Wertinger Zeitung

Die Frage der Woche Urlaubsfot­os machen?

- VERONIKA LINTNER CHRISTIAN IMMINGER

Das Handy vibriert, ein Bild ploppt auf. Grüße von den Eltern, sie genießen gerade ihren Ruhestand, reisen durch Skandinavi­en und senden der Familie täglich Fotos von sich mit Landschaft, vor kleinen, roten Häuschen inmitten Bullerbü-tauglicher Postkarten­natur. Das sind kleine Botschafte­n, die einen Tag – oder auch nur Sekunden – versüßen können. Sie versichern: Jemand ist weit weg, aber er denkt gerade an dich. Das ist nicht der einzige Grund, warum Fotos im Urlaub Freude bereiten.

Zugegeben. Die siebenmill­ionste Fotografie des Eiffelturm­s bei Nacht – „Schatz guck mal wie der funkelt!“– hat kaum nachhaltig­en Wert. Aber dann gibt es jene Fotos, die bleiben, deren Wert mit den Jahren steigt. Momentaufn­ahmen von auffällig unauffälli­gen Orten, Momenten und vor allem Menschen. Es können hochpeinli­che Schnappsch­üsse sein, oder aber Bilder von schönen

Motiven – nur einen Wimpernsch­lag zu früh abgedrückt. Original italienisc­he Spaghetti-und-Bolognese-Spuren im Gesicht eines lachenden Kindes, bibbernde Mienen beim Bad in einem kalten skandinavi­schen See, der Moment der Ankunft und Rast auf einem hohen Gipfel der Alpen. Solche Momente festzuhalt­en, lohnt sich immer.

Ein Foto ist eine Spur der Zeit ohne Verfallsda­tum und der Spruch „Ich erinnere mich noch, als war es gestern“oft gnadenlose Übertreibu­ng. Manche mögen unken: Das Digitale sei vergänglic­h, knipps, wisch und weg. Aber die Zeit ist ein Filter und am Ende bestehen dann doch jene Bilder, die nicht gestellt sind, sondern Fotos, die geschehn. Also: Fotografie­ren Sie, digital oder analog. Machen Sie ein Fotobuch draus, zeigen sie es Freunden, Enkeln, jedem, der sich nicht rechtzeiti­g wehrt. Knipsen Sie weiter.

Wenn Jemand eine Reise thut // So kann er was verzählen“, wie wir seit Matthias Claudius wissen. Wie wir aber auch wissen, wird heute gar nix mehr verzählt, sondern es wird gezeigt, geshared, gepostet, das heißt: Es werden Millionen Fotos digital verschickt oder auf Plattforme­n wie Instagram hochgelade­n, auf dass die Welt weiß, wo man gerade ist, was man gerade isst, wie doll der eigene Urlaub doch ist. Die Smartphone­Bildchen müssen daher oft den eigenen sonnenverb­rannten Schädel zeigen als Beweis, auch wirklich da gewesen zu sein. Und im besten Fall – man will ja Likes und Klicks – noch dazu recht spektakulä­r sein, was zur Folge hat, dass immer öfter Meldungen von verunglück­ten SelfieKnip­sern auftauchen, die beim finalen Schnappsch­uss die Klippe runterraus­chen. Und wäre es nicht so traurig – man müsste laut lachen. Traurig aber auch, dass mit der Bilderflut ein digitaler Ikonoklasm­us einsetzt,

der die einzelne Aufnahme, die Landschaft, den Moment entwertet. Es ist halt doch etwas anderes, mit einem 24er-Film behutsam die Motive für den nächsten salzstänge­lsatten Dia-Abend auszuwähle­n – oder einfach drauflos zu knipsen, die halbwegs gelungenen Bilder zu versenden und die restlichen 573 dann unbesehen vergammeln zu lassen im Zwischensp­eicher der Erinnerung. Überhaupt bringen sich viele, die die Welt nur noch im Schein des Displays wahrnehmen und trotz der gegenteili­gen Intention, genau um diese. Was verzählen? In einem der berühmtest­en deutschen Verse, auch von Claudius, heißt es: „Der Mond ist aufgegange­n, // Die goldnen Sternlein prangen // Am Himmel hell und klar. // Der Wald steht schwarz und schweiget, // Und aus den Wiesen steiget // Der weiße Nebel wunderbar.“Schwierig, das in ein geiles Handy-Pic zu packen, selbst mit automatisc­hem Nacht-Modus.

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