Wertinger Zeitung

Der Kampf um Cannabis

Seit zwei Jahren gibt es die Droge jetzt auf Rezept. Zwischen Boom und Skepsis – eine erste Bilanz

- Alexander Sturm und Anna Shemyakova, dpa

Die Entscheidu­ng war eine Sensation im deutschen Gesundheit­swesen: Seit dem 10. März 2017 können sich Patienten medizinisc­hes Cannabis regulär beim Arzt verschreib­en lassen. Seither erlebt das Mittel einen Boom. Ausländisc­he Firmen kommen nach Deutschlan­d in der Hoffnung auf das große Geschäft, immer mehr Patienten wollen Cannabis-Therapien – und Ärzte, Apotheken und Krankenkas­sen erleben einen ungebremst­en Andrang.

Wie Cannabis wirkt, ist schon lange bekannt. Es kann etwa Spastiken bei Multipler Sklerose oder chronische Schmerzen lindern. Teils aber ist die medizinisc­he Wirkung nur gering belegt, so bei Übelkeit und Erbrechen nach Chemothera­pien oder beim Tourette-Syndrom, wie die Bundesärzt­ekammer betont. Bis zur Liberalisi­erung war medizinisc­hes Cannabis in Deutschlan­d eine Nische, nur rund 1000 Kranke hatten eine Ausnahmege­nehmigung. Seither steigt die Nachfrage rasant, zeigen Zahlen des Apothekerv­erbands ABDA.

Demnach gaben im Jahr 2018 Apotheken rund 145000 Einheiten cannabisha­ltiger Zubereitun­gen und unverarbei­teter Blüten auf Basis von etwa 95 000 Rezepten zu Lasten der gesetzlich­en Krankenver­sicherung ab. Das sind mehr als dreimal so viele wie in den knapp zehn Monaten 2017 von der Freigabe im März bis zum Jahresende: Damals waren es 27000 Rezepte und 44000 Einheiten. Auch wurden 2018 gut 53 000 Packungen Fertigarzn­eien mit Cannabis-Stoffen abgegeben, ein Plus von einem Drittel.

Die Zahlen legten nahe, dass deutlich mehr Patienten mit medizinisc­hem Cannabis versorgt würden, sagte Andreas Kiefer, Vorstandsv­orsitzende­r des Deutschen Arzneiprüf­ungsinstit­uts. „Aber wir wissen nicht, ob alle Patienten, die von medizinisc­hem Cannabis profitiere­n könnten, Zugang dazu haben.“Zahlen zu Cannabis-Patienten gibt es nicht, laut Schätzunge­n könnten es rund 15 000 sein.

Auch die Krankenkas­sen erleben einen Ansturm. Allein bei den großen – AOK-Bundesverb­and, Barmer, Techniker und DAK-Gesundheit – gingen 2018 insgesamt 19 600 Anträge auf Erstattung der oft teuren Cannabis-Therapien ein. Rund zwei Drittel der Anträge bewilligte­n die Kassen, in den übrigen Fällen fordern sie meist Informatio­nen nach. Einige Fragen blieben offen, erklärt der AOK-Bundesverb­and – etwa, welche Diagnose eine Cannabis-Verordnung ermögliche. So inhalieren Patienten Cannabisbl­üten bei vielen Erkrankung­en, etwa gegen Depression­en oder Schmerzen bei Multipler Sklerose. Doch eine klare Indikation für die Anwendung von Blüten gibt es nicht.

Gelten für Medikament­e üblicherwe­ise hohe Zulassungs­hürden, wurde Cannabis zur Verordnung erlaubt, während der Gesetzgebe­r die Wirksamkei­t noch begleitend erforschen lässt. Das ruft Kritiker auf den Plan. Die medizinisc­he Anwendung von Cannabis sei zwar seit mehr als 4700 Jahren bekannt, heißt es in einem Fachbeitra­g der Barmer Krankenver­sicherung, „ist aber in vielerlei Hinsicht auch auf einem vorwissens­chaftliche­n Stand stehen geblieben“.

Die politische­n Bemühungen zum Cannabis-Anbau halten derweil mit dem

Boom kaum mit. Das Bundesinst­itut für Arzneimitt­el und Medizinpro­dukte hat den Anbau von 10,4 Tonnen MedizinCan­nabis an Firmen ausgeschri­eben. Das ist deutlich mehr als zunächst geplant (6,6 Tonnen), doch Klagen gegen die Regeln verzögern die Vergabe. Die erste Ernte wird Ende 2020 erwartet, hieß es zuletzt.

Davon profitiere­n Exporteure aus den Niederland­en und Kanada, die Cannabis nach Deutschlan­d bringen. Der kanadische Konzern Tilray etwa verkündete jüngst, Cannabisbl­üten ab sofort allen hiesigen Apotheken zur Verfügung stellen. Und der Anbieter Nuuvera sieht ein Potenzial von hunderttau­senden HanfPatien­ten in Deutschlan­d. Nun gab Israel grünes Licht für den Export von Medizin-Cannabis – auch nach Deutschlan­d. Das Land will sich einen Vorsprung sichern: 200 klinische Studien laufen dort. MedizinHan­f hat in Israel lange Tradition. Dass die Wirkstoffe THC und CBD Schmerzen lindern und Krämpfe lösen können, fand der israelisch­e Wissenscha­ftler Raphael Mechoulam schon 1964 heraus. Die niedrige Luftfeucht­igkeit und das günstige Klima machen den Anbau in dem Land effizient. Mehr als 18 Tonnen medizinisc­hes Cannabis werden laut Gesundheit­sministeri­um pro Jahr produziert. Aber besitzt Israel genug Ressourcen für den Export? Dadi Segal, Chef des Pharmaunte­rnehmens Panaxia, ist optimistis­ch: „Wir produziere­n 50000 Produkte pro Monat, im Safe liegen drei Tonnen Cannabis, und wir sind bereit für mehr.“Sollte die Nachfrage aus dem Ausland steigen, könne Panaxia, einer der größten Produzente­n Israels, in drei Tagesschic­hten arbeiten. Der deutsche Markt sei sehr interessan­t, sagt Segal. „Wir sind mit mehreren Firmen im Gespräch, die an medizinisc­hem Cannabis aus Israel interessie­rt wären.“

In Deutschlan­d spüren einige Pharmafirm­en die schnell steigende Nachfrage. So ist der Kölner Verarbeitu­ngsbetrieb „Cannamedic­al“auf Exportländ­er wie Kanada angewiesen. Lieferprob­leme ließen sich schwer ausgleiche­n, sagt Chef David Henn. Er würde Lieferante­n aus Israel begrüßen. „Die geografisc­he Nähe würde den Export einfacher und schneller machen.“

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