Das Wertinger „Luxusproblem“
Wohnen Die Zusamstadt ist beliebt, viele Familien wollen sich hier ansiedeln. Das stellt die Stadt vor Herausforderungen, mit der Entwicklung Schritt zu halten. Bürgermeister Willy Lehmeier fordert ein Umdenken beim Bauen
Wertingen Wertingen ist das teuerste Pflaster im ganzen Landkreis Dillingen. Während man in der Kreisstadt mit rund 120 Euro pro Quadratmeter Baugrund zurande kommt, sind es in der Zusamstadt mittlerweile rund 150 Euro pro Quadratmeter, also 20 Prozent mehr( wir berichteten). Völlig andere Dimensionen haben die Grundstückspreise im Kesseltal. Wer im 20 Kilometer von Wertingen entfernten Bissingen bauen möchte, bekommt den Quadratmeter manchmal schon für 60 Euro.
Die Experten der Dillinger Sparkasse erklärten die teils enormen Preisunterschiede von Wertinger Baugrund zum Rest des Landkreises mit der Nähe zur Großstadt Augsburg. Diese Einschätzung teilt auch Wertingens Bürgermeister Willy Lehmeier. „Es findet ein Verdrän-
In Wertingen kostet der Quadratmeter Baugrund 150, in Bissingen 60 Euro.
gungswettbewerb statt. Die Leute kommen von den Metropolregionen raus aufs Land.“Der Ansturm ist gewaltig: Bei der Vergabe der Bauplätze des Baugebietes „Am Eisenbach“kamen auf einen Bauplatz rund zehn Bewerber.
Wertingen habe dabei nicht nur den Vorteil der Nähe zur A8 und einer gut ausgebauten Verbindung über Staats- und Bundesstraßen direkt nach Augsburg. Sieht man es positiv, erntet die Zusamstadt gerade die Früchte von vielen Jahren ambitionierter Entwicklungspolitik. Die Bevölkerung Wertingens ist stark gewachsen. Allein in den vergangenen drei Jahren stieg die Einwohnerzahl Wertingens um knapp 300 auf 9774 Bürger (Stand Ende 2018). Bemerkenswert dabei ist, dass dieses Wachstum fast ausschließlich in der Kernstadt stattfand. Im selben Zeitraum blieb die Bevölkerung in den meisten Ortsteilen fast konstant. Roggden schrumpfte in diesen drei Jahren um 20, Gottmannshofen sogar um 50 Bürger. Rieblingen wuchs prozentual am stärksten, 36 Bürger mehr wohnen mittlerweile in dem Ortsteil als noch 2015. In die Zahlen spielen zwar ebenfalls Geburten und Todesfälle mit ein. Dennoch decken sie sich mit der Vermutung, dass die Nähe zu Augsburg eine entscheidende Rolle bei der Wahl des Wohnorts spielt. Doch mittlerweile gebe es zudem verstärkt Interesse von Arbeitnehmern, die in Donauwörth arbeiteten, und in Wertingen wohnen wollen.
Bürgermeister Lehmeier nennt es ein „Luxusproblem“: seine Stadt wächst so schnell, dass es für die Verwaltung schwer wird, dem eigenen Erfolg hinterher zu kommen. Denn die Stadt habe sich zwar in den Jahren zuvor einen Vorrat an Flächen gesichert, um diese entweder als Bauland auszuweisen oder für geeignete Flächen einzutauschen. Doch im Zuge der starken Preissteigerung gehen die Flächen im Stadtbesitz zur Neige. Für die Zukunft kann sich Lehmeier deshalb vorstellen, dass in der Zusamstadt mehrgeschossige Gebäude entstehen, um dem Bedarf an Wohnraum gerecht zu werden. „Wenn uns in der Fläche Grenzen gesetzt werden, müssen wir vielleicht in die Höhe wachsen“, so der Rathauschef.
Einen ähnlichen Ansatz vertritt Wertingens Umweltreferent Ludwig Klingler (Grüne). Er will, dass die Stadt jede Grünfläche auf dem Stadtgebiet prüft, ob dort nicht Bebauung sinnvoll wäre. „Wir müssen konsequent Nachverdichtung betreiben“, sagt Klingler.
Eine Stadtentwicklung in die Fläche bringe zudem weit größere infrastrukturelle Herausforderungen mit sich. „Jede Straße, die hinzukommt, muss von den Mitarbeitern des Be- triebshofes betreut werden“, sagt Klingler. „Und die Mitarbeiter dort haben schon jetzt nicht gerade wenig zu tun.“Gleiches gelte für die Feuerwehr, für die Schulen, für die ärztliche Versorgung. Je stärker die Zusamstadt wächst, desto mehr Personal werde gebraucht.
Problematisch sei in mehrfacher Hinsicht der Verkehr. Die Situation in der Kernstadt habe sich weiter verschlechtert, sagt Klingler. Hier müsse man Verkehrsberuhigung betreiben. „Wir brauchen ein Gesamtkonzept für nachhaltige Verkehrsentwicklung“, sagt Klingler.
Einen Beitrag zur nachhaltigen Mobilität werde in Zukunft das Carsharing leisten. Bei diesem Konzept werden einzelne Autos von Mitgliedern eines Verbunds ausgeliehen, das eigene Auto wird dann im Normalfall überflüssig. Diese Fahrzeuge sollen elektrisch betrieben werden, sagt Klingler. Dafür brauche es aber eine verbesserte Infrastruktur von Ladesäulen. Und um die Bürger der Ortsteile an dem Modell teilhaben zu lassen, müsse man dort jeweils mindestens ein Auto abstellen und laden können. Um die Ortsteile besser an die Kernstadt anzubinden, wünscht sich Klingler ein besseres Radwegenetz und mehr verfügbare Rufbusse.
Bürgermeister Willy Lehmeier sieht die geordnete und nachhaltige Entwicklung Wertingens als große Herausforderung an. Der Boom der jüngeren Vergangenheit werde aber an seine Grenzen stoßen. „Das Wachstum wird sich etwas verlangsamen“, vermutet Lehmeier.