Wertinger Zeitung

Warum Altmaier nichts tut

Konjunktur Sollte die Wirtschaft im Herbst schrumpfen, rutscht Deutschlan­d in eine Rezession. Doch der Wirtschaft­sminister schweigt

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Wirtschaft ist zur Hälfte Psychologi­e. Deshalb beißen sich Kanzlerin Angela Merkel und ihr CDUParteik­ollege, Wirtschaft­sminister Peter Altmaier, auf die Zunge. Nur nicht viel davon sprechen, dass der zehn Jahre währende Aufschwung austrudelt. Denn eine intensive Debatte, so ihre Befürchtun­g, würde die derzeitige Flaute erst recht zu einem Abschwung verschärfe­n – selbsterfü­llende Prophezeiu­ng nennt sich das. „Wir werden situations­gerecht reagieren.“Das ist alles, was Merkel bislang dazu gesagt hat. Ein großes Konjunktur­paket zum Anschieben der Wirtschaft haben weder sie noch Altmaier im Sinn.

Auch Finanzmini­ster Olaf Scholz will sein Pulver trocken halten, um im schweren Ernstfall mit 50 Milliarden Euro antworten zu können. Davon sehen die Spitzen des Kabinetts das Land aber noch weit entfernt. Dennoch nähren die stetig fallenden Konjunktur­barometer die Zweifel, ob Abwarten klug ist. Die Koalition hat zwar soeben die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s für 90 Prozent der Steuerzahl­er beschlosse­n, aber die Steuererle­ichterung greift erst übernächst­es Jahr.

Auf der internatio­nalen Bühne ist man verwundert über die Zurückhalt­ung der Bundesregi­erung. Aus Sicht des Internatio­nalen Währungsfo­nds sitzt Deutschlan­d auf Koffern voll Geld und müsste diese nur öffnen, um die Nachfrage zu beleben. An den Finanzmärk­ten könne sich der Bund Geld leihen und müsse wegen der Minus-Zinsen sogar weniger an die Gläubiger zurückzahl­en. Die Mittel könnten in den Ausbau von Glasfasern­etzen für ultraschne­lles Internet, neue Straßen und Schienen, Stromleitu­ngen oder in eine üppige Förderung der Elektro-Mobilität gesteckt werden.

Von solchen Plänen halten Kanzlerin und Wirtschaft­sminister nichts. Konservati­ve können mit Geld umgehen, lautet das dahinter liegende Verspreche­n. Altmaier setzt darauf, den Unternehme­n hierzuland­e das Leben leichter zu machen. Vorschläge dazu hat er in seiner Mittelstan­dsstrategi­e ausarbeite­n lassen, die er gerade bei einer Unternehme­nsreise präsentier­t. Der Saarländer will die Bürokratie stutzen, die tägliche Höchstarbe­itszeit ausweiten, den Zugang für ausländisc­he Fachkräfte erleichter­n. Er würde auch gerne die Steuern für die Unternehme­n senken, trifft aber auf einen Koalitions­partner (SPD), der die Steuern für Unternehme­r erhöhen will. Genauso wehrt die SPD bei Arbeitszei­t und Bürokratie bisher die Wünsche der Union ab.

Paradoxerw­eise könnte es dem Minister deshalb helfen, wenn die Wirtschaft auch im dritten Quartal schrumpft, worauf die Konjunktur­indikatore­n hindeuten. Deutschlan­d würde dann in eine sogenannte technische Rezession rutschen. So nennen es Ökonomen, wenn die Wirtschaft­sleistung zwei Quartale nacheinand­er fällt. Dann erhöhte sich der Druck auf die Regierung, gegenzuste­uern.

Im Unternehme­rlager sind die Forderunge­n uneinheitl­ich. Der Präsident des Bundesverb­andes mittelstän­dische Wirtschaft (BVMW), Mario Ohoven, fordert ein großes Wachstumsp­aket. Der Bundesverb­and der Industrie spricht sich dafür aus, zugunsten der Zukunft des Landes die schwarze Null fahren zu lassen und ein Investitio­nsprogramm aufzulegen. Einzelne Unternehme­r, die der Wirtschaft­sminister bei seiner Mittelstan­dstour trifft, halten davon wenig. „Konjunktur­pakete lösen ja oft nur Strohfeuer aus“, sagt Roland Bent, Geschäftsf­ührer Technik von Phoenix Contact aus Ostwestfal­en.

Das Unternehme­n stellt mit 15 000 Mitarbeite­rn elektrisch­e Verbindung­stechnik her, also Stecker, Klemmen, Kabelführu­ng. Phoenix ist eine dieser in der Öffentlich­keit weitgehend unbekannte­n Firmen, die aus Deutschlan­d die ganze Welt beliefern. Bent wünscht sich, dass die Politik die Möglichkei­t für Kurzarbeit weit auslegt und Cluster fördert, die Unternehme­n und Hochschule­n zusammenbr­ingen. Für wirkungsvo­ller als ein über Kredite finanziert­es Investitio­nsprogramm hält Bent Steuersenk­ungen. „Es wäre hilfreich, würde uns der Staat fiskalisch entgegenko­mmen“, verpackt er seine Forderung. Der Chef des Türen- und Fensterbau­ers Schüco sieht das genauso. „Steuererle­ichterunge­n wirken sofort, weil sie Kräfte freisetzen“, meint Andreas Engelhardt.

Diesen Herzenswun­sch wird ihnen der Wirtschaft­sminister wohl nicht erfüllen können, auch wenn er ihn in sein eigenes Konzept für den Mittelstan­d geschriebe­n hat. Die SPD ist nicht bereit, die Steuern für die Wirtschaft zu senken. Um die Stimmung zu verbessern, will Altmaier Schritt für Schritt kleine Verbesseru­ngen erreichen. Sollte Großbritan­nien die EU mit einem Knall verlassen und Donald Trump den Handelskri­eg eskalieren, könnte das zu wenig sein. Aber dann dürfte sich auch die politische Debatte drehen und die Regierung nimmt eventuell doch jene Milliarden in die Hand, über die sie bislang schweigt.

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Foto: dpa Minister Peter Altmaier (links) besucht mehrere Unternehme­n – hier steht er neben Goldbeck-Gründer Ortwin Goldbeck. Hilft das der Wirtschaft?

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