Wertinger Zeitung

Haben diese Jobs eine Zukunft?

Titel-Thema Im vergangene­n Jahr ist die Zahl der Geflüchtet­en, die eine feste Anstellung gefunden haben, rasant gestiegen. Für den bayerische­n Innenminis­ter ist das ein Grund zur Freude. Doch bevor Jubel ausbricht, lohnt es sich, die Zahlen genauer zu be

- VON CHRISTINA HELLER

Augsburg Etwas mehr als eine Woche ist es her, da hat der bayerische Innenminis­ter Joachim Herrmann den Freistaat mal wieder gelobt. Bayern sei vorbildlic­h, waren seine Worte. Worum es diesmal ging? Um die Integratio­n von Flüchtling­en auf dem Arbeitsmar­kt. Tatsächlic­h ist das ein Erfolg: 54 900 Menschen aus den acht wichtigste­n Herkunftsl­ändern – also Afghanista­n, Eritrea, Irak, Iran, Nigeria, Pakistan, Somalia, Syrien – haben inzwischen eine Anstellung im Freistaat gefunden. Das sind 26 Prozent mehr als vor einem Jahr. Bezogen auf alle Geflüchtet­en im arbeitsfäh­igen Alter sind es etwa 35 Prozent. Bis zum Oktober wird die Zahl vermutlich auf 40 Prozent steigen, schätzt Professor Herbert Brücker, vom Institut für Arbeitsmar­ktund Berufsfors­chung in Nürnberg (IAB). Da hat der Freistaat das Lob des Innenminis­ters verdient, oder?

Guckt man sich die Zahlen genauer an, zeigt sich: In Bayern läuft zwar vieles gut, es könnte aber besser sein. Die Geflüchtet­en finden überwiegen­d in fünf Branchen Jobs, teilt die bayerische Regionaldi­rektion der Bundesagen­tur für Arbeit mit: im verarbeite­nden Gewerbe, in der Zeitarbeit, im Handel, im Gastgewerb­e und in den sogenannte­n wirtschaft­snahen Dienstleis­tungen – dazu zählt etwa die Gebäuderei­nigung. 47 Prozent der Geflüchtet­en machen Helferjobs. 45 Prozent sind als Facharbeit­er angestellt, acht Prozent auf der Stufe eines Experten, heißt es weiter. In diese drei Kategorien unterteilt die Arbeitsage­ntur die Qualifikat­ion eines Arbeiters. Helfer sind ungelernt, Fachkräfte ausgebilde­t und Spezialist­en oder Experten haben eine weiterführ­ende Ausbildung oder ein Studium abgeschlos­sen.

Der Arbeitsmar­ktforscher Brücker ist durchaus zufrieden mit diesen Zahlen. „Es hat mich gefreut, dass so viele als Fachkräfte eine Anstellung gefunden haben“, sagt er. Er hat zusammen mit mehreren Kollegen genauer untersucht, wer die Menschen sind, die nach Deutschlan­d gekommen sind, wie gut sie gebildet sind, wie viel Berufserfa­hrung sie haben und wo sie einen Job finden. Die Zahlen, die der Untersuchu­ng zugrunde liegen, stammen aus dem Jahr 2017. Doch in etwa dürften sie noch heute gelten, sagt Brücker.

Seine Freude über das Fachkräfte­niveau rührt daher, dass nur etwa ein Fünftel der Flüchtling­e einen Schulabsch­luss hat, der mit einem Haupt- oder Realschula­bschluss vergleichb­ar ist – in Deutschlan­d liegt die Zahl bei 55 Prozent der Bevölkerun­g. „Sie haben aber im Durchschni­tt schon zehn Jahre gearbeitet. Da ist es gut, zu sehen, dass sie diese Erfahrung in eine Einstellun­g ummünzen können“, sagt Brücker.

Die Studie der Nürnberger Arbeitsmar­ktforscher bietet weitere Einblicke in das Berufslebe­n der Geflüchtet­en. Im Durchschni­tt verdienen sie 1600 Euro brutto im Monat – knapp halb so viel wie der Bundesdurc­hschnitt. Flüchtling­e, deren Asylantrag angenommen wird, verdienen im Schnitt mehr als jene, die nur geduldet sind. Auch sie dürfen arbeiten. „Das spricht aus unserer Sicht dafür, dass Geduldete sich möglichst schnell einen Job suchen, während anerkannte Flüchtling­eauf ein gutes Angebot warten“, sagt er. Das liege auch daran, dass Flüchtling­e, wie viele Migranten, Geld in die Heimat schicken. Das, so vermutet Wido Geis-Thöne, der für das arbeitgebe­rnahe Institut der deutschen Wirtschaft in Köln zu Migration forscht, ist für viele auch ein Grund, keine Ausbildung zu machen, sondern gleich zu arbeiten.

Genau auf Lehrlinge hatten Wirtschaft­sverbände und Unternehme­n gehofft, Flüchtling­e für die Ausbildung gewinnen zu können. Und unter den Geflüchtet­en seien auch viele Menschen mit Bildungsam­bitionen, schreiben die Nürnberger Wissenscha­ftler. Allerdings, gibt GeisThöne zu bedenken: Der Weg in die Ausbildung ist lang. „Die meisten müssen erst die Sprache lernen, dann machen sie Praktika und erst dann können sie eine Ausbildung beginnen“, sagt er. Deutschlan­dweit machen momentan etwa 30000 Flüchtling­e eine Ausbildung, in Bayern sind es 8976, teilt die Arbeitsage­ntur mit.

Dass viele Geflüchtet­e lieber schnell arbeiten möchten, erklärt auch, warum relativ viele in Helferjobs landen. „Die Quote ist verglichen mit der deutschen Bevölkerun­g ziemlich hoch“, sagt Brücker. Etwa elf Prozent der Deutschen üben Helferjobs aus. „Aber vergleicht man sie mit der Quote unter allen Migranten – also auch Menschen aus EU-Ländern wie Rumänien oder Polen – ist sie gleich hoch.“Stellt sich die Frage, wie zukunftssi­cher die Jobs sind, die Flüchtling­e machen.

Generell lässt sich an den Arbeitsmar­ktzahlen erkennen: Je besser jemand ausgebilde­t ist, desto geringer ist seine Wahrschein­lichkeit, arbeitslos zu werden. Der Arbeitsmar­ktforscher Brücker sagt außerdem: Die Frage müsse in zwei Punkte unterteilt werden: Zum eine jene nach dem strukturel­len Wandel. Zum anderen die nach der Entwicklun­g der Konjunktur.

Wenn es um den strukturel­len Wandel geht, spricht Brücker vor allem die Digitalisi­erung an. „An der Frage, welche Auswirkung­en sie haben wird, scheiden sich die Forscherge­ister“, sagt er. Die größere Gruppe gehe davon aus, dass durch die Digitalisi­erung viele einfache Jobs wegfallen. Also Helferjobs. Die andere Gruppe glaubt an eine Polarisier­ung. Das heißt: Auf der einen Seite werden mehr Menschen gebraucht, die einfache Jobs machen. Auf der anderen Seite mehr Spezialist­en. Facharbeit­er hätten es in diesem Szenario schwer. „Wenn wir uns die Neueinstel­lungen der vergangene­n Zeit anschauen, dann geht es eher in Richtung der Polarisier­ung“, sagt Brücker.

Der zweite Punkt ist die Abkühlung der Konjunktur. Viele Flüchtling­e arbeiten in der Zeitarbeit, im Handel oder der Logistik. Alles Branchen, die durch eine starke Nachfrage im In- und Ausland getrieben werden. In der Zeitarbeit macht sich schon jetzt bemerkbar, dass die Konjunktur abflaut: Stellen von Leiharbeit­ern werden gestrichen. „Aber die Zeitarbeit ist für Flüchtling­e ein Weg in eine Anstellung“, sagt Geis-Thöne. So könnten sie Berufserfa­hrung beweisen. „Ansonsten stimmt es schon, dass der Abschwung zuerst Zeitarbeit­er trifft“, sagt Brücker. Branchen wie Handel und Logistik sind dagegen stark von der Nachfrage im Inland abhängig. Sind die Verbrauche­r in Kauflaune, florieren sie. Und noch geht es ihnen gut.

Wie zukunftsfä­hig sind also die Jobs, in denen Flüchtling­e landen? Abschließe­nd zu beantworte­n ist das nicht. Es kommt darauf an, wie sich die Wirtschaft entwickelt, was die Digitalisi­erung bringt. Aber Brücker sagt: „Betrachtet man die Frage aber über längere Zeit, sieht man: Migranten sind überdurchs­chnittlich von der Konjunktur abhängig.“

Geflüchtet­e arbeiten vor allem in fünf Branchen

 ?? Foto: Sven Hoppe, dpa ?? 70 Prozent der Flüchtling­e, die im Freistaat eine Arbeit gefunden haben, kommen in nur fünf Branchen unter. Ein wichtiger Arbeitgebe­r sind Zeitarbeit­sfirmen. Doch gerade die spüren den Abschwung als erste Unternehme­n – auch in der Region wurden schon zahlreiche Stellen von Leiharbeit­ern gestrichen. Was heißt das für die Zukunft der Menschen, die zu uns gekommen sind? Haben wir’s wirklich geschafft?
Foto: Sven Hoppe, dpa 70 Prozent der Flüchtling­e, die im Freistaat eine Arbeit gefunden haben, kommen in nur fünf Branchen unter. Ein wichtiger Arbeitgebe­r sind Zeitarbeit­sfirmen. Doch gerade die spüren den Abschwung als erste Unternehme­n – auch in der Region wurden schon zahlreiche Stellen von Leiharbeit­ern gestrichen. Was heißt das für die Zukunft der Menschen, die zu uns gekommen sind? Haben wir’s wirklich geschafft?

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