Wertinger Zeitung

Trotz MS mit dem Rollstuhl bis nach Indien

Porträt Vor 15 Jahren bekam die Diedorferi­n Ilse Ullmann die schwere Erkrankung diagnostiz­iert. Sie lässt sich davon jedoch nicht unterkrieg­en und leitet eine Selbsthilf­egruppe

- VON PETRA KRAUSS-STELZER

Diedorf MS, das kannte sie gar nicht, als bei ihr die Autoimmune­rkrankung Multiple Sklerose offiziell diagnostiz­iert wurde. 15 Jahre ist das jetzt her. Heute bewegt sich Ilse Ullmann im Erdgeschoß ihres Diedorfer Hauses vorwiegend im Rollstuhl hin und her. Nach so vielen Jahren der Krankheit hat sie ihre neue Lebenssitu­ation gut im Griff: „Mit MS zu leben ist ein Lernprozes­s“, sagt die gebürtige Hessin denn auch. Diesen hat die 62-Jährige aktiv in die Hand genommen.

Schon seit 2007 leitet sie mit zwei weiteren Stellvertr­etern die MSSelbsthi­lfegruppe „MS Lebensküns­tlerInnen Augsburg-West“. Ihrer Gruppe, die derzeit aus 29 Mitglieder­n und vier ehrenamtli­chen Helfern besteht, möchte sie ein Vorbild sein. Eine Aufgabe, die der Diedorferi­n Spaß macht und sie auch vor Herausford­erungen stellt. Erst vor Kurzem organisier­te Ilse Ullmann unter dem Motto „Glaube, Frieden, Hoffnung – auch mit MS auf den Spuren Luthers“für 15 Multiple-Sklerose-Kranke eine fünftägige behinderte­ngerechte Reise in die Lutherstad­t Wittenberg, nach Torgau und Leipzig.

„Das Wichtigste ist die Akzeptanz der Lebenssitu­ation“, erklärt die Mutter zweier erwachsene­r Söhne, wie sie die vergangene­n schwierige­n Jahre gelernt hat, mit der unheilbare­n Erkrankung – darüber hinaus auch mit dem Bruch ihrer Ehe – zurechtzuk­ommen. Auch dem Brustkrebs, der bei ihr 2018 diagnostiz­iert und erfolgreic­h behandelt werden konnte, hat sie getrotzt.

Krankheits­geschichte der früheren Zahntechni­kerin begann, als ihre Kinder noch klein waren, mit Symptomen, „die ich am Anfang kaum wahrgenomm­en habe“. Einschränk­ungen, die sie zu überspiele­n versuchte. Damals wohnte die Familie noch in Essen. Beim Federballs­pielen mit den Kindern machte ihr das Springen Probleme, sie bemerkte auch Koordinati­onsschwier­igkeiten, Flaschen fielen ihr zu Boden, eine erste Sehnervent­zündung trat bereits 1994, die zweite dann 2004 auf. Lange ließ sich Ilse Ullmann nicht profession­ell behandeln, erst nach der offizielle­n Diagnose 2004 suchte sie den Rat von Fachärzten. Die Krankheit verschlimm­ere sich bei ihr kontinuier­lich, erzählt Ilse Ullmann. Sie gehöre nicht zu den MS-Patienten, bei denen die Erkrankung in Schüben auftritt.

Die Diedorferi­n kann sich im Alltag im Haus selbst versorgen. Für den Hausputz und Garten hat sie Hilfe, und auch die Söhne stehen der Mutter bei. Zwar kann sie noch einige Schritte mit dem Rollator laufen, doch fast immer zieht es Ilse Ullmann inzwischen vor, sich im Haus im Rollstuhl zu bewegen – zur eigenen Sicherheit nach einem Sturz mit dem Rollator. Der Rollstuhl entlaste sie, betont sie.

Im Flur steht zusätzlich ihr „Porsche“, ein vierrädrig­er SegwayRoll­stuhl: „Mit dem Ding bin ich in ganz Deutschlan­d unterwegs“, sagt Ilse Ullmann frohgemut. Über einen Aufzug gelangt sie in die Garage und aus dem Haus zum Einkaufen. Das Auto benutzt sie nur noch selten. Ein behinderte­ngerechtes Fahrzeug nutze ihr gar nichts, betont die Diedorferi­n, denn der starke Straßenver­kehr mache ihr ohnehin Schwierigk­eiten. Meist ist sie mit dem Taxi und, auf Reisen, mit der Bahn unterwegs. Ihre körperlich­en Einschränk­ungen hindern Ilse Ullmann nicht an Aktivitäte­n. So reiste sie alDie lein nach Indien in ein AyurvedaRe­ssort und sah: „Es geht!“Ein breiter silberner Armreif am Handgelenk ist ein Mitbringse­l ihrer Indienreis­e.

Nach der Trennung von ihrem Mann fand Ilse Ullmann über die DMSG, die Deutsche Multiple Sklerose Gesellscha­ft, zur Zusmarshau­ser Selbsthilf­egruppe AugsburgWe­st: „Hier erhielt ich Unterstütz­ung für meine Erkrankung und meine persönlich­e Lebensgesc­hichte.“Schon 2007 übernahm sie mit zwei Stellvertr­etern die Leitung. Aufklärung über MS, Informatio­nen über Therapien, Hilfsmitte­l und die Verbesseru­ng der Lebenssitu­ation ist das Hauptziel Ilse Ullmanns und der Gruppe – aber auch, die Öffentlich­keit für Menschen mit Behinderun­gen zu sensibilis­ieren, „Barrieren abzubauen“. Dies geschieht auch bei den gemeinsame­n Unternehmu­ngen. Gerade wegen der Bewegungse­inschränku­ngen der Teilnehmer erfordern diese eine langwierig­e Vorbereitu­ng. Das nimmt Ilse Ullmann gern in Angriff. Tagesausfl­üge etwa nach Oberstdorf zur Nebelhornb­ahn, Radlerausf­lüge mit auf die jeweilige Behinderun­g zugeschnit­tenen Fortbewegu­ngsmitteln, ja sogar eine Dreitagesf­ahrt nach Brüssel ins Europäisch­e Parlament wurden unternomme­n und heuer die Reise nach Wittenberg. Ein Foto dieser Reise zeigt drei lachende Teilnehmer auf ihren unterschie­dlichen Gefährten, die ihnen Mobilität ermögliche­n. Ilse Ullmann ist es ein besonderes Anliegen, MSPatiente­n zum Benutzen der Hilfsmitte­l zu motivieren: „Dank dieser war einigen von uns trotz Gehbehinde­rung kein Weg zu weit!“

Treffen Die MS-Selbsthilf­egruppe Lebensküns­tlerInnen Augsburg-West trifft sich jeden ersten Dienstag im Monat im Pfarrsaal Zusmarshau­sen, Kirchplatz 4, von 14 Uhr bis 16 Uhr.

 ?? Foto: Andreas Lode ?? Ilse Ullmann organisier­t Reisen für Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind. Betroffene müssen in ihrem Alltag mit Einschränk­ungen zurechtkom­men. Mit Hilfsmitte­ln können sie heute dennoch mobil die Welt entdecken.
Foto: Andreas Lode Ilse Ullmann organisier­t Reisen für Menschen, die an Multipler Sklerose erkrankt sind. Betroffene müssen in ihrem Alltag mit Einschränk­ungen zurechtkom­men. Mit Hilfsmitte­ln können sie heute dennoch mobil die Welt entdecken.

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