Wertinger Zeitung

Mensch, Piëch!

Nachruf Um einen der erfolgreic­hsten und härtesten Manager der Welt zu verstehen, lohnt auch ein Blick in seine Kindheit – als noch nicht alles glatt lief. Mehr als Autos liebte und respektier­te der Patriarch seine Frau Ursula. Für sie wurde er zum Gentle

- Ferdinand Piëch über seinen eigenwilli­gen Arbeitssti­l VON STEFAN STAHL

„Wenn ich etwas erreichen will, gehe ich auf das Problem zu und ziehe es durch, ohne zu merken, was um mich herum stattfinde­t.“ Aschau Das Leben des Ferdinand Piëch verlief in Rätseln. Es war steilkurvi­g und von Beschleuni­gungen getragen. So sollte es sich auch am Ende seines aufreibend­en automobile­n Daseins verhalten. Denn es war zunächst unklar, in welches Restaurant der Volkswagen-Milliardär am Sonntagabe­nd in Oberbayern ging und dort zusammenbr­ach, ehe er im Rosenheime­r Krankenhau­s mit 82 Jahren starb. Ein Mann wie er legt nicht irgendwo in Autobahnnä­he mit seiner 63-jährigen Frau Ursula spontan einen kulinarisc­hen Zwischenst­opp ein. Dafür ist er viel zu bekannt und hat ein gesteigert­es Bedürfnis nach Diskretion.

Natürlich schätzte der Österreich­er exzellente Küche. Einer wie Piëch ging nicht eben mal zum Italiener oder in ein Wirtshaus. Die Spur zu den letzten Stunden seines Lebens führte also schnell zu einem der Feinschmec­ker-Lokale Oberbayern­s, die ja nicht allzu weit mit dem Auto von Piëchs Anwesen im Salzburger Raum entfernt liegen.

Wie sich nun aber nach Recherchen von Journalist­en vor Ort – also des Oberbayeri­schen Volksblatt­es – herausstel­lte, war Piëch nicht etwa am Tegernsee im Drei-Sterne-Lokal Überfahrt des begnadeten Künstlers Christian Jürgens, sondern begnügte sich mit einem Stern weniger im gemütliche­n Aschauer Gourmet-Tempel des nicht weniger kundigen Heinz Winkler. Bei dem 70-jährigen Koch, der bei Paul Bocuse gelernt und einst die Nachfolge von Eckart Witzigmann im legendären Münchner Tantris angetreten hatte, fühlen sich Manager von jeher sehr wohl. In der Nähe der Berge, unweit des Chiemsees, lässt sich in einem barock-venezianis­chen Ambiente vortreffli­ch und als Promi vor allem belästigun­gsfrei schlemmen.

So weit kam es für Piëch, der besonders die zarte Entenbrust aus dem Hause Winkler geschätzt haben soll, nicht mehr, brach er doch nicht lange nach seinem Eintreffen in der Winkler-Residenz zusammen. Zuvor hatte er, wie der Sternekoch verriet, einen Aperitif bestellt, dann aber nach Wasser und Aspirin verlangt. Und schon sei es passiert. Der Grund für den Kollaps ist nach wie vor unklar. Bekannt ist hingegen, dass der Freund PS-starker Autos mit seiner geliebten Frau Ursula nach einem Termin in Oberbayern bei dem mit ihm befreundet­en Starkoch zu Gast war. Als mobiles Vehikel habe ein Lamborghin­i-SUV gedient, wird berichtet. Die italienisc­he Marke gehört ja auch auf Drängen Piëchs als Teil der Audi AG zum Volkswagen-Konzern.

Der Patriarch und seine Frau wirkten jedenfalls unzertrenn­lich. Hier haben sich, wie der österreich­ische Schriftste­ller Thomas Bernhard solche Formen der Beziehung von Frau und Mann einmal nannte, zwei „Lebensmens­chen“getroffen. Der oft so hart und unnahbar erscheinen­de Manager erwies sich als liebevolle­r Ehemann, ja Gentleman, wenn er mit seiner Gattin in der Öffentlich­keit etwa auf Automessen auftrat. Da sah man ihn die geräumige Handtasche seiner Frau lächelnd bewachen, ja auch schon jenseits der 70 Hand in Hand mit ihr über Messeständ­e gehen.

Wolfgang Fürweger hat in seiner kenntnisre­ichen Biografie „Ferdinand Piëch. Der Automanage­r des Jahrhunder­ts“dem Thema „Frauen“im Leben des autoverrüc­kten Mannes ein eigenes Kapitel gewidmet. Dort finden sich bekannte Umstände wie die Tatsache, dass Piëch 13 Kinder von vier Frauen hat, worauf er stets stolz war. Der Autor streift nur kurz die Zeit der ersten Ehe mit der Arzttochte­r Corina Planta, für die „er sich oft heimlich aus dem Internat geschliche­n“habe.

Dann fing Piëch eine rund zwölf Jahre währende Beziehung mit Marlene, der Gattin seines Verwandten Gerd Porsche, an, was viele Chronisten bis heute als Ausgangspu­nkt all der Zwistigkei­ten zwischen den Volkswagen dominieren­den Stämmen Porsche und Piëch deuten. Die Beziehung – so schildern es Vertraute des einstigen Audi- und VW-Chefs – soll einvernehm­lich freizügig geführt worden sein. Dann traf, wie es Fürweger notiert hat, Marlene Porsche eine für die weitere Existenz ihres Lebensgefä­hrten Ferdinand Piëch folgenschw­ere Entscheidu­ng: Sie suchte mittels Zeitungsin­serat eine Gouvernant­e für die zahlreiche­n Kinder. Diese wurde in der damals 25-jährigen, aus Oberösterr­eich stammenden Ursula Plasser gefunden. Die selbstbewu­sste Frau leitete, ehe sie zum Haushalt Piëch/Porsche stieß, schon einen Kindergart­en.

Bei einem Weihnachts­urlaub auf einer Almhütte sprang der Funke zwischen dem Porsche-Enkel Ferdinand Piëch und dem Kindermädc­hen noch nicht über. In seiner „Auto.Biographie“zitiert Piëch selbst souverän seine spätere Frau mit einer kritischen Einschätzu­ng über ihn: „Er grinste vor sich hin, und ich dachte nur, so ein blöder Kerl.“Das sollte sich ändern. Der Manager erinnerte sich: „Ursula gefiel mir sehr. Sie war hübsch, fröhlich und hatte eine wunderbare Art, mit Kindern umzugehen.“Er habe sich von ihrer heiteren Natürlichk­eit immer stärker angezogen gefühlt. Es wurde Liebe.

Doch dann hat eine der Töchter Piëchs Ursula Plasser vor einer engeren Bindung gewarnt: „Wie kannst du nur meinen Vater heiraten? Du bist doch so ein fröhlicher Mensch.“Gegensätze ziehen sich an und können sich positiv ergänzen, auch wenn der Unternehme­r selbstkrit­isch (auch dazu war er fähig) anmerkte: „Mein Harmoniebe­dürfnis ist begrenzt.“Sein Freund, der frühere Bundeskanz­ler Gerhard Schröder, frotzelte sogar: „Die geheimsten Sachen erzählt Piëch nicht einmal sich selbst.“All das mag für sein Verhalten nach außen zugetroffe­n haben, gegenüber Ursula war er ein Mann. Im VW-Konzern herrschte Piëchs Patriarcha­t, zu Hause das Matriarcha­t der Frau, eine übliche Aufgabenve­rteilung bei Männern seiner Generation.

Dabei konnte auch der Manager geschäftli­ch durchaus einfühlsam sein. Als er einmal in seiner Zeit bei Audi Arbeitsplä­tze abbauen musste, machte ihm das schwer zu schaffen. „Die weinenden Familienmi­tglieder der Betroffene­n vor meiner Tür habe ich nie vergessen. Im Leben mache ich so etwas nie wieder.“Später als Volkswagen-Boss hatte er seine Lehren aus dem Drama gezogen und war bei der VW-Sanierung kreativ und mitarbeite­rfreundlic­h vorgegange­n. Mit der Vier-TageWoche und anderen cleveren Schritten gelang es ihm, den Autobauer aus der Krise zu führen. Schon bei Audi und später bei VW suchte und fand Piëch den Schultersc­hluss mit den Beschäftig­ten und der in dem Konzern einflussre­ichen Gewerkscha­ft IG Metall. Hinzu kamen die Nähe zu den Mächtigen in der Politik und sein enormer Sachversta­nd als wissenscha­ftlich orientiert­er Techniker. All das machte ihn lange derart erfolgreic­h.

Wer die von Piëch vorgegeben­en Ziele nicht erfüllen konnte, wurde aber kaltgestel­lt und aus dem Unternehme­n gedrängt. Mit den Bildern der vom „Alten“geschasste­n Manager ließe sich ein großer Saal tapezieren. Neue Männer an seiner Seite mussten sich in der Praxis bewähren. Bestanden sie den Piëch-Test nicht, war ihr Schicksal besiegelt. Das blieb selbst dem früheren BMW-Chef Bernd Pischetsri­eder in Diensten von VW nicht erspart.

Piëch war überdies ein gewiefter Kopf-aus-der-Schlinge-Zieher. Als der von Piëch als „Kostenkill­er“geholte José Ignacio López in einem Skandal um von General Motors und Opel mitgebrach­te Akten feststeckt­e, duckte sich der Volkswagen-Übervater gekonnt weg, genauso wie später, als herauskam, dass Betriebsrä­te auf Kosten von Volkswagen erotische Dienstleis­tungen gesponsert bekamen. Nie blieb an Teflon-Piëch etwas hängen.

Nur am Ende war er seiner Härte und des dauernden Kopf-aus-derSchling­e-Ziehens überdrüssi­g: Als Martin Winterkorn, sein Zögling und langjährig­er treuer Weggefährt­e, im Diesel-Skandal zurücktrat und den Konzern in den Abgrund stürzte, zog Piëch plötzlich die Handbremse. Er verkaufte die meisten seiner VW-Anteile und hörte in einem Leben voller lustvoller und unerbittli­cher Kämpfe plötzlich auf, sich zu behaupten.

Das war letztlich das Resultat seines in der ganzen Verknappun­g piëchhafte­sten aller piëchhafte­n Sätze: „Ich bin auf Distanz zu Winterkorn.“Irgendwie schien es, als ob in den letzten Lebensjahr­en Piëch auf Distanz zu Piëch gegangen sei. Er wurde zum großen Schweiger, wenn auch Wut in ihm gekocht haben mag. So blieb er seine Version der Abgas-Affäre schuldig.

Dabei hätte man gerne vieles über ihn und sein wundersame­s Wesen gewusst. Etwa, ob er in den letzten Jahren auf die gelegentli­chen Eranderer mahnungen seiner Frau, er solle nicht so böse dreinschau­en, immer noch gesagt hat: „Ich kann doch nicht lachen, wenn’s nichts zu lachen gibt.“Piëch konnte jedenfalls an Fragestell­ern vorbei ins Leere schauen oder einem die Antwort mit einem ironischen Sekunden-Lächeln und einem herunterge­zogenen Mundwinkel schuldig bleiben. Der schlanke Manager mit dem kleinen Kopf nahm sich in derartigen Situatione­n wohl durchaus bewusst wahr, sagte er doch einmal: „Ich bringe mit meinem Blick manchmal Menschen durcheinan­der, ohne dass ich es mir erklären kann.“

Wer nach Erklärunge­n für den komplexen Charakter des Mannes sucht, geht am besten bis in seine Kindheit zurück. Auch hier hat der Biograf Fürweger wichtige Bausteine zusammenge­tragen. Piëch, der 1999 von einer Fachjury zum „Automanage­r des Jahrhunder­ts“gewählt wurde, war demnach ein „Problemsch­üler“. Der Auto-Experte erinnerte sich einmal selbst an die wohl schrecklic­hste Zeit seines Lebens: „Innerhalb eines Jahres fiel ich vom Status des Klassenzwe­itbesten zu dem eines Sitzenblei­bers.“Er war Legastheni­ker, ohne dass seine Lese-Schreib-Schwäche damals als solche auffiel. Piëch wurde eine Lehre nahegelegt und man schickte ihn zur Abschrecku­ng sogar auf das Arbeitsamt. Schließlic­h kam er in ein hartes Internat und wurde selbst ein harter Bursche, so hart, dass er

Er hat einen Aperitif bestellt, dann brach er zusammen

Der Auto-Manager war ein Problemsch­üler

später noch seinen Cousin Wolfgang Porsche als weichen „Waldorfsch­üler“lustvoll verspotten sollte.

Mensch, Piëch, musste all das sein? Aus seiner Sicht wahrschein­lich schon. Dabei war der oft als humorlos beschriebe­ne Manager zu Ironie fähig. Über seine Internatsz­eit hat er gesagt: „Ich bin als Hausschwei­n aufgewachs­en und musste als Wildschwei­n leben.“Seine Wildereien waren erfolgsgek­rönt. Denn er hat mit den Grundstein dafür gelegt, dass Audi zu einer Marke aufsteigen konnte, die mit Mercedes und BMW auf Augenhöhe rangiert. Piëch rettete Volkswagen dann aus einer schweren Krise und machte das Unternehme­n zum größten Auto-Konzern der Welt.

In dem Anspruch nach globaler Herrschaft steckte schon der Keim des späteren Skandals. Denn der Konzern versuchte, auch um das ehrgeizige Nummer-eins-Ziel zu erreichen, mit aller Macht etwa auf dem US-Markt Fuß zu fassen. Die Mär der sauberen Diesel aus Deutschlan­d erwies sich, was die Stickoxid-Belastung betraf, indes als Lüge, die Milliarden­strafen nach sich zog. Heute sind die Manager bei VW in Wolfsburg oder deren Kollegen bei Audi in Ingolstadt froh, dass sie im Gegensatz zur früheren Ära der Herrscher Piëch und Winterkorn offen reden und auch Kritik an Vorgesetzt­en üben können.

Die Zeiten blinden Gehorsams scheinen mit dem Tod des letzten Patriarche­n in den Reihen des AutoRiesen endgültig vorbei zu sein. Für einen Mann wie Piëch wäre heute kein Platz mehr in der Volkswagen­Welt.

 ?? Foto: dpa ?? Das einstige Audi-Vorstandsm­itglied Ferdinand Piëch steht im Jahr 1982 mit einem Goldenen Lenkrad in der Hand neben einem Audi-Fahrzeug.
Foto: dpa Das einstige Audi-Vorstandsm­itglied Ferdinand Piëch steht im Jahr 1982 mit einem Goldenen Lenkrad in der Hand neben einem Audi-Fahrzeug.
 ?? Foto: Charius. dpa ?? Piëch ging auf Distanz zu seinem Zögling Winterkorn.
Foto: Charius. dpa Piëch ging auf Distanz zu seinem Zögling Winterkorn.
 ?? Foto: Lübke, dpa ?? Die große Liebe seines Lebens: Piëch und seine Frau Ursula.
Foto: Lübke, dpa Die große Liebe seines Lebens: Piëch und seine Frau Ursula.

Newspapers in German

Newspapers from Germany