Kampf den Ungläubigen
Extremismus In einer Münchner Moschee predigten bekannte Salafisten aus Somalia. Sie lehnen die westliche Welt ab und behaupten, Muslime seien „Gefangene“der deutschen Gesellschaft. Wer sind diese Prediger und gerät Augsburg in ihren Sog? Denn auch dorthi
München/Augsburg Es ist heiß. Der Versammlungsraum der TaufiqMoschee platzt aus allen Nähten. Mann an Mann reihen sich die Betenden an jenem Freitag aneinander. Ihre Schultern und Oberschenkel berühren sich im Auf und Nieder des Gebets. Etwa 500 Männer sind es, das Angebot des „Somalischen Vereins für Kultur, Familien, Jugendliche und Integration in Bayern“im Münchner Stadtteil Milbertshofen bedient eine große Nachfrage. Zwei Stockwerke mit 400 Quadratmetern hat der Verein hier in ehemaligen Büroräumen zwischen Wohnanlagen und Geschäften bezogen. Der erste Stock des einfach eingerichteten Vereinslokals gehört den Frauen. Zum Freitagsgebet müssen sie ihn für die Männer räumen.
In der Taufiq-Moschee traten bereits bekannte somalisch-salafistische Prediger auf; der Verfassungsschutz ist alarmiert. Gemeinsame Recherchen von Deutschlandfunk Kultur und unserer Redaktion zeigen überdies: Der ostafrikanische Salafismus, eine Strömung innerhalb des Islam, ist auch in Augsburg angekommen. Der Verfassungsschutz beobachtet genau, was dort passiert. Denn Salafisten lehnen weltliche Gesetze und die Werte der westlichen Gesellschaften als unislamisch und unterlegen ab.
Nicht nur Somalis, auch Syrer, Iraker und Kurden suchen an jenem Freitagmittag die Taufiq-Moschee auf. Der Imam predigt auf Somali und Arabisch. Deutsch spricht er nicht, obwohl er seit sechs Jahren hier lebt. Einen Kilometer weiter steht eine Ditib-Moschee. Die sei keine Alternative, erklärt Abdi Maslah, der seit 2017 Vorsitzender des Trägervereins der Taufiq-Moschee ist. Denn dort ist die Freitagspredigt auf Türkisch. Maslah will seinen echten Namen nicht öffentlich machen. Nur dies: Er ist Ingenieur und lebt seit 47 Jahren in Deutschland. Wegen des Platzmangels setzt er sich für größere und günstigere Räumlichkeiten ein. Die Miete, die der 2012 gegründete Verein monatlich aufbringen muss, liegt bei 6000 Euro im Monat. Doch der Platzmangel ist eines der geringeren Probleme der Moschee.
Zwischen Dezember 2015 und April 2017 gab sich in ihr das „Who is who“der somalisch-salafistischen Predigerszene die Klinke in die Hand. Sieben Videos auf dem vereinseigenen Youtube-Kanal zeigen zu diesen Gelegenheiten ein volles Haus. Etwa 200 Zuhörer fängt die Kamera allein im Erdgeschoss der Moschee ein. Einer der Prediger, Scheich Mustafa Ismaciil Haroun, reiste 2015 und 2016 zu Weihnachten an. Wie der US-amerikanische Politikwissenschaftler Hasan Abukar erklärt, ist er einer der fünf bekanntesten und einflussreichsten somalischen Salafisten. Der Scheich hielt sich mehrere Jahre in Norwegen auf, tourt seit langem mit Vorlesungen durch ganz Europa und lebt inzwischen wieder in Somalia.
Hasan Abukar, dessen Publikationen zu somalisch-muslimischen Gruppierungen auch in deutschen Sicherheitskreisen mit Interesse gelesen werden, charakterisiert Haroun als erfolgreich, kosmopolitisch, gebildet und redegewandt. Seine Karriere begann Haroun während des somalischen Bürgerkriegs in den 1990ern. Seine Bewegung konnte einige Regionen erobern und führte in ihnen ein strenges SchariaRegiment ein. 1997 spaltete sich die Al-Shabab-Miliz ab, die das Land bis heute mit Anschlägen terrorisiert. „Haroun und weitere Führungskräfte gehörten zur Gegenfraktion. Sie legten die Waffen in der Überzeugung nieder, dass die Zeit für den militanten Dschihad noch nicht reif sei“, erklärt Abukar.
Die meisten somalischen Moscheen – in dem afrikanischen Land selbst und in Europa – stehen seinen Recherchen zufolge unter traditionell-salafistischer Führung. Sie seien generell konservativ und lehnten eine Integration, die über den Arbeitsmarkt hinausgeht, ab. „Sie finden es in Ordnung, hier zu sein. Aber sie warnen vor kultureller Integration und weisen darauf hin, dass es für einen Muslim besser sei‚ in einem muslimischen Land zu leben.“Das zeigt sich in einer der Lehrveranstaltungen Harouns in München. „Die Kinder sprechen in der Schule die Sprache der Ungläubigen“, sagt er. Politologe Abukar analysiert: „Haroun drängt die Zuhörer, die Kinder islamisch zu erziehen, mit ihnen in der Muttersprache zu sprechen. Vor kulturellen Einflüssen der deutschen Gesellschaft solle man sich hüten, Frauen müssten zu Hause bleiben, auch deutsche Schulen nennt er ‚die Schulen der Ungläubigen‘.“
Auch weitere Aussagen, die sich in Videos auf dem Youtube-Kanal des Salafisten-Vereins finden, erregen Abukars Aufmerksamkeit: Muslime seien „Gefangene“der deutschen Gesellschaft, sagt darin ein Scheich namens Bocor. Und: „Ihr müsst denken und handeln wie die ersten Gefährten Mohammeds.“Und weiter: „Allah hat die Macht vom Himmel an die Männer geschickt. Wenn du dein Gehirn nicht für diese Macht nutzt, ist das schlimm.“
2016 zog der Vorstand des „Somalischen Vereins für Kultur, Familien, Jugendliche und Integration“noch einen anderen bekannten somalischen Prediger an: Scheich Mohamed Idris. Idris studierte in Saudi-Arabien Theologie und zählt zur ersten Salafisten-Generation Somalias. Schon in den 1980ern war er im Dschihad, dem „Kampf der Muslime zur Verteidigung und Verbreitung des Islam“, aktiv und kritisierte wie Haroun später den bewaffneten Kampf. Ungefährlicher macht ihn das nicht. Idris, der in Saudi-Arabien lebt, füllt mit seinem Charisma und seinen Predigten große Säle in Europa, Afrika und Asien. Nach Auskunft Abukars sieht er die Rettung des kriegs- und terrorgeplagten Somalia in einer Umkehr zum Koran. Die demokratische Bundesrepublik Somalia bekam erst 2012 ein Bundesparlament.
Haroun, Idris – seit 2017 steht die Taufiq-Moschee im bayerischen Verfassungsschutzbericht. Noch im selben Jahr nahm die Münchner Kriminalpolizei Ermittlungen gegen einen der Vereinsvorstände wegen Antisemitismus auf, durchsuchte die Räumlichkeiten. Wie das Amtsgericht München auf Anfrage bestätigte, wurde der Mann im April 2019 rechtskräftig wegen Volksverhetzung zu 140 Tagessätzen à 15 Euro verurteilt. Der Mann sei 2017 als Vorstand abgewählt worden, sagt Vereinschef Maslah. Der Kontakt besteht allerdings offenbar weiter. Ab und zu besuche er die Moschee, heißt es.
Und Maslah? Er möchte gerne über die Deutschkurse reden, das Essen für Mittellose nach dem Freitagsgebet. Vor allem möchte er den Verfassungsschutz loswerden. Der erklärt aber: „Die Taufiq-Moschee ist eine salafistisch geprägte Moschee. Auch 2018 konnten dort entsprechende verfassungsfeindliche Bestrebungen festgestellt werden.“Maslah gibt vor, sich davon abzugrenzen. Unterstützt werde er dabei von Behörden, Stadt oder Sozialarbeitern nicht, sagt er. Die Münchner Fachstelle für Demokratie erklärt dazu: Man kooperiere nicht mit Institutionen, die „demokratiefeindliche“Inhalte vertreten. Das Sozialministerium verweist auf die beiden Vereine, die sich um Deradikalisierung in Bayern kümmern. Die Aufgabenbeschreibung von Ufuq und Violence Prevention Network umfasst aber keine proaktive Sozialarbeit in gefährdeten Moscheen.
Die Polizeidienststelle Milbertshofen immerhin sucht den Kontakt mithilfe sogenannter Kontaktbeamter, die sich als Mittler zwischen den Bevölkerungsgruppen sehen. „Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz trifft ja nicht generell alle dort verkehrenden Menschen“, sagt ein Sprecher. Die regelmäßigen Kommunikationsversuche der Beamten hätten die Moscheeverantwortlichen jedoch seit Jahren unbeantwortet gelassen. Maslah behauptet, ihm sei von diesen Versuchen nichts bekannt.
Seit vergangenem Sommer hat er ein neues Problem. Nach Informationen unserer Redaktion und von Deutschlandfunk Kultur wird gegen den Imam der Moschee ermittelt. Dieser und andere Personen sollen Kindern im Koranunterricht gewaltverherrlichende Videos gezeigt haben. Auch in diesem Fall gab es eine Razzia. Die Ermittlungen laufen noch. Maslah weiß das. Er lässt den Imam weiter predigen und die Kinder unterweisen. „Ich sehe bisher nur Vermutungen für dieses Video, keine Beweise“, sagt er. Ein Vorstandskollege von ihm wirkt ebenfalls gelassen. Ob der Imam ein Salafist ist – schließlich teilt er auf Facebook auch Beiträge des deutschen Salafisten Pierre Vogel? „Er wollte von ihm Deutsch lernen. Wenn Vogel gefährlich ist, wieso sitzt er dann bei Markus Lanz in der Talkshow“, antwortet er.
Das Freitagsgebet ist zu Ende. In der Küche beginnt das Tellerklappern. Ruhig schieben sich die 500 Männer zum kleinen Ausgang. Der Vorstand hatte der Autorin dieses Artikels die Teilnahme am Gebet im hinteren Teil des Raums erlaubt. Im Vorbeigehen gibt es viele finstere, aber auch ein paar ermunternde Blicke. Ein syrischer Ingenieur aus dem nahen BMW-Werk findet es gut, dass deutsche Medien Interesse zeigen. Eine Handvoll somalischer Jungen bleibt mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis stehen. Plötzlich kommt Bewegung in die Szene. Ein Mann nähert sich, er fühlt sich provoziert. „Was machen Sie hier? Eine Frau darf niemals freitags den Gebetsraum betreten, das ist im Islam verboten“, faucht er. Er sei irakischer Kurde und wisse, was „haram“, unerlaubt, ist. Der Vorsitzende versucht einzuschreiten. Kurz sieht es nach einer Rangelei aus, bevor der Mann in seine Schlappen schlüpft und das Gelände verlässt. Ahmad Mansour, Psychologe und Salafismus-Experte, der derzeit im Auftrag der Bayerischen Staatsregierung mit einem Flüchtlingsprojekt zur Demokratie-Erziehung durch fränkische Berufsschulen tourt, findet: „Wenn Menschen wegen einer Frau in der Moschee ausrasten, ist das ein Zeichen gescheiterter Integration. Ich würde es auch als ein Zeichen von Radikalisierung bezeichnen.“Der Vereinsvorsitzende überlegt, dem ihm unbekannten Iraker ein Hausverbot zu erteilen.
Spuren des ostafrikanischen Salafismus, von dem der Politologe Hasan Abukar sagt, er sei seit 20 Jahren somalischer Mainstream, führen auch nach Augsburg. Wie Bilder auf Facebook zeigen, predigte Scheich Mohamed Idris im März 2016 im „Somalischen Verein“in der Ebnerstraße. Die Aufnahmen, die 2018 gelöscht wurden, zeigen Idris mit dem Vorstand. Damals hatte der Augsburger Verein seine Räumlichkeiten in einer ehemaligen Schlosserei frisch bezogen. Es gibt zwei geschlechtergetrennte Gebetsräume für etwa 70 Mitglieder. Nach Auskunft des Vorstands kommen zum Freitagsgebet bis zu 120 Männer. Einen festen Imam gibt es nicht, die Vorstandsmitglieder übernehmen reihum die Predigt.
Beim Thema Salafismus in Augsburg war bislang vor allem die Salahuddin-Moschee im Blick von Behörden und Öffentlichkeit. Die kleine Moschee im Domviertel sei „zentrale Anlaufstelle des salafistischen Personenpotenzials“im Großraum Augsburg, sagte ein Sprecher des Verfassungsschutzes im vergangenen Jahr. Seitdem hat sich das nicht geändert. Doch gerät nun auch der „Somalische Verein Augsburg“in den Sog der Salafisten? Laut Verfassungsschutz liegen dafür derzeit „keine hinreichend gewichtigen Anzeichen“vor.
Im Frühjahr 2019 jedenfalls tat der damalige Vorsitzende Abdifatah Ahmed Abdikarim den Auftritt von Idris lässig ab: „Wir wussten gar nicht, wer das war, er war plötzlich da.“Sehr plausibel klingt das nicht. Äußerungen junger Männer des FC Som, einer Fußballmannschaft des Vereins, zeigen: Idris ist auch in Augsburg sehr bekannt und beliebt. Der FC Som trainiert auf dem Gelände eines Augsburger Sportvereins.
Scheich Haroun warnt vor den ungläubigen Deutschen
Nicht nur in Somalia sind die Prediger Stars
Am Spielfeldrand nach Idris gefragt, sagen zwei der Sportler: „Klar kennen wir Idris, jeder in Somalia kennt ihn.“Er sei für die Gesellschaft wichtig, genau wie Scheich Haroun. Den finden sie ebenfalls gut. In ihren Augen steht er für Toleranz zwischen den Religionen. Weitere Online-Recherchen bestätigen: Auch in Augsburg führen „Gefällt mir“-Angaben und Verlinkungen von Facebook-Accounts aus dem Umfeld des Vereins zu salafistischen Webseiten, Youtube-Kanälen und Predigern. Abdikarim lehnte Gesprächsanfragen mehrfach ab. Einen Kontaktversuch bewertete er als Hausfriedensbruch.
Befindet sich der „Somalische Verein Augsburg“also auf dem Weg der Radikalisierung? Frauen des Vereins scheinen dem zu widersprechen. Seit 2017 sind sie bei den Augsburger Stadtteilmüttern eingebunden, einem Projekt von Kinderschutzbund und Frauenbeauftragter des Jobcenters. Dabei werden Frauen zu Gruppenleiterinnen ausgebildet, bekommen vom Fachpersonal aus Schulen und Kitas Unterstützung. Das Interesse an Deutschoder Schwimmkursen ist groß. So entstehen, das ist die Hoffnung, Gegennetzwerke. Und kein Fall für den Verfassungsschutz, wie es die Münchner Taufiq-Moschee ist.