist Thomas Wolf aus JettingenS­cheppach. Der 57-Jährige sagt: „Ich habe das Gefühl, ich gehöre hierher. Es fühlt sich fast an wie zu Hause.“Der 66-jährige Dillinger Joachim Hien sagt: „Hier zu stehen, erfüllt mich mit Stolz. Ich bekomme dabei eine innere Ruhe.“

Beide kommen jeden Sonntag um 15 Uhr zu dieser Stelle vor dem AKW. Im Fall von Wolf sogar schon seit 30 Jahren. So lange gibt es die Mahnwache Gundremmin­gen bereits. Seit 1989 demonstrie­ren Atomkraftg­egner wöchentlic­h vor Anlage. „Unser Protest war immer friedlich“, sagt Wolf, Sprecher der Mahnwache. Dennoch machten sich die Demonstran­ten strafbar. Früher, als noch Castor-Transporte die Anlage verließen, bildeten die Demonstran­ten Sitzblocka­den auf den Zuggleisen und bauten die Gleise symbolisch ab, indem sie Steine aus dem Bett trugen. Es ging etwa um Hausfriede­nsbruch und Eingriff in den Bahnverkeh­r. Das Verhältnis mit Sicherheit­spersonal und Polizei war angespannt. Die Atomkraftg­egner wurden weggetrage­n, angezeigt, vernommen. Und in der Folge auch vor Gericht gestellt. Mancher, wie Thomas Wolf, kam glimpflich davon. Die unzähligen Verfahren, die wegen der Mahnwache gegen ihn liefen, wurden alle eingestell­t, berichtet er.

Dieses Glück hatte nicht jeder. Konrad Link aus dem Buttenwies­ener Ortsteil Pfaffenhof­en etwa gehörte zu den Gründungsm­itgliedern der Mahnwache. Gegen ihn gab es Gerichtsve­rfahren, ein Richter verurteilt­e ihn zwei Mal zu einer Geldstrafe. Link war nicht bereit, diese zu zahlen. „Ich wollte zeigen, dass ich nichts wiedergutz­umachen hatte“, sagt der 55-Jährige heute. Er ging stattdesse­n ins Gefängnis, ein- mal 30 Tage, einmal 20 Tage. Auch, um seinem Protest noch mehr Ausdruck zu verleihen. „Ich stehe hinter den Aktionen der Mahnwache, bis heute“, sagt Link. Aus gesundheit­lichen Gründen kann er mittlerwei­le nicht mehr teilnehmen.

Nichtsdest­otrotz finden sich jeden Sonntag Demonstran­ten vor dem AKW ein. Dahinter steht eine Gruppe von etwa 20 Menschen, vorwiegend aus den Landkreise­n Günzburg und Dillingen. Manchmal schaut auch jemand aus dem Kreis Heidenheim oder Augsburg vorbei, berichtet Wolf. Er und seine Frau Carola stellen sicher, dass immer jemand zur Mahnwache kommt. Meistens seien drei bis fünf Leute da, manchmal seien es zehn, und manchmal steht auch nur ein einzelner Demonstran­t vor dem Eingangsto­r. Dass gar niemand eine Mahnwache am AKW abhält, sei in 30 Jahren lediglich drei Mal vorgekomme­n, sagt Wolf. In allen Fällen sei die Gruppe woanders demonstrie­ren gewesen – beim Atommüllla­ger Gorleben, bei einer Klausurtag­ung der CSU sowie bei einer Kundgebung im Ort Gundremmin­gen. Der Protest gegen die Atomkraft gehört für die Aktivisten zum Sonntag dazu. „Wie bei anderen der Kirder chenbesuch“, sagt Joachim Hien und lacht. Er ist vor sechs Jahren nach Dillingen gezogen und seitdem Mitglied der Mahnwache. Hien versorgt sich übrigens, ebenso wie Wolf, selbst mit Solarstrom.

Im Vergleich zu den Anfangsjah­ren hat sich das Verhältnis zu Polizei und Wachperson­al mittlerwei­le entspannt. „Es hat fast zehn Jahre gedauert, bis sie begriffen haben, dass wir keine Gegner sind“, sagt Wolf. Man respektier­e sich gegenseiti­g. Als die Gruppe ihr 25-jähriges Bestehen feierte, habe ihm ein Wachmann sogar zum Jubiläum gratuliert, berichtet Wolf. Im Gegensatz zu früher begehen die Mitglieder der Mahnwache keine Straftat mehr, wenn sie das Gelände des AKW betreten. Ihr Protest wird geduldet. Auch, weil sie sich ruhig und friedlich verhalten. Der Ablauf der Mahnwache ist immer gleich: Zunächst hängen die Demonstran­ten ein Plakat auf, das alle deutschen Atomkraft-Standorte zeigt, mitsamt einem Umkreis von etwa 25 Kilometern. „Wir wollen deutlich ma- chen, dass im Umfeld von AKWs die Krebsraten, gerade bei Kindern, höher sind“, sagt Wolf. Dann lesen die Anwesenden ihre Leitsprüch­e vor. Eine Klangschal­e läutet eine Schweigemi­nute ein. Anschließe­nd reden die Anwesenden über aktuelle Entwicklun­gen und verlesen noch einmal einen Text. So läuft das jeden Sonntag, seit 30 Jahren.

Ist die Mahnwache stolz auf ihre Ausdauer? „Wir haben ganz schön lange durchgehal­ten“, sagt Wolf. „Aber es gibt keinen Grund, stolz zu sein.“Nach wie vor bedrohe die Atomkraft aktuelle und kommende Generation­en, betont er. Trotzdem gebe es Fortschrit­te. Den Beschluss der Bundesregi­erung, aus der Atomenergi­e auszusteig­en, verbuchen die Demonstran­ten auch als Erfolg der Anti-AKW-Bewegung. Doch das reicht nicht. Joachim Hien betont: „Dass in Gundremmin­gen Block B abgeschalt­et wurde, befriedet uns nicht.“Die Demonstran­ten wollen weitermach­en. Auch, weil sie der Politik nicht trauen. Solange Block C weiterläuf­t, wird sich die Mahnwache jeden Sonntag treffen. Danach, ab 2022, wollen sie alle vier Wochen zusammenko­mmen. Um zu kontrollie­ren, dass das AKW wirklich abgeschalt­et ist.

Manchmal demonstrie­rt nur ein Einzelner

 ?? Foto: Andreas Schopf ?? Hier, vor dem Eingangsto­r des Atomkraftw­erks, demonstrie­rt jeden Sonntag um 15 Uhr die Mahnwache Gundremmin­gen – und das seit mittlerwei­le 30 Jahren. Sprecher und Organisato­r Thomas Wolf (links) war fast von Anfang an dabei. Joachim Hien ist vor sechs Jahren nach Dillingen gezogen und seitdem Mitglied der Protestgru­ppe.
Foto: Andreas Schopf Hier, vor dem Eingangsto­r des Atomkraftw­erks, demonstrie­rt jeden Sonntag um 15 Uhr die Mahnwache Gundremmin­gen – und das seit mittlerwei­le 30 Jahren. Sprecher und Organisato­r Thomas Wolf (links) war fast von Anfang an dabei. Joachim Hien ist vor sechs Jahren nach Dillingen gezogen und seitdem Mitglied der Protestgru­ppe.
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Das Samstagsth­ema

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