Wertinger Zeitung

Wie sich der Beruf des Steinmetze­s verändert hat

Porträt Was macht ein Steinmetzm­eister, dem sein Handwerk abhanden gekommen ist? Ulrich Hanel, Seniorchef eines Wertinger Steinmetzb­etriebes, erzählt über Veränderun­gen in seinem Beruf. Und über eine Krankheit, die ihn verändert hat

- VON HERTHA STAUCH

Ulrich Hanel arbeitet seit 50 Jahren mit Steinen. Doch seine Fähigkeite­n sind heute nicht mehr so gefragt wie früher.

Wertingen Samstags und sonntags, wenn die Maschinen still stehen, dann ist er in seinem Element. Dann tut Ulrich Hanel das, was schon immer seine Leidenscha­ft ist. Er geht in die Werkhalle und fertigt Steinmetza­rbeiten, auch kleine Sachen, die ihm so einfallen: Uhren, Stelen, Bilderrahm­en aus Marmor, steinerne Lampenschi­rme, die, je nach Material, ein besonderes Licht erzeugen. Diese Arbeit – das braucht Ulrich Hanel. Den Kontakt zum Stein, zum glatten Marmor oder Granit, der mit der Hand geformt wird, das Gefühl, aus einem starren Klotz etwas funktionel­les und auch schönes zu erschaffen. Heute macht er das nur noch „aus Spaß“. Denn diese Arbeit gibt es so nicht mehr.

Vorne in der Halle hat jetzt die CNC-Maschine ihren Platz. Ein Facharbeit­er rumänische­r Herkunft steht dort und bedient die Maschine, die serienmäßi­g und millimeter­genau Teile aus Steinplatt­en aussägt, per Computer. Die vielen kleinen Maschinen, die früher dem Steinmetz das Handwerk erleichter­ten, sind jetzt abgeschaff­t. „Die CNC, die kann ich nicht bedienen“, gesteht der 73-Jährige, „die macht alles, aber sie sagt nicht ‘guten Morgen‘ zu mir.“

Ulrich Hanel sinniert. Was bleibt von seinem Handwerk, das er vor 50 Jahren gelernt hat? Hart wie Stein war damals die Ausbildung­szeit, nicht zimperlich wurde mit den Lehrlingen umgegangen. „Ich hab alle Steinmetzk­rankheiten hinter mir“, erzählt Hanel von der körperlich schweren Arbeit, die vor allem ins Kreuz geht. Hanel lernte in seiner Heimat im Fichtelgeb­irge, absolviert­e die Fachschule 1967/68, machte seinen Meister, arbeitete lange Zeit in einer Firma in Eichstätt. Als dort der Chef verstarb, suchte sich Hanel ein neues Betäti- gungsfeld – und kam nach Wertingen, wo er den Steinmetzb­etrieb Zimmermann Am Mühlanger übernahm. Das ist nun 30 Jahre her. Heute leitet Hanels Sohn Bernd-Ulrich den Betrieb, der Vater hat das Chefbüro für den Sohn frei gemacht.

Der Senior arbeitet noch hie und da mit. Die Firma ist auf Naturstein in Küche, Bad, Gaststätte­ntheken und im Wellnessbe­reich spezialisi­ert. Auffallend dabei mitunter ein herausrage­ndes Design: Hanels Bruder Jochen Schmiddem betreibt seit 1997 ein namhaftes Büro für Produktdes­ign in Berlin, arbeitete als Designer für große Marken. So kommt es, dass ein Design-Waschtisch aus Ulrich Hanels Steinmetzw­erkstatt auch schon mal für US Star Tom Cruise gefertigt wurde. Hanel arbeitete in seiner aktiven Berufszeit bei exklusiven Projekten in der Schweiz, Düsseldorf und Berlin mit. Damals hatte er 17 Steinmetze im Wertinger Betrieb, erzählt er. Heute sind noch vier Facharbeit­er und eine Bürokraft angestellt. Wie derzeit überall im Handwerk fehle es auch bei den Steinmetze­n an Nachwuchs, bedauert Hanel: „Handwerkli­che Fähigkeite­n sind nicht mehr gefragt. Heute wird gefragt, ob man eine elektronis­che Maschine bedienen kann.“Tempo und Masse seien wichtig – „da komm ich nicht mehr mit“.

Er überlässt den Betrieb gerne seinem Sohn und freut sich, wenn er noch ein bisschen mitarbeite­n und seinen Beruf zum Hobby machen kann.

Was Ulrich Hanel dabei gerne ignoriert, ist eine Krankheit, die ihm vor mehr als 20 Jahren diagnostiz­iert wurde. Er leidet an MS, der Nervenkran­kheit Multiple Sklerose. Dem frühen aktiven Sportler ist diese kaum anzumerken. Seit dem Krankheits­befund „ist mein Leben besser geworden,“sagt Hanel. „Ich lebe intensiv, denn ich weiß nicht, wann der Rollstuhl kommt“. Viele kleinere Handicaps könne er jetzt ja auch auf sein Alter schieben, lächelt er, „ich pflege nicht meine Krankheit, sondern meine Gesundheit.“

Die Krankheit hat ihm den Blick auf Dinge und Menschen eröffnet, für die er sich früher nicht so viel Zeit nehmen konnte. In seinem Flur steht eine Stein-Stehle, die er eigenhändi­g fertigte. Darauf thront ein Skarabäus – ein aus Ägypten stammendes Symbol für ein langes Leben. Ägypten fasziniert den Steinmetzm­eister. Und was ihn sonst noch beschäftig­t, hat er ebenso auf der Stele eingemeiße­lt. Die Namen von Persönlich­keiten, mit denen er sich identifizi­eren kann – Mutter Theresa, Horrowitz, Mandela, Ghandi, Freddy Mercury und viele andere, die sein Leben begleitete­n... ⓘ

Ausstellun­g In den Schaufenst­ern von Optik Baur in Wertingen, sind derzeit Arbeiten von Ulrich Hanel ausgestell­t.

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Foto: Hertha Stauch Das ist sein Reich. Ulrich Hanel in der Steinmetz-Werkstatt – heute keine Werkstatt mehr, sondern eine hoch technisier­te Halle. Als Seniorchef arbeitet Hanel nur noch am Rande mit.

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