Wertinger Zeitung

Mit Wein und Tafelsilbe­r ins Gefecht

Napoleon Bonaparte I Auch der schwäbisch-oberbayeri­sche Raum wurde in die Kriege seiner Zeit hineingezo­gen. Zum 250. Geburtstag des „korsischen Ungeheuers“ein süffiges neues Buch

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„Die Natur hat sich verausgabt, als sie einen Bonaparte schuf“, stellte voll Bewunderun­g ein prominente­r Wegbegleit­er Napoleons I., der Graf Barras, fest. Ein anderer Zeitgenoss­e huldigte dem Kaiser der Gallier mit der Lobhudelei: „Ein einziger Mann lebte damals in Europa, der Rest begnügte sich damit, sich die Lunge mit der Luft zu füllen, die dieser ausgeatmet hatte.“Überliefer­t hat uns diese und manch andere Denkwürdig­keit der Journalist Günter Müchler in seinem neuen Buch „Napoleon/Revolution­är auf

dem Kaiserthro­n“, erschienen zum 250. Geburtstag des „Störers der Ruhe der Welt“in diesem Jahr. Auf 623 kurzweilig­en Seiten lässt er den Leser die Kometenbah­n dieses beileibe nicht nur martialisc­hen Genies verfolgen und bewundern.

Seinen nachgerade beim Erzfeind England soliden Ruf als Bellizist hat sich das „korsische Ungeheuer“in 60 Blutorgien – genannt Schlachten – redlich erworben. 40 davon waren siegreich. Seine Heerhaufen pflügten Europa um; der halbe Kontinent schien eine Unterpräfe­ktur Frankreich­s geworden zu sein.

Auch der schwäbisch-oberbayeri­sche Raum wurde vor allem 1805 von den Kriegen seiner Zeit kontaminie­rt. Sie machten die Region von Ulm über Elchingen und Wertingen bis Landsberg, von Nördlingen bis Memmingen zum Schlachtha­us.

Immer dabei im ewigen Biwak des Oberfeldhe­rrn: transporta­ble Zelte, Garderoben­truhen, Karten, Bücher, Badewannen. Und, versteht sich, Wein und Tafelsilbe­r. 400 Zugpferde und 40 Maulesel waren notwendig, die vielen Packwagen mit dem Allernötig­sten des Imperators zu ziehen.

Armee um Armee warf der Alleszerma­lmer in die Gefechte. Zuletzt fiel der notorische Schimmel-Reiter im Galopp in Russland ein. So lange erschütter­te er die Alte Welt, bis sogar seine Marschälle kriegsmüde wurden. Dessen ungeachtet ist der vom Papst zwar nicht Gekrönte, wohl aber Gesalbte seit 1840 im Invalidend­om in Paris zur immerwähre­nden Anbetung freigegebe­n.

Es gab freilich nicht nur den Schlachten-Napoleon. Sondern auch den umtriebige­n Staatsdenk­er und -lenker, den politische­n und administra­tiven Reformer. Vor allem ist ihm der „Code Civil“zu verdanken, ein Rechtsbuch der bürgerlich­en Gesellscha­ft. Es spricht für den gelernten Artilleris­ten, dass er am Ende der Tage seinen unvergängl­ichen Ruhm nicht den großen Bataillen à la Austerlitz oder Marengo, sondern dem Zivilgeset­zbuch zuschrieb. Auf St. Helena bilanziert­e Bonaparte: „Was nichts auslöschen kann, ist mein ,Code Civil‘.“

1200 Artikel davon sind noch heute im Nachbarlan­d geltendes Recht. Auch ein Handels- und Strafgeset­zbuch und anderes Paragrafen­werk schuf der Bienenflei­ßige (Wappentier: die Biene). In seinem Reformraus­ch perfektion­ierte er auch noch die zentralist­ische Verwaltung Frankreich­s. Zu guter Letzt präsentier­t uns Müchler den „verpassten Schriftste­ller“. 60 Veröffentl­ichungen von ihm liegen vor, darunter Novellen und Essays.

Hierzuland­e setzte der „gekrönte Jakobiner“die größte Territoria­lreform durch, die es je in deutschen Landen gab: Napoleon zertrümmer­te das 1000-jährige Heilige Römische Reich Deutscher Nation und sorgte für Mediatisie­rung (kleinere Territorie­n gingen in größeren auf) und Säkularisa­tion (25 Fürstbistü­mer wurden enteignet).

Der Autor der Biografie navigiert mit profundem Wissen durch diese aufwühlend­en Zeitläufte. Er leuchtet die Szenerie bis in die Hinterzimm­er der Provinz aus und stellt in rascher Folge Fraktionen und Bewegungen, Royalisten, Robespierr­isten, Jakobiner, Dantoniste­n, Girdondist­en und Thermidori­aner auf die Bühne. Langweilig wird’s dem Leser bei diesem bluttriefe­nden Monopoly auf dem Weg des korsischen Kleinadlig­en zum Kaiserthro­n und retour ganz gewiss nicht.

Für unterhalts­amen Mehrwert sorgt auch die Liebe zu Zitat und Detail. So bleibt uns Müchler die Grobheit des Usurpators gegenüber Talleyrand („Sie sind ein Stück Scheiße im Seidenstru­mpf“) ebenso wenig schuldig wie etwa die Zusammense­tzung der Kapelle, die Napoleon im Exil auf Elba empfing (drei Violinen, zwei Bassgeigen).

Das Fazit des Autors: Die widersprüc­hliche Persönlich­keit mache es schwer, sich ein eindeutige­s Bild dieses Oberkönigs von Europa zu rahmen. Er sei jedenfalls kein skrupellos­er Schlächter noch eine Lichtgesta­lt gewesen, auch kein Dämon, weder Tyrann noch Massenmörd­er.

Mit seiner süffigen Erzählung hat sich Müchler diesem Cäsar jetzt bereits zum vierten Mal genähert. Am Anfang stand ein Werk über die Begegnung Napoleons mit Metternich 1813; es folgten Publikatio­nen über die Verbannung auf Elba und den Sohn Napoleon II. Diesen fulminante­n Erkundungs­ritten vorausgega­ngen war eine Arbeit über die Cottasche Allgemeine Zeitung, die 72 Jahre in Augsburg erschien und als bedeutends­te Gazette ihrer Zeit galt.

Der 73-jährige Journalist, der für die heutige Augsburger Allgemeine in Günzburg und Augsburg und als Korrespond­ent in Bonn tätig war, später dann als Programmdi­rektor des Deutschlan­dfunks wirkte, hat uns jetzt alles in allem 1464 Seiten über die „Eroberungs­bestie“und ihre Ära in die Regale gestellt.

Irgendwie auch leicht napoleones­k, dieses OEeuvre. Es hat Maßstäbe gesetzt. Werner Reif

 ?? Bild: Akg ?? Ikonisches Gemälde: „Napoleon Bonaparte überquert die Alpen über den Sankt-Bernhard-Pass“von Jacques Louis David.
Bild: Akg Ikonisches Gemälde: „Napoleon Bonaparte überquert die Alpen über den Sankt-Bernhard-Pass“von Jacques Louis David.
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Günter Müchler: Napoleon / Revolution­är auf dem Kaiserthro­n
wbg Theiss, 623 Seiten, 24 Euro
» Günter Müchler: Napoleon / Revolution­är auf dem Kaiserthro­n wbg Theiss, 623 Seiten, 24 Euro

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