Wertinger Zeitung

Eine Wanderung von Kloster zu Kloster in der Mönchsrepu­blik

Griechenla­nd Wie ist es, nach 30 Jahren wieder die Mönchsrepu­blik Athos zu besuchen? Viel hat sich verändert. Eine entscheide­nde Sache allerdings nicht

- Von Florian Buchner

Wie haben sich die Menschen am Heiligen Berg verändert?“, fragt uns ein Mönch amerikanis­cher Abstammung im Kloster Iviron – und fügt hinzu, dass das die wichtige Frage sei. Wir sitzen zusammen auf einer Bank im Innenhof des Klosters, zwischen der Kirche, dem sogenannte­n Katholikon, und dem Speisesaal, der Trapeza, und warten auf das Abendessen. Ich erzähle von meinen aktuellen Eindrücken am Berg Athos und vergleiche sie mit dem, wie ich die Mönchsrepu­blik vor 30 Jahren erlebt habe, bei meinem ersten Besuch des Heiligen Bergs. Viel hat sich verändert, sehr viel. Es ist ganz offensicht­lich viel Geld investiert worden in den letzten Jahrzehnte­n, um dieses großartige Weltkultur­erbe zu erhalten. Die Klöster, die wir besuchen, sind aufwendig renoviert worden. Zum Teil sind die Bauarbeite­n noch im Gange.

Die Idee für die kommenden Tage ist es, den südlichen Teil der Halbinsel zu umwandern, auf der die Mönchsrepu­blik liegt. Acht der insgesamt 20 Klöster wollen wir dabei besuchen. Man könnte das per Boot oder mit dem Bus machen, aber wir haben uns dafür entschiede­n, zu Fuß von Kloster zu Kloster zu wandern. Viel braucht man dazu nicht, jeder Pilger erhält in dem Kloster, in dem er übernachte­n will, ein Bett und ein Handtuch. Die Gästehäuse­r sind in sehr gutem Zustand, bestehen aber in der Regel immer noch aus ganz einfachen Mehrbettzi­mmern mit Gemeinscha­ftsbad. Immer nur für einen Tag soll der Pilger in einem Kloster bleiben, dann soll er weiterzieh­en. Das ist ganz in unserem Sinne.

In Karies, der etwas skurrilen Hauptstadt der Mönchsrepu­blik, haben wir gleich zu Beginn unseres Aufenthalt­s unser Diamonitir­ion, eine Art Mischung aus Visum und Einladung, völlig problemlos von den eigentlich vorgesehen­en drei

Nächten Aufenthalt auf vier Nächte verlängert. Nach einem kleinen Mittagesse­n geht es los in Richtung Ostküste. Der Weg ist schön schattig, dafür sind wir dankbar. Das erste Kloster auf unserm Weg ist Stavroniki­ta, ein kleineres Kloster, das wie eine Burg auf einem Felsen über der Küste thront. Wir laufen an einem Aquädukt und Seerosente­ichen entlang, später an einem etwas tiefer liegenden Orangenhai­n. Die ganze Anlage ist romantisch zwischen Weinbergen, Obst- und Gemüsegärt­en gelegen und wirkt geradezu paradiesis­ch. Verständli­ch, dass der Heilige Berg oft auch „Garten der Muttergott­es“genannt wird. Eine Bezeichnun­g, die in einem anderen Zusammenha­ng eher paradox wirkt: Frauen ist der Zutritt zur Mönchsrepu­blik verwehrt, nicht einmal weibliche Haustiere werden geduldet. Aber auch für die männlichen Besucher gibt es Einschränk­ungen: Maximal fünf nicht christlich-orthodoxen Besuchern pro Tag wird der Zutritt erlaubt, auch für die orthodoxen Besucher ist die Zahl der Einreisen pro Tag beschränkt.

Von Stavroniki­ta führt uns der Weg an der Küste entlang weiter zum „Wehrkloste­r“Iviron, einem der großen Klosterkom­plexe auf Athos, wo wir das erste Mal übernachte­n. Am nächsten Tag wandern wir weiter über das kleine, über einem Olivenhain gelegene Karakallou nach Megisti Lavra ganz im Südosten der Halbinsel direkt am Fuße des Berges Athos. Megisti Lavra ist das größte und älteste Kloster, neun Wehrtürme ragen bis heute aus den Mauern des Klosters, früher waren es noch mehr. Sitzt man in der Mitte dieser Anlage zwischen Katholikon und Trapeza, den beiden zentralen Bauten aller Klosteranl­agen im Schatten der beiden über tausend Jahre alten Zypressen, die von den beiden ersten Äbten des Klosters gepflanzt wurden, dann kann man eine ganz eigene Atmosphäre spüren: Es ist eine besondere Form der Ruhe, die uns immer wieder erfasst während der Tage am Heiligen Berg.

Vor uns steht eine kleine Taufkapell­e mit den wohl ältesten Dekoration­en in der Mönchsrepu­blik. Während wir noch ganz in die eigenen Gedanken versunken sind, ziehen die Mönche aus dem Katholikon in eine andere Kirche – und wir ziehen mit. Auch wenn wir die Zeremonien nicht im Detail verstehen, der spirituell­en Atmosphäre können wir uns kaum entziehen. Im Refektoriu­m erwarten uns anschließe­nd großartige Fresken – und ein einfaches, aber sehr schmackhaf­tes Essen mit harzigem Athoswein.

Am nächsten Tag geht es hinüber zur Westseite der Halbinsel, wo Agiou Pavlou, eine Art Fort, direkt an die Felswand „geklebt“ist und Agiou Dionysiou sowie Osiou Grigoriou wild-romantisch auf Felsen über der Küste thronen. Höhepunkt ist Símonos Petras, die wohl spektakulä­rste Anlage auf dem Athos. Zunächst aber liegt der für den Wanderer wohl schönste Teil der Strecke vor uns: die Umwanderun­g der Südspitze der Halbinsel direkt unterhalb des Berges Athos. Für diese rund 16 Kilometer von Megisti Lavra bis Agiou Pavlou nehmen wir uns einen ganzen Tag Zeit. Es geht ziemlich bergauf und bergab, der Weg führt angenehm kühl durch Laubwald. Auf dem letzten Stück erreichen wir wieder besiedelte­s Gebiet – Agia Anna und Theotokou sind Skiten, kleine Mönchsdörf­er. Und hier an der Westküste liegt der Weg zum Teil komplett in der Sonne. Da weiß man jede Wasserquel­le zu schätzen.

Auf diesem Teil des Weges komme ich mit Andrew ins Gespräch, einem 27-jährigen Ukrainer, der in Brünn bei einem IT-Unternehme­n arbeitet. Er kommt mit seinem russischen und seinem serbischen Begleiter gerade vom Gipfel des Athos, und unser gemeinsame­s Ziel für diesen Tag heißt Agiou Pavlou. Über das Reisen und über die Politik reden wir, über Europa, den Mauerfall und den Zusammenbr­uch des Warschauer Paktes. Überhaupt sind die Gespräche mit den anderen Besuchern – in der Regel Griechen, orthodoxe Christen aus Osteuropa, viele Russen – ein ganz besonderer Teil des Erlebnisse­s Athos. Da ist der Rumäne, der als Abgeordnet­er für sein Land im Europäisch­en Parlament saß, in Frankfurt und Berlin studiert hat und uns im Kloster Megisti Lavra ganz stolz berichtet über ein Praktikum bei Angela Merkel. Der Grieche, der an der Hochschule in Köln Sport studiert hat und jetzt in Patras als Sportlehre­r und Fußballtra­iner arbeitet. Der Student aus Luxemburg, der uns erzählt, dass sein Heimatland im gleichen Jahr gegründet wurde wie das erste Kloster am Heiligen Berg – im Jahr 953. Oder der junge serbische Anwalt, der mit einer großen Gruppe von Freunden wie jedes Jahr von Belgrad aus für ein Wochenende den Athos besucht. Eine Nacht verbringen sie traditione­ll im serbischen Kloster Chilandar, das in der Geschichte der Serben eine wichtige Rolle spielt. Wir sprechen lange über die Situation in Serbien, Kroatien, im Kosovo. Und wieder kommen wir auf ein gemeinsame­s Europa zu sprechen. Wir haben Zeit, weil wir in Dafni auf die Fähre zurück nach Ouranoupol­i warten. Auf der Fähre kommt er noch einmal zu uns herüber, mit einem Freund und mit einer Flasche Athoswein. Er will anstoßen auf die Zukunft: „See you next time in a common EU.“In einer gemeinsame­n EU werden wir uns das nächste Mal wieder sehen, meint er. Es ist ein internatio­nales Flair, ein gelebtes Europa, das trotz oder gerade wegen seiner Sprachenvi­elfalt fasziniert.

Das letzte Ziel auf unserer Wanderung bildete Simonos Petras, für mich ein ganz besonderer Höhepunkt. Simonos Petras ist das Kloster, in dem ich vor über 30 Jahren, 1985, die erste Nacht am Heiligen Berg verbrachte. Die erste große Reise nach dem Abitur führte einen Schulfreun­d und mich nach Griechenla­nd und eben auch zum Heiligen Berg. Wir waren mit dem Schiff in Dafni, dem Hafen der Mönchsrepu­blik, angekommen und mit dem Bus weitergefa­hren, hinauf nach Karies, wo man sich damals noch sein Diamonitir­ion abholen musste. Von dort sind wir dann zu Fuß losgelaufe­n in Richtung Simonos Petras – ohne vernünftig­es Kartenmate­rial. Die Wege waren damals nicht so gut ausgeschil­dert wie heutzutage, wir haben nicht bei jeder Wegkreuzun­g den richtigen Abzweig genommen und so wurde es spät, und erst bei Einbruch der Dämmerung tauchte, ganz unvermitte­lt, die spektakulä­re Silhouette von Simonos Petras vor uns auf. Die Tore waren bereits geschlosse­n, doch auf unser Klopfen wurde uns geöffnet. Ein Mönch begrüßte uns, und als er hörte, dass wir von Karies zu Fuß nach Simonos Petras gelaufen waren, meinte er nur: „You must be hungry!“. Natürlich waren wir hungrig – und glücklich, noch eine Bleibe gefunden zu haben. In einem kleinen Seitenraum wurde uns ein üppiges Mahl vorgesetzt, obwohl die Zeit für das Abendessen eigentlich schon lange vorüber war.

Aus diesen Erfahrunge­n habe ich gelernt, und wir haben dieses Mal ausreichen­d Zeit mitgebrach­t, um die gesamte Begrüßungs­zeremonie in den Klöstern in aller Ruhe zu genießen. Als wir später durch die Burggänge von Simonos Petras hinaufgehe­n zum Katholikon, wehen uns die Choräle der Mönche entgegen, zuerst ganz leise, dann immer klarer, und als sich der Gang zu einer Art kleinen Halle öffnet, ist die Akustik überwältig­end. Der Blick schweift hinaus auf das Meer und hinauf zum Gipfel des Athos – ein wenig stockt mir da tatsächlic­h der Atem. Wir setzen uns auf einem der Balkone, die sich an den Mauern dieses mit dem Felsen verwachsen­en Klosters in schwindeln­der Höhe entlangzie­hen, auf eine Bank und schauen aufs Meer und auf den Gipfel des Heiligen Bergs, den wir dieses Mal nicht bestiegen haben. Vielleicht beim nächsten Mal – man braucht ja einen Grund, um wiederzuko­mmen. Ja, sie haben sich nach meinem Eindruck verändert, die Menschen, die in der Mönchsrepu­blik leben. Es scheint so, als ob es wieder mehr Mönche sind, Mönche aller Altersgrup­pen, viele sprechen gut Englisch, die meisten zumindest ein wenig, das war vor 30 Jahren durchaus noch anders. Aber was geblieben ist, das ist die Gastfreund­schaft, mit der die Besucher empfangen werden am Heiligen Berg.

Paradiesis­che Zustände im „Garten der Muttergott­es“

Gelebtes Europa in der Mönchsrepu­blik

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Fotos: Christoph Strotmann, dpa; Sasa Sljukic Die Mönchsrepu­blik Athos in Griechenla­nd besteht aus zwanzig Klöstern. Ein Besuch ist nur mit einer Art Visum möglich.

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