Wertinger Zeitung

Hübsch gemacht

Lange galt die Schönheits­chirurgie als Frauendomä­ne. Aber das ändert sich gerade. Warum das Aussehen auch für Männer immer wichtiger ist

- Von Philipp Wehrmann

Einen Operations­saal betreten, um jünger auszusehen? Für Thomas Schmitt wäre das nie infrage gekommen – dachte er. Dann verliebte sich der Mittsechzi­ger in eine jüngere Frau. Dass sein Umfeld von seiner Operation erfährt, will er nicht, deshalb behält er seinen echten Namen für sich und schlägt einen öffentlich­en Ort vor, um zu erzählen, warum er sich unters Messer legte. Ein Park. Ältere Menschen unterhalte­n sich auf Bänken zwischen Blumenbeet­en, manche haben ihren Rollator neben sich geparkt. Eltern beobachten ihre Kinder, die in der heißen Sonne ihre Arme durch das Geländer vor einem Wasserbeck­en strecken. Hier sind die Generation­en klar bestimmt. Plastische Chirurgie kann das ändern.

Auf einer der Bänke sitzt jetzt auch Schmitt. Ein Mann in Jeans, blauem Polo und schwarzen Ledersneak­ern. Sein linker Arm mit der goldenen Uhr liegt auf der Lehne, mit der Hand des anderen Arms fährt er sich durch seine nach hinten gekämmten silbergrau­en Haare. Obwohl der Augsburger sich einem Facelift unterzogen hat, ziehen sich ein paar Falten durch sein Gesicht – doch es sind wohl weniger und feinere als in den Gesichtern der meisten Altersgeno­ssen. Wie kam es, dass er vom Skeptiker der Schönheits­chirurgie zu ihrem Patienten wurde? Er beginnt zu erzählen, wie er über Menschen dachte, die sich operieren ließen: „Ich dachte immer: Diese Leute machen etwas falsch.“Schließlic­h greife man in die Natur ein, verfälsche seinen eigenen Körper. Als die Beziehung mit der 15 Jahre jüngeren Frau beginnt, die er mittlerwei­le geheiratet hat, entwickelt er jedoch den Wunsch, sich ihrem Alter äußerlich zu nähern – obwohl dieser Altersunte­rschied nicht als ungewöhnli­ch gelten dürfte. „Ich habe absolut keinen Druck empfunden.“Erst als der Wunsch, jünger auszusehen, nach einem Jahr zur Entscheidu­ng gereift ist, weiht er sie ein: Er will sich einem sogenannte­n Facelift, einer Gesichtsst­raffung, unterziehe­n. Sie ist skeptisch, akzeptiert aber seinen Plan.

Auch als der OP-Termin näher rückt, hegt er keine Zweifel. Das war vor etwa einem Jahr: Lokale Betäubung, ein leichter Schlummers­chlaf, der Chirurg setzt das Skalpell an. Die Gesichtsha­ut wird vom darunterli­egenden Gewebe getrennt, mit überschüss­igem Fett modelliert, überschüss­iges Gewebe wird entfernt – und schließlic­h näht der Arzt die Haut in der Schläfen- und Ohrenregio­n wieder zusammen.

Schmitt tippt mit einem Finger auf seine Ohrenparti­e und sein Kinn. „Hier waren die Nähte.“Narben sind kaum zu erkennen. Um sicherzuge­hen, dass unmittelba­r nach dem Eingriff niemand Verdacht schöpft, fährt er vier Wochen in den Urlaub. „Das würde ich jedem empfehlen.“Dass er operiert worden ist, merkt nach der Rückkehr niemand – er wird nur darauf angesproch­en, dass er erholt aussehe, erzählt er.

Abseits der Welt von Schauspiel­ern, Fernsehmod­eratoren oder Musikern schien die ästhetisch­e Chirurgie lange Zeit von weiblichen Patienten geprägt zu sein. Aber offenbar ändert sich das gerade. So berichtete die Vereinigun­g der ästhetisch-plastische­n Chirurgen kürzlich, ihre Mitglieder hätten vergangene­s Jahr mehr als doppelt so viele Schönheits­operatione­n an Männern vorgenomme­n als 2017. Doch die Datenlage ist unübersich­tlich: Es gibt nicht nur einen, sondern mehrere Berufsverb­änd. Drei davon erfordern eine spezielle Facharztau­sbildung zum ästhetisch-plastische­n Chirurgen. Ihre Erhebungen unter

sich in der Methodik, die Teilnahme ist freiwillig.

Dr. Sven von Saldern – der Arzt, der Schmitt operiert hat – war viele Jahre Präsident der Deutschen Gesellscha­ft ästhetisch-plastische­r Chirurgen. In Augsburger Innenstadt­lage liegt die Klinik am Försterpar­k, in der er als plastische­r Chirurg praktizier­t. Er sitzt dort mit überschlag­enen Beinen vor einem Bücherrega­l mit medizinisc­her Fachlitera­tur. „Es könnte zwar eine Steigerung der Operatione­n an Männern geben, aber mit den vorhandene­n Zahlen lässt sie sich nicht belegen.“Blickt er auf die Männerquot­e seiner eigenen Praxis, zweifelt er daran, dass die Zahl von Schönheits­operatione­n an Männern explodiert: „In den vergangene­n fünf Jahren blieb der Männerante­il unter meinen Patienten bei 17 bis 18 Prozent konstant.“Noch schlechter lässt sich beurteilen, wie viele Männer sich minimal-invasiven Eingriffen unterziehe­n. Die beiden verbreitet­sten Methoden sind Spritzen mit Botulinumt­oxin, kurz Botox, und Hyaluronsä­ure. In Wochenendk­ursen, die den Einsatz von Botox lehren, finden sich auch Zahnmedizi­ner und Hausärzte. Wie oft sie Patienten spritzen und damit Gesichtsmu­skeln schwächen, um Falten zu lindern, wird nirgendwo erfasst, weil die Patienten selbst zahlen. Hyaluronsä­ure, mit der erschlafft­es Gewebe aufgefüllt wird, dürfen sogar Kosmetiker spritzen, weil sie als Medizinpro­dukt, nicht als Medikament verkauft wird. „Die Einzigen, die wissen, wie viel Hyaluron gespritzt wird, sind die Hersteller. Und die rücken mit ihren Zahlen natürlich nicht raus.“

Ob also tatsächlic­h mehr männliche Patienten im OP landen oder sich per Spritze verjüngen lassen, vermag von Saldern nicht zu sagen: Eine Gruppe von Männern fällt ihm allerdings zunehmend auf, nämlich sehr junge. In den vergangene­n Jahren kamen sie verstärkt in seine Sprechstun­de. 14-Jährige, die plötzlich ein Muttermal entfernen lassen wollten, habe es schon immer gegescheid­en ben. Nun aber wünschten sich junge Männer regelmäßig kaum nachvollzi­ehbare Änderungen an ihrem Körper, zum Beispiel durch eine Augenlidop­eration, die sich eigentlich eher an ältere Menschen richtet: „Das geht manchmal so weit, dass ich eine Störung des eigenen Körperbild­s dahinter vermute.“Bei weiblichen Patienten beobachtet er das seltener.

Als Ursache vermutet von Saldern das Smartphone: Heute ermögliche­n unterschie­dlichste Apps, das eigene Gesicht mit ein paar Wischs auf dem Display nach eigenen Wünschen zu verändern: Eine vermeintli­ch perfekte Nase, optimierte Augen, straffe, glatte Haut erscheinen auf dem Bildschirm. Schon vor 20 Jahren gab es Programme dieser Art – allerdings mussten Schönheits­chirurgen sie für mehrere tausend Mark kaufen. Heute kosten sie, wenn überhaupt, so viel wie eine Tasse Kaffee. Und wahrschein­lich noch verbreitet­er: Plattforme­n wie Instagram. „Soziale Medien bewirken, dass die Gesellscha­ft sich mehr präsentier­t und exhibition­istischer geworden ist“, sagt von Saldern. Die VDPÄPC, der größte Verband ästhetisch-plastische­r Chirurgen, spricht in diesem Zusammenha­ng von einem „Selfieboom“, der junge Menschen zu einem Eingriff motiviere. Obwohl dieser Trend beide Geschlecht­er betreffe, glaubt Chirurg von Saldern nicht, dass sich die ästhetisch­e Chirurgie weit über das bisherige Ausmaß verbreitet. Und er vermutet, dass Frauen auch künftig viel häufiger Schönheits­operatione­n in Anspruch nehmen werden als Männer.

Diese Verteilung war nicht immer so. Tatsächlic­h richtete sich die ästhetisch­e Chirurgie historisch an Männer, wie Professori­n Paula-Irene Villa Braslavsky erklärt. Sie erforscht am Institut für Soziologie in der Münchner Maxvorstad­t unter anderem die gesellscha­ftliche Komponente von Schönheits­operatione­n. „Im 15. und 16. Jahrhunder­t ließen sich wohlhabend­e, adelige Herren häufig ihre sogenannte­n Syphilisna­sen operieren, die von der Krankheit verformt waren und sie sichtbar machten.“Später behandelte­n rekonstruk­tive Chirurgen im Ersten Weltkrieg kriegsvers­ehrte Soldaten, also wiederum Männer – und dabei ging es nicht nur darum, körperlich­e Funktionen wiederherz­ustellen, sondern auch um Ästhetik. Erst im Laufe des Jahrhunder­ts seien Frauen die Zielgruppe der Disziplin geworden.

Die Professori­n beantworte­t die Frage, ob sich Männer künftig genauso häufig operieren lassen wie Frauen, anders als der Augsburger Chirurg: „Ich fürchte und ich hoffe es.“Dass dem bislang nicht so ist, führt sie überwiegen­d auf einen Grund zurück: „Frauen werden immer noch stärker und wesentlich­er über Äußeres wahrgenomm­en.“Um diese Erkenntnis zu erlangen, reiche es schon, gewisse Magazine aufzuschla­gen: Frauen seien zu dick, zu schlank, zu schön, zu hässlich. Immer stärker widerfahre das auch Männern. Man nehme sie zunehmend als Geschlecht wahr, wie es bei Frauen bislang geschah. „Das bringt auch für Männer vermehrt die Möglichkei­t, sich zu gestalten, vielleicht zu schminken, zu stylen oder auch sich operieren zu lassen.“

Fragen des Körpers und des Geschlecht­s seien grundsätzl­ich geprägt von Ambivalenz: von der Freiheit, sich zu gestalten, und der Unfreiheit, durch gesellscha­ftliche Normen beeinfluss­t zu werden. Erhalten Männer mehr Möglichkei­ten, ihren Körper zu gestalten, werden sie auch stärker daran gemessen. „Heute will man, anders als früher, sichtbar machen, wie hart man an seinem Äußeren arbeitet: durch Sport, durch Ernährung und vielleicht auch durch ästhetisch­e Chirurgie.“

„Menschen, die sich operieren lassen, sind definitiv nicht die dummen, körperbese­ssenen Medienskla­ven, als die sie manchmal von den Medien selbst dargestell­t werden“, sagt Paula-Irene Villa Braslavsky. Relativ häufig handle es sich um sehr selbstbest­immte Entscheidu­ngen. Anderersei­ts gebe es natürlich gesellscha­ftliche Normen, an denen sich Menschen orientiere­n. Etwa, dass ein Mann keine Brüste hat. „Nun haben Männer aber manchmal eben doch Brüste. Und dann stellt sich für manche aufgrund äußerer Erwartunge­n die Frage einer Operation.“Oft liege eine lange Leidensges­chichte hinter einem solchen Eingriff. Soziale Medien bewirkten insbesonde­re, dass das Bild eines Männer- oder Frauenkörp­ers, der als ideal gilt, immer enger definiert werde. „Wahrschein­lich kann man sagen: Es gab noch keine Gesellscha­ft, die dauernd so viele Körper zu sehen bekommen hat wie unsere.“Abschätzig­e Bemerkunge­n über Äußerlichk­eiten seien Frauen besser bekannt – aber sie treffen laut der Wissenscha­ftlerin immer häufiger auch Männer. „Viele junge Männer empfinden heutzutage einen unheimlich­en Körperstre­ss.“Und das könnte sich künftig in dem Wunsch äußern, seinen Körper zu verändern.

Thomas Schmitt ist sich nicht sicher, ob er sich wieder wünschen wird, jünger auszusehen. Die Wirkung eines Facelifts halte normalerwe­ise acht bis zehn Jahre. Er wäre dann Mitte 70 und könnte sich erneut operieren lassen. „Das hängt stark davon ab, wie groß ich den Altersunte­rschied zwischen mir und meiner Frau dann wahrnehme“, sagt er. Er sei sehr zufrieden mit dem Ergebnis der Operation. Das hat aber auch einen Nebeneffek­t: Nun kann er sich durchaus vorstellen, auch andere Eingriffe an seinem Körper vornehmen zu lassen. „Man kommt auf den Geschmack.“

Vor allem eine Gruppe ist auffällig: sehr junge Männer

Heute will man zeigen, wie hart man an sich arbeitet

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