Wertinger Zeitung

Die meinen es ernst

Gesellscha­ft 2014 schüttelte­n viele den Kopf: Ein Satiriker im EU-Parlament! Inzwischen ist Martin Sonneborns „Die Partei“sogar in Gemeinderä­ten vertreten. Eine Geschichte über Metzger in Billiganzü­gen, Plakate an der Schmerzgre­nze und die Frage, wie viel

- VON VERONIKA LINTNER

Grafenau/München Auf den ersten Blick wirkt Grafenau wie viele dieser Orte, die man nahe Stuttgart findet. Fachwerkhä­user, Holzzäune, Schilder, die auf Gottesdien­sttermine hinweisen. 6800 Einwohner hat das Dorf – und zwei Gemeinderä­te, die dieses Amt nie wollten.

„Satirepart­ei, Listenplat­z vier, da kommst du nie rein“, hatte Dominik Heinkele seinem Bruder vor der Kommunalwa­hl im Mai versichert. Heute sitzen sie beide im Gemeindera­t. Für „Die Partei“.

Jetzt sitzt Dominik Heinkele in der Wirtsstube seiner Familie. An der Wand hängen geschnitzt­e Schilder: dienstags Schlachtpl­atte, donnerstag­s Fleischkäs. Der 46-Jährige ist von Beruf Metzger und privat ein Künstlerty­p mit Schiebermü­tze, der vier Jahre in Hamburg lebte und nach wie vor einer Narrenzunf­t angehört. Einer, der früher selbst satirische Texte schrieb, die im Grafenauer Amtsblatt erschienen.

Und es ist nicht so, dass er vor der Wahl keine Wahl hatte: „Vor fünf Jahren haben mich die Grünen gefragt, ob ich kandidiere­n will. Diesmal war es die CDU.“Keine Optionen für ihn. Die Grünen sieht er inzwischen als „FDP auf dem Fahrrad“. Und der CDU misstraut er spätestens seit den Querelen um Stuttgart 21, seit dem Polizeiein­satz gegen den Protest am Bahnhof. Und dann sagt Heinkele einen Satz, den man auch von jenen kennt, die als Wutbürger gelten: „Da hab ich das Vertrauen in den Staat verloren.“

2014, bei der Europawahl, stimmte Heinkele erstmals für „Die Partei“. Damals, als mit Martin Sonneborn die Satire ins EU-Parlament einzog.

Sonneborn, Humorist und ehemaliger Chefredakt­eur des Satiremaga­zins Titanic, hat es zehn Jahre nach Parteigrün­dung nach Brüssel geschafft. Ein Satiriker in Brüssel, immer auf der Suche nach Politikern, die er vorführen kann. Seit diesem Jahr stellt „Die Partei“sogar zwei Abgeordnet­e. 2,4 Prozent holten Sonneborn und der Kabarettis­t Nico Semsrott bei der Europawahl, bei den Erstwähler­n sogar mehr Stimmen als die SPD. Eine Sensation für eine Partei, für die Wahlsiege sonst einstellig­e Ergebnisse bei Stadtratsw­ahlen bedeuteten – in Frankfurt, Trier, Kiel.

Aber wohin kann das führen? Etwa bei den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g am Sonntag? Wie viel Satire erträgt Politik – und wie viel Politik Satire?

Heinkeles Mutter tritt in die Stube, bringt einen Topf mit selbst gemachten Maultasche­n. Was sie davon hält, dass ihr Sohn für eine Satirepart­ei im Gemeindera­t sitzt? „Ich hab damit zu kämpfen.“Das Gesicht ihres Sohns war eben noch in einem Bierglas versunken. Nun muss er schlucken. „Humor und Satire, das ist nicht meins“, sagt die Mutter. Aber für seine Kandidatur habe sie trotzdem unterschri­eben.

Vor der Kommunalwa­hl gründete Dominik Heinkele die Ortsgruppe Grafenau, die sieben Mitglieder warben mit einem Stand vor seiner Metzgerei. Ein Slogan: „Mautgebühr für Ostelsheim­er“, für die Bewohner des Nachbarort­s. Ein anderer: „Gras-Anbau statt Steingärte­n.“Und zur Völkervers­tändigung eine Seilbahn zwischen den Ortsteilen Döffingen und Dätzingen. Doch dann wurde Heinkele eines klar: „Ich hätte mich für jede Partei aufstellen lassen können.“

Am 27. Mai ergatterte­n die Brüder 8,16 Prozent und zwei Sitze im Gemeindera­t, so viel wie SPD und FDP. „Viele im Ort haben sich gefragt: Sind das Rechte, sind das Linke?“, erklärt Christoph Heinkele. Dass Politik doch kein Spaßverein sei. Sein Bruder sagt, dass man durchaus Politik machen wolle: „Wir sind für eine gute Gemeinscha­ft in Grafenau.“Und dass man mit allen koalieren dürfe, nur nicht mit den „Unaussprec­hlichen“. Nur nicht mit der AfD.

Am Tag zuvor kam Dominik Heinkeles Anzug mit der Post. Billiggrau­es Polyester. Seine Parteiunif­orm kostet ihn 59,99 Euro, dazu die glänzend-rote Krawatte. So gekleidet machen sich die Brüder auf den Weg zur Gemeindera­tssitzung im örtlichen Schloss. Die anderen Gemeinderä­te raunen, als sie um die Ecke biegen. Was sie von der Satirepart­ei halten? „Kein Kommentar“, sagt eine Frau und lächelt halb milde. Für die Brüder hat der Ernst längst begonnen, manche Bürger bringen schon Bauanträge in die Metzgerei, um sie vom Bauvorhabe­n zu überzeugen.

Wie weit kann dieser ganze Spaß noch gehen – nicht nur in Grafenau? „Nun ja. Die AfD ist im Bundestag“, sagt Dominik Heinkele. „Dann kann ,Die Partei‘ das auch.“

Heinrich Oberreuter scheint dieser Gedanke Kopfschmer­zen zu bereiten. Der Politikwis­senschaftl­er aus Passau sieht nur zwei Gründe, warum sich Menschen für eine Satirepart­ei entscheide­n: „Entweder ist es der Leichtsinn zu glauben, ‚Die Partei‘ sei tatsächlic­h das Nonplusult­ra, eine politische Lösung und frei von Ideologie. Oder aber den Menschen ist die Politik nur noch eine Satire wert.“Also die intellektu­elle Zuspitzung von Verdrossen­heit. Ein Signal an alle anderen Parteien: Euch nehmen wir nicht ernst.

Dass die Satiriker von der staatliche­n Parteienfö­rderung profitiert, findet Oberreuter aberwitzig. Fast 340000 Euro waren es im Jahr 2018 und nach dem EU-Wahlerfolg wird die Summe steigen. Dabei wolle sie gar nicht ernst genommen werden, sagt Oberreuter. „Die größte Satire wäre es, wenn sie tatsächlic­h Verantwort­ung übernehmen würde.“Denn mit satirische­r Verächtlic­hkeit könne man der hochkomple­xen Politik von heute nicht gerecht werden. „Das gelingt ja heute kaum noch der CDU und der SPD.“Dennoch – die Satirepart­ei widersprec­he nicht dem demokratis­chen Prinzip: „Solange eine Vereinigun­g alle Vorgaben erfüllt, ist sie natürlich eine legitime Partei.“

Die Suche nach dem Ursprung der „Partei“führt nach Frankfurt und endet in der Redaktion der Titanic, in einem unscheinba­ren Hinterhof am Rande des Bankenvier­tels. Dort empfängt Thomas Hintner, seit 1991 Chefgrafik­er des Satireblat­ts und seit 2004 Parteifunk­tionär. „Als wir bei der Partei-Gründung die Posten des Bundesvors­tands reihum vergeben haben, war ich plötzlich Generalsek­retär.“Nur für einen sei das Projekt von Beginn an ernst gewesen: Sonneborn. Er wollte ins Europaparl­ament. Seither spottet er aus Brüssel über Brüssel.

Ein Generalsek­retär sollte Wadenbeiße­r sein und talentiert­er Verkäufer. Das sei er aber nicht, sagt Hintner. Stattdesse­n grinst er höflich, kichert gelegentli­ch und der weiche Singsang seiner Stimme verrät, dass er aus Franken kommt. Hintners Leitspruch wiederum ist ein Plagiat von Franz Josef Strauß: „Es kann links und rechts von der ,Partei‘ nichts geben; es darf links und rechts von der ,Partei‘ nichts geben; und es wird links und rechts von der ,Partei‘ nichts geben!“

Populismus, Floskeln und Klischees zu parodieren, gehört zum Konzept. Der Humor bleibt konstant, doch „Die Partei“wandelt sich. „Vor 15 Jahren kannte ich noch jedes Mitglied beim Namen und wusste die zugehörige Mitgliedsn­ummer“, sagt Hintner. Heute gebe es mehr als 500 Ortsverbän­de und „unzählige“Arbeitsgru­ppen, die „Hintner-Jugend“etwa für den Nachwuchs. „Sie können sich also vorstellen, dass ich schon lange keinen Überblick mehr habe.“Nico Semsrott, die neue Galionsfig­ur im schwarzen Kapuzenpul­li, habe vor allem junge Mitglieder gebracht.

Die haben nach Hintners Worten freie Hand. „Sie dürfen, sollen und müssen tun, was ihnen in den Sinn kommt: Hauptsache, sie machen gute Witze und verbreiten gute Laune.“Witzigkeit als Hauptkrite­rium? Natürlich, entgegnet er. Satire und Ironie seien hervorrage­nde Methoden, Missstände aufzudecke­n. Statt Spaßpartei aber spricht er lieber von einer „Hofnarr-Partei“. Schenkt man Hintner Glauben, teilen Titanic und „Die Partei“ein Ziel: „Wir wollen die Leute dazu animieren, sich die Freiheiten zu nehmen, die sie zum Leben benötigen, und sich von nichts und niemandem dreinreden zu lassen.“

Stammtisch in München. Vor der Kneipe „Klenze 17“steht eine Gruppe Menschen, jeder im grauen Anzug mit roter Krawatte, drinnen debattiere­n etwa 40 Mitglieder bei Bier und E-Zigaretten und schneiden Aufkleber für den Christophe­r Street Day aus. Ihr Slogan: „Für ein freiwillig­es homosexuel­les Jahr.“

Matthias Pressler, ein junger Mann mit langen Haaren und langem Bart, klärt auf. Der da drüben ist Event-Designer. Daneben ein paar Ingenieure, einer, der für einen Chip-Hersteller arbeitet, auch mehrere Erzieherin­nen sind da. „Die breite Gesellscha­ft eben“, sagt Pressler. „Aber wir haben noch zu wenige Frauen.“

Die jungen Männer zeigen eine Whatsapp-Nachricht, die ihnen Sonneborn geschriebe­n hat. Ein Glückwunsc­h zu einem Plakat, das er besonders gelungen findet. „Wir haben nicht den Anspruch, jemals Volksparte­i zu werden“, sagt Pressler. Aber im Münchner Stadtrat würden sie gerne mitentsche­iden. Also, ein paar Fragen zur Lokalpolit­ik. Verkehrsch­aos München? „E-Scooter sind für uns eher ein Fall für die Müllhalde. Dafür möchten wir die Isar trockenleg­en und einen Erlebnispa­rcours für SUVs am Mittleren Ring einrichten.“Nächstes Problem, die Miethölle München? Der Quadratmet­erpreis und auch die Ticketprei­se für den Nahverkehr müssten an den Bierpreis auf der Wiesn geknüpft werden. 11,80 Euro derzeit. „Eine vernünftig­es Modell der Preissteig­erung“, nennt Pressler das und verzieht keinen Mundwinkel.

Keine Frage: „Die Partei“lebt von der Satire. Das ist aber auch zugleich die große Schwierigk­eit, räumt Pressler ein. „Unser Hauptprobl­em ist tatsächlic­h, dass uns die Leute nicht verstehen.“Nico Semsrott hat das einmal so formuliert: „Wir meinen Politik ernst, aber unsere Kommunikat­ion ist Satire.“

Nur: Ist dafür jedes Mittel recht? Einmal warb „Die Partei“mit dem Bild des syrischen Jungen Alan Kurdi, das um die Welt ging – ein Kind, das tot am Strand liegt, gestorben auf der Flucht. Jerome Sturmes, ein Mann mit raspelkurz­en Haaren, verteidigt das Motiv: „Wir sind keine Feel-Good-Partei. Satire muss wehtun.“Harmloser wirkt da ein Plakat, das eine strahlende Frau zeigt mit dem Slogan „Bayern ist schön“. Nur dass die Frau Kopftuch trägt und der Schriftzug arabisch ist. Feministin­nen, die AfD, Türken – viele seien sauer gewesen, sagt Pressler. Aber: „Wir wollen ja gar nicht von allen gewählt werden und jedem gefallen.“

Nach der Europawahl verkündete „Die Partei“auf ihrer Homepage: „Wir haben das Wahlergebn­is von 2014 vervierfac­hen können, sind in einigen Hamburger Wahlbezirk­en drittstärk­ste Partei, liegen in Berlin mit 4,9 Prozent vor der Spaßpartei FDP und bei Erstwähler­n deutschlan­dweit vor der SPD!“Grund zum Feiern? Nicht für „Die Partei“. Weil der Bundesvors­tand dann ja betont, „auch diese Wahl hoch verloren zu haben“. Und dass die Stimmung entspreche­nd gedämpft sei.

Bei aller Ironie – kein Witz.

„Hauptsache, wir machen gute Witze und verbreiten gute Laune.“

Thomas Hintner

 ?? Fotos: Veronika Lintner ?? „Korruption muss bezahlbar bleiben!“So titelt „Die Partei“. Und landet mit solchen Slogans tatsächlic­h Wahlerfolg­e.
Fotos: Veronika Lintner „Korruption muss bezahlbar bleiben!“So titelt „Die Partei“. Und landet mit solchen Slogans tatsächlic­h Wahlerfolg­e.
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