Was hat die Altersarmut mit Amazon zu tun?
Ausstellung In Lauingen wird deutlich, dass die Armut viele Gesichter hat
Lauingen Mehr als eine Million Rentner müssen schon heute ihre Rente aufstocken. Ihre Zahl nimmt ständig zu, da der Niedriglohnsektor wächst und gleichzeitig das Rentenniveau sinkt. Die Mitglieder vom Verdi-Fototeam Hessen haben zur Kamera gegriffen und Betroffene ebenso wie künftig Betroffene fotografiert, mit ihnen gesprochen und ihre Geschichten aufgeschrieben. Herausgekommen ist eine Ausstellung, in der 13 Menschen im Alter zwischen 20 und 77 Jahren mutig ihr Gesicht zeigen und erzählen, warum Altersarmut für sie ein Thema ist, jetzt oder in der Zukunft. Die Ausstellung zeigt laut Pressemitteilung, dass nicht individuelles Fehlverhalten, sondern politische Entscheidungen immer mehr Menschen arm machen und dass Altersarmut vor allem weiblich ist.
Die Wanderausstellung wurde von der ökumenischen Gruppe „Arbeit – Leben – Glaube: drei, die zusammengehören“(ALG III), in der sich Christen der verschiedenen Konfessionen, Betriebsräte und Gewerkschafter treffen, in den Landkreis geholt und jetzt im Foyer des Lauinger Rathauses eröffnet. Sie ist dort bis 21. März kostenlos während der Öffnungszeiten des Rathauses zu besichtigen. Peter Kellermann und Michael Pfeiffer von ALG III begrüßten die zahlreichen Gäste am Eröffnungsabend. Lauingens Zweiter Bürgermeister Dietmar Bulling ordnete in seinem Grußwort das ernste Thema Altersarmut gesellschaftlich ein und plädierte für weitere Fortschritte im Rentensystem. Er bedankte sich bei ALG III dafür, dass diese bundesweite Wanderausstellung auch in Lauingen Station macht, und begrüßte dies ausdrücklich.
Georg Steinmetz (Lauingen), seit einem halben Jahr Leiter der Betriebsseelsorge in der Diözese Augsburg und Diözesan-Präses der Katholischen Arbeitnehmerbewegung (KAB), kam sofort auf den Punkt: „Das Thema Altersarmut springt einen förmlich an.“Mit zwei aktuellen Beispielen aus dem Raum Augsburg erläuterte er sehr plakativ die Ursachen für diese Entwicklung: Zum einen herrschten im AmazonLogistikzentrum in Graben sehr prekäre Arbeitsverhältnisse, vor allem im Niedriglohnsegment. „Und das im Unternehmen des reichsten Mannes dieser Welt.“Zum anderen nannte er die angekündigte Betriebsschließung des Fujitsu-Werkes in Augsburg, die vor allem für viele ältere Arbeitnehmer das Aus am Arbeitsmarkt bedeute. Steinmetz betonte, dass die kirchlichen Verbände an der Seite der Arbeitnehmer stünden, und wünschte sich, dass die Ausstellung die Gesellschaft aufrüttle.
Günther Frey, 1. Bevollmächtigter der IG Metall für die Region Neu-Ulm/Günzburg, machte sich in seinem Statement Gedanken zum „weiblichen Gesicht der Altersarmut“. Er zitierte dazu das Grundgesetz, in dem es unter anderem heißt, „dass Mädchen in der Säuglingspflege, Kindererziehung und Hauswirtschaft zu unterweisen seien“. Dieses Weltbild sei in der Vergangenheit sicherlich dafür verantwortlich gewesen, dass vor allem Frauen in geringerem Umfang im Erwerbleben stehen. Er wies darauf hin, dass das Rentenniveau in Schwaben im bundesweiten Vergleich besonders niedrig sei. Eine der Ursachen dafür sah er in den geringeren Löhnen, da etliche, auch größere Unternehmen in der Region nicht tariflich gebunden seien.
Zwei Vertreter aus der Region gaben dem Thema Altersarmut ein lokales Gesicht: Ingrid Braun von der Diakonie in Dillingen berichtete, dass sie Menschen vor allem im Bereich der Existenzsicherung berate. Sie beobachte, dass sich ältere Mitbürger oft schämten, Arbeitslosengeld II oder die Grundsicherung im Alter zu beantragen. Dietmar Berger berichtete von der Arbeit bei der Dillinger Tafel: etwa 800 Bedürftige, davon rund 200 Rentnerinnen und Rentner, würden im Landkreis an vier Ausgabestellen von etwa 250 Ehrenamtlichen mit Lebensmitteln versorgt. Wöchentlich kämen somit also rund 400 Bezieher, um gegen einen symbolischen Unkostenbeitrag das Nötigste zu bekommen. Thomas Hoffmann, Betriebsseelsorger aus Neu-Ulm, regte an, diese Hilfsangebote anzunehmen. Hoffmann war es auch, der – unterstützt durch zwei Mitstreiter – mit kritischen, aber auch Hoffnung machenden Liedern für die musikalische Umrahmung der Veranstaltung sorgte.
Abschließend bedankte sich Otto Wagner von ALG III für das Interesse an der Ausstellung, bei den Referenten und Organisatoren des Abends sowie bei der Stadt Lauingen für die Bereitstellung der Räumlichkeiten. Er lud die Öffentlichkeit zum Besuch der Ausstellung ein, die noch zwei Wochen zu sehen ist, und wies noch auf eine Veranstaltung im Rahmenprogramm hin: Im Rahmen der Ausstellung findet am heutigen Montag, 11. März, im Festsaal des Lauinger Rathauses eine zum Thema passende Kabarettveranstaltung mit Christa Mayerhofer aus Ulm statt. In ihrer „Rentnermoritat“liefert Christl bissig-sarkastische Einblicke in den Alltag deutscher Rentner – und das von ganz unten: Sie sammelt Pfandflaschen, macht „food diving“(„containern“) und legt nebenbei ihre Finger in die Wunden des Rentensystems. Der Eintritt zu dieser Veranstaltung, wie zur Ausstellung, ist frei.