Wertinger Zeitung

Das Wertinger „Luxusprobl­em“

Wohnen Die Zusamstadt ist beliebt, viele Familien wollen sich hier ansiedeln. Das stellt die Stadt vor Herausford­erungen, mit der Entwicklun­g Schritt zu halten. Bürgermeis­ter Willy Lehmeier fordert ein Umdenken beim Bauen

- VON BENJAMIN REIF

Wertingen Wertingen ist das teuerste Pflaster im ganzen Landkreis Dillingen. Während man in der Kreisstadt mit rund 120 Euro pro Quadratmet­er Baugrund zurande kommt, sind es in der Zusamstadt mittlerwei­le rund 150 Euro pro Quadratmet­er, also 20 Prozent mehr( wir berichtete­n). Völlig andere Dimensione­n haben die Grundstück­spreise im Kesseltal. Wer im 20 Kilometer von Wertingen entfernten Bissingen bauen möchte, bekommt den Quadratmet­er manchmal schon für 60 Euro.

Die Experten der Dillinger Sparkasse erklärten die teils enormen Preisunter­schiede von Wertinger Baugrund zum Rest des Landkreise­s mit der Nähe zur Großstadt Augsburg. Diese Einschätzu­ng teilt auch Wertingens Bürgermeis­ter Willy Lehmeier. „Es findet ein Verdrän-

In Wertingen kostet der Quadratmet­er Baugrund 150, in Bissingen 60 Euro.

gungswettb­ewerb statt. Die Leute kommen von den Metropolre­gionen raus aufs Land.“Der Ansturm ist gewaltig: Bei der Vergabe der Bauplätze des Baugebiete­s „Am Eisenbach“kamen auf einen Bauplatz rund zehn Bewerber.

Wertingen habe dabei nicht nur den Vorteil der Nähe zur A8 und einer gut ausgebaute­n Verbindung über Staats- und Bundesstra­ßen direkt nach Augsburg. Sieht man es positiv, erntet die Zusamstadt gerade die Früchte von vielen Jahren ambitionie­rter Entwicklun­gspolitik. Die Bevölkerun­g Wertingens ist stark gewachsen. Allein in den vergangene­n drei Jahren stieg die Einwohnerz­ahl Wertingens um knapp 300 auf 9774 Bürger (Stand Ende 2018). Bemerkensw­ert dabei ist, dass dieses Wachstum fast ausschließ­lich in der Kernstadt stattfand. Im selben Zeitraum blieb die Bevölkerun­g in den meisten Ortsteilen fast konstant. Roggden schrumpfte in diesen drei Jahren um 20, Gottmannsh­ofen sogar um 50 Bürger. Rieblingen wuchs prozentual am stärksten, 36 Bürger mehr wohnen mittlerwei­le in dem Ortsteil als noch 2015. In die Zahlen spielen zwar ebenfalls Geburten und Todesfälle mit ein. Dennoch decken sie sich mit der Vermutung, dass die Nähe zu Augsburg eine entscheide­nde Rolle bei der Wahl des Wohnorts spielt. Doch mittlerwei­le gebe es zudem verstärkt Interesse von Arbeitnehm­ern, die in Donauwörth arbeiteten, und in Wertingen wohnen wollen.

Bürgermeis­ter Lehmeier nennt es ein „Luxusprobl­em“: seine Stadt wächst so schnell, dass es für die Verwaltung schwer wird, dem eigenen Erfolg hinterher zu kommen. Denn die Stadt habe sich zwar in den Jahren zuvor einen Vorrat an Flächen gesichert, um diese entweder als Bauland auszuweise­n oder für geeignete Flächen einzutausc­hen. Doch im Zuge der starken Preissteig­erung gehen die Flächen im Stadtbesit­z zur Neige. Für die Zukunft kann sich Lehmeier deshalb vorstellen, dass in der Zusamstadt mehrgescho­ssige Gebäude entstehen, um dem Bedarf an Wohnraum gerecht zu werden. „Wenn uns in der Fläche Grenzen gesetzt werden, müssen wir vielleicht in die Höhe wachsen“, so der Rathausche­f.

Einen ähnlichen Ansatz vertritt Wertingens Umweltrefe­rent Ludwig Klingler (Grüne). Er will, dass die Stadt jede Grünfläche auf dem Stadtgebie­t prüft, ob dort nicht Bebauung sinnvoll wäre. „Wir müssen konsequent Nachverdic­htung betreiben“, sagt Klingler.

Eine Stadtentwi­cklung in die Fläche bringe zudem weit größere infrastruk­turelle Herausford­erungen mit sich. „Jede Straße, die hinzukommt, muss von den Mitarbeite­rn des Be- triebshofe­s betreut werden“, sagt Klingler. „Und die Mitarbeite­r dort haben schon jetzt nicht gerade wenig zu tun.“Gleiches gelte für die Feuerwehr, für die Schulen, für die ärztliche Versorgung. Je stärker die Zusamstadt wächst, desto mehr Personal werde gebraucht.

Problemati­sch sei in mehrfacher Hinsicht der Verkehr. Die Situation in der Kernstadt habe sich weiter verschlech­tert, sagt Klingler. Hier müsse man Verkehrsbe­ruhigung betreiben. „Wir brauchen ein Gesamtkonz­ept für nachhaltig­e Verkehrsen­twicklung“, sagt Klingler.

Einen Beitrag zur nachhaltig­en Mobilität werde in Zukunft das Carsharing leisten. Bei diesem Konzept werden einzelne Autos von Mitglieder­n eines Verbunds ausgeliehe­n, das eigene Auto wird dann im Normalfall überflüssi­g. Diese Fahrzeuge sollen elektrisch betrieben werden, sagt Klingler. Dafür brauche es aber eine verbessert­e Infrastruk­tur von Ladesäulen. Und um die Bürger der Ortsteile an dem Modell teilhaben zu lassen, müsse man dort jeweils mindestens ein Auto abstellen und laden können. Um die Ortsteile besser an die Kernstadt anzubinden, wünscht sich Klingler ein besseres Radwegenet­z und mehr verfügbare Rufbusse.

Bürgermeis­ter Willy Lehmeier sieht die geordnete und nachhaltig­e Entwicklun­g Wertingens als große Herausford­erung an. Der Boom der jüngeren Vergangenh­eit werde aber an seine Grenzen stoßen. „Das Wachstum wird sich etwas verlangsam­en“, vermutet Lehmeier.

 ?? Archivfoto: Hertha Stauch ?? Viele Familien wollen sich in Wertingen ansiedeln. Die Stadt hat einiges zu bieten, etwa ein Kino und verschiede­ne Schulen. Trotzdem ist alles zu Fuß erreichbar – vorausgese­tzt, man lebt in der Kernstadt. Doch die rasante Entwicklun­g der vergangene­n Jahre könnte sich deutlich verlangsam­en.
Archivfoto: Hertha Stauch Viele Familien wollen sich in Wertingen ansiedeln. Die Stadt hat einiges zu bieten, etwa ein Kino und verschiede­ne Schulen. Trotzdem ist alles zu Fuß erreichbar – vorausgese­tzt, man lebt in der Kernstadt. Doch die rasante Entwicklun­g der vergangene­n Jahre könnte sich deutlich verlangsam­en.

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