Haben diese Jobs eine Zukunft?
Titel-Thema Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Geflüchteten, die eine feste Anstellung gefunden haben, rasant gestiegen. Für den bayerischen Innenminister ist das ein Grund zur Freude. Doch bevor Jubel ausbricht, lohnt es sich, die Zahlen genauer zu be
Augsburg Etwas mehr als eine Woche ist es her, da hat der bayerische Innenminister Joachim Herrmann den Freistaat mal wieder gelobt. Bayern sei vorbildlich, waren seine Worte. Worum es diesmal ging? Um die Integration von Flüchtlingen auf dem Arbeitsmarkt. Tatsächlich ist das ein Erfolg: 54 900 Menschen aus den acht wichtigsten Herkunftsländern – also Afghanistan, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien – haben inzwischen eine Anstellung im Freistaat gefunden. Das sind 26 Prozent mehr als vor einem Jahr. Bezogen auf alle Geflüchteten im arbeitsfähigen Alter sind es etwa 35 Prozent. Bis zum Oktober wird die Zahl vermutlich auf 40 Prozent steigen, schätzt Professor Herbert Brücker, vom Institut für Arbeitsmarktund Berufsforschung in Nürnberg (IAB). Da hat der Freistaat das Lob des Innenministers verdient, oder?
Guckt man sich die Zahlen genauer an, zeigt sich: In Bayern läuft zwar vieles gut, es könnte aber besser sein. Die Geflüchteten finden überwiegend in fünf Branchen Jobs, teilt die bayerische Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit mit: im verarbeitenden Gewerbe, in der Zeitarbeit, im Handel, im Gastgewerbe und in den sogenannten wirtschaftsnahen Dienstleistungen – dazu zählt etwa die Gebäudereinigung. 47 Prozent der Geflüchteten machen Helferjobs. 45 Prozent sind als Facharbeiter angestellt, acht Prozent auf der Stufe eines Experten, heißt es weiter. In diese drei Kategorien unterteilt die Arbeitsagentur die Qualifikation eines Arbeiters. Helfer sind ungelernt, Fachkräfte ausgebildet und Spezialisten oder Experten haben eine weiterführende Ausbildung oder ein Studium abgeschlossen.
Der Arbeitsmarktforscher Brücker ist durchaus zufrieden mit diesen Zahlen. „Es hat mich gefreut, dass so viele als Fachkräfte eine Anstellung gefunden haben“, sagt er. Er hat zusammen mit mehreren Kollegen genauer untersucht, wer die Menschen sind, die nach Deutschland gekommen sind, wie gut sie gebildet sind, wie viel Berufserfahrung sie haben und wo sie einen Job finden. Die Zahlen, die der Untersuchung zugrunde liegen, stammen aus dem Jahr 2017. Doch in etwa dürften sie noch heute gelten, sagt Brücker.
Seine Freude über das Fachkräfteniveau rührt daher, dass nur etwa ein Fünftel der Flüchtlinge einen Schulabschluss hat, der mit einem Haupt- oder Realschulabschluss vergleichbar ist – in Deutschland liegt die Zahl bei 55 Prozent der Bevölkerung. „Sie haben aber im Durchschnitt schon zehn Jahre gearbeitet. Da ist es gut, zu sehen, dass sie diese Erfahrung in eine Einstellung ummünzen können“, sagt Brücker.
Die Studie der Nürnberger Arbeitsmarktforscher bietet weitere Einblicke in das Berufsleben der Geflüchteten. Im Durchschnitt verdienen sie 1600 Euro brutto im Monat – knapp halb so viel wie der Bundesdurchschnitt. Flüchtlinge, deren Asylantrag angenommen wird, verdienen im Schnitt mehr als jene, die nur geduldet sind. Auch sie dürfen arbeiten. „Das spricht aus unserer Sicht dafür, dass Geduldete sich möglichst schnell einen Job suchen, während anerkannte Flüchtlingeauf ein gutes Angebot warten“, sagt er. Das liege auch daran, dass Flüchtlinge, wie viele Migranten, Geld in die Heimat schicken. Das, so vermutet Wido Geis-Thöne, der für das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zu Migration forscht, ist für viele auch ein Grund, keine Ausbildung zu machen, sondern gleich zu arbeiten.
Genau auf Lehrlinge hatten Wirtschaftsverbände und Unternehmen gehofft, Flüchtlinge für die Ausbildung gewinnen zu können. Und unter den Geflüchteten seien auch viele Menschen mit Bildungsambitionen, schreiben die Nürnberger Wissenschaftler. Allerdings, gibt GeisThöne zu bedenken: Der Weg in die Ausbildung ist lang. „Die meisten müssen erst die Sprache lernen, dann machen sie Praktika und erst dann können sie eine Ausbildung beginnen“, sagt er. Deutschlandweit machen momentan etwa 30000 Flüchtlinge eine Ausbildung, in Bayern sind es 8976, teilt die Arbeitsagentur mit.
Dass viele Geflüchtete lieber schnell arbeiten möchten, erklärt auch, warum relativ viele in Helferjobs landen. „Die Quote ist verglichen mit der deutschen Bevölkerung ziemlich hoch“, sagt Brücker. Etwa elf Prozent der Deutschen üben Helferjobs aus. „Aber vergleicht man sie mit der Quote unter allen Migranten – also auch Menschen aus EU-Ländern wie Rumänien oder Polen – ist sie gleich hoch.“Stellt sich die Frage, wie zukunftssicher die Jobs sind, die Flüchtlinge machen.
Generell lässt sich an den Arbeitsmarktzahlen erkennen: Je besser jemand ausgebildet ist, desto geringer ist seine Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu werden. Der Arbeitsmarktforscher Brücker sagt außerdem: Die Frage müsse in zwei Punkte unterteilt werden: Zum eine jene nach dem strukturellen Wandel. Zum anderen die nach der Entwicklung der Konjunktur.
Wenn es um den strukturellen Wandel geht, spricht Brücker vor allem die Digitalisierung an. „An der Frage, welche Auswirkungen sie haben wird, scheiden sich die Forschergeister“, sagt er. Die größere Gruppe gehe davon aus, dass durch die Digitalisierung viele einfache Jobs wegfallen. Also Helferjobs. Die andere Gruppe glaubt an eine Polarisierung. Das heißt: Auf der einen Seite werden mehr Menschen gebraucht, die einfache Jobs machen. Auf der anderen Seite mehr Spezialisten. Facharbeiter hätten es in diesem Szenario schwer. „Wenn wir uns die Neueinstellungen der vergangenen Zeit anschauen, dann geht es eher in Richtung der Polarisierung“, sagt Brücker.
Der zweite Punkt ist die Abkühlung der Konjunktur. Viele Flüchtlinge arbeiten in der Zeitarbeit, im Handel oder der Logistik. Alles Branchen, die durch eine starke Nachfrage im In- und Ausland getrieben werden. In der Zeitarbeit macht sich schon jetzt bemerkbar, dass die Konjunktur abflaut: Stellen von Leiharbeitern werden gestrichen. „Aber die Zeitarbeit ist für Flüchtlinge ein Weg in eine Anstellung“, sagt Geis-Thöne. So könnten sie Berufserfahrung beweisen. „Ansonsten stimmt es schon, dass der Abschwung zuerst Zeitarbeiter trifft“, sagt Brücker. Branchen wie Handel und Logistik sind dagegen stark von der Nachfrage im Inland abhängig. Sind die Verbraucher in Kauflaune, florieren sie. Und noch geht es ihnen gut.
Wie zukunftsfähig sind also die Jobs, in denen Flüchtlinge landen? Abschließend zu beantworten ist das nicht. Es kommt darauf an, wie sich die Wirtschaft entwickelt, was die Digitalisierung bringt. Aber Brücker sagt: „Betrachtet man die Frage aber über längere Zeit, sieht man: Migranten sind überdurchschnittlich von der Konjunktur abhängig.“
Geflüchtete arbeiten vor allem in fünf Branchen