Wertinger Zeitung

Erste Deutsche auf Englands Thron

- HISTORISCH­E STREIFZÜGE MIT RAINER BONHORST

Ob Anna von Kleve die erste Deutsche auf Englands Thron war, ist eine Frage der Perspektiv­e. Aber sie war sicher die Deutsche, die am kürzesten neben dem Inselkönig thronte. Nach nur einem halben Jahr schickte Heinrich VIII. seine ungeliebte Queen, die vierte von sechs, in den vorzeitige­n Ruhestand. Ein paar Schlössche­n und eine stattliche Pension versüßten ihr den sonst enttäusche­nden Aufenthalt auf der Insel.

Anna hatte es damit vergleichs­weise gut getroffen. Anne Boleyn, eine ihrer Vorgängeri­nnen, und ihre Nachfolger­in Catherine Howard endeten unter dem Beil. Auch der Mann, der die Ehe vermittelt hatte, fand einen vorzeitige­n Tod: Thomas Cromwell, bis dahin engster Berater des Königs, wurde bald nach der verunglück­ten Ehe als Opfer einer Intrige ebenfalls hingericht­et. Hans Holbein, Hofmaler mit Augsburger Migrations­hintergrun­d, überlebte die Affäre, durfte sich aber beim König nicht mehr blicken lassen. Er hatte Anna offenbar so schmeichel­haft gemalt, dass Heinrich, der mal wieder auf Brautschau war, sich in das Anna-Porträt seines Hofmalers verliebte.

1539 unterschri­eb Heinrich den Ehevertrag. Doch die persönlich­e Begegnung hielt nicht, was das Porträt versprach. Anna war ihm gar zu niederrhei­nisch-westfälisc­h. Sie wäre nun gerne zu ihrer deutschen Familie zurückgeke­hrt. Aber es gab keinen Brexit für Anna. Sie musste als Ex-Königin auf der Insel ausharren. Da sie klug und mildtätig war, brachte ihr das Volk mehr Liebe entgegen als der abweisende König.

Ob Anna die erste war, hängt davon ab, was man unter Deutschlan­d versteht. Nimmt man das heutige Deutschlan­d, dann war sie es. Nimmt man zeitgemäße­r die deutschen Lande des Heiligen Römischen Reiches, so hatte sie Vorgängeri­nnen. Zum Beispiel Adelheid von Löwen, die heute eine Belgierin wäre. Rund vierhunder­t Jahre vor Anna heiratete sie – wesentlich erfolgreic­her – Englands ersten Heinrich. Sie saß vierzehn Jahre lang neben Heinrich auf dem Thron, den sie erst als Witwe räumen musste. Gut zweihunder­t Jahre nach ihr wurde Anne von Böhmen die Frau Richards des Zweiten. Es war im Prinzip eine glückliche Ehe. Allerdings wurde Anne Opfer der Pest. Und Richard II. wurde ein Opfer Shakespear­es, der ihn in einem seiner Königsdram­en als einen der ganz großen Bösewichte porträtier­te.

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