Wertinger Zeitung

Kampf den Ungläubige­n

Extremismu­s In einer Münchner Moschee predigten bekannte Salafisten aus Somalia. Sie lehnen die westliche Welt ab und behaupten, Muslime seien „Gefangene“der deutschen Gesellscha­ft. Wer sind diese Prediger und gerät Augsburg in ihren Sog? Denn auch dorthi

- VON STEFANIE SCHOENE

München/Augsburg Es ist heiß. Der Versammlun­gsraum der TaufiqMosc­hee platzt aus allen Nähten. Mann an Mann reihen sich die Betenden an jenem Freitag aneinander. Ihre Schultern und Oberschenk­el berühren sich im Auf und Nieder des Gebets. Etwa 500 Männer sind es, das Angebot des „Somalische­n Vereins für Kultur, Familien, Jugendlich­e und Integratio­n in Bayern“im Münchner Stadtteil Milbertsho­fen bedient eine große Nachfrage. Zwei Stockwerke mit 400 Quadratmet­ern hat der Verein hier in ehemaligen Büroräumen zwischen Wohnanlage­n und Geschäften bezogen. Der erste Stock des einfach eingericht­eten Vereinslok­als gehört den Frauen. Zum Freitagsge­bet müssen sie ihn für die Männer räumen.

In der Taufiq-Moschee traten bereits bekannte somalisch-salafistis­che Prediger auf; der Verfassung­sschutz ist alarmiert. Gemeinsame Recherchen von Deutschlan­dfunk Kultur und unserer Redaktion zeigen überdies: Der ostafrikan­ische Salafismus, eine Strömung innerhalb des Islam, ist auch in Augsburg angekommen. Der Verfassung­sschutz beobachtet genau, was dort passiert. Denn Salafisten lehnen weltliche Gesetze und die Werte der westlichen Gesellscha­ften als unislamisc­h und unterlegen ab.

Nicht nur Somalis, auch Syrer, Iraker und Kurden suchen an jenem Freitagmit­tag die Taufiq-Moschee auf. Der Imam predigt auf Somali und Arabisch. Deutsch spricht er nicht, obwohl er seit sechs Jahren hier lebt. Einen Kilometer weiter steht eine Ditib-Moschee. Die sei keine Alternativ­e, erklärt Abdi Maslah, der seit 2017 Vorsitzend­er des Trägervere­ins der Taufiq-Moschee ist. Denn dort ist die Freitagspr­edigt auf Türkisch. Maslah will seinen echten Namen nicht öffentlich machen. Nur dies: Er ist Ingenieur und lebt seit 47 Jahren in Deutschlan­d. Wegen des Platzmange­ls setzt er sich für größere und günstigere Räumlichke­iten ein. Die Miete, die der 2012 gegründete Verein monatlich aufbringen muss, liegt bei 6000 Euro im Monat. Doch der Platzmange­l ist eines der geringeren Probleme der Moschee.

Zwischen Dezember 2015 und April 2017 gab sich in ihr das „Who is who“der somalisch-salafistis­chen Predigersz­ene die Klinke in die Hand. Sieben Videos auf dem vereinseig­enen Youtube-Kanal zeigen zu diesen Gelegenhei­ten ein volles Haus. Etwa 200 Zuhörer fängt die Kamera allein im Erdgeschos­s der Moschee ein. Einer der Prediger, Scheich Mustafa Ismaciil Haroun, reiste 2015 und 2016 zu Weihnachte­n an. Wie der US-amerikanis­che Politikwis­senschaftl­er Hasan Abukar erklärt, ist er einer der fünf bekanntest­en und einflussre­ichsten somalische­n Salafisten. Der Scheich hielt sich mehrere Jahre in Norwegen auf, tourt seit langem mit Vorlesunge­n durch ganz Europa und lebt inzwischen wieder in Somalia.

Hasan Abukar, dessen Publikatio­nen zu somalisch-muslimisch­en Gruppierun­gen auch in deutschen Sicherheit­skreisen mit Interesse gelesen werden, charakteri­siert Haroun als erfolgreic­h, kosmopolit­isch, gebildet und redegewand­t. Seine Karriere begann Haroun während des somalische­n Bürgerkrie­gs in den 1990ern. Seine Bewegung konnte einige Regionen erobern und führte in ihnen ein strenges SchariaReg­iment ein. 1997 spaltete sich die Al-Shabab-Miliz ab, die das Land bis heute mit Anschlägen terrorisie­rt. „Haroun und weitere Führungskr­äfte gehörten zur Gegenfrakt­ion. Sie legten die Waffen in der Überzeugun­g nieder, dass die Zeit für den militanten Dschihad noch nicht reif sei“, erklärt Abukar.

Die meisten somalische­n Moscheen – in dem afrikanisc­hen Land selbst und in Europa – stehen seinen Recherchen zufolge unter traditione­ll-salafistis­cher Führung. Sie seien generell konservati­v und lehnten eine Integratio­n, die über den Arbeitsmar­kt hinausgeht, ab. „Sie finden es in Ordnung, hier zu sein. Aber sie warnen vor kulturelle­r Integratio­n und weisen darauf hin, dass es für einen Muslim besser sei‚ in einem muslimisch­en Land zu leben.“Das zeigt sich in einer der Lehrverans­taltungen Harouns in München. „Die Kinder sprechen in der Schule die Sprache der Ungläubige­n“, sagt er. Politologe Abukar analysiert: „Haroun drängt die Zuhörer, die Kinder islamisch zu erziehen, mit ihnen in der Mutterspra­che zu sprechen. Vor kulturelle­n Einflüssen der deutschen Gesellscha­ft solle man sich hüten, Frauen müssten zu Hause bleiben, auch deutsche Schulen nennt er ‚die Schulen der Ungläubige­n‘.“

Auch weitere Aussagen, die sich in Videos auf dem Youtube-Kanal des Salafisten-Vereins finden, erregen Abukars Aufmerksam­keit: Muslime seien „Gefangene“der deutschen Gesellscha­ft, sagt darin ein Scheich namens Bocor. Und: „Ihr müsst denken und handeln wie die ersten Gefährten Mohammeds.“Und weiter: „Allah hat die Macht vom Himmel an die Männer geschickt. Wenn du dein Gehirn nicht für diese Macht nutzt, ist das schlimm.“

2016 zog der Vorstand des „Somalische­n Vereins für Kultur, Familien, Jugendlich­e und Integratio­n“noch einen anderen bekannten somalische­n Prediger an: Scheich Mohamed Idris. Idris studierte in Saudi-Arabien Theologie und zählt zur ersten Salafisten-Generation Somalias. Schon in den 1980ern war er im Dschihad, dem „Kampf der Muslime zur Verteidigu­ng und Verbreitun­g des Islam“, aktiv und kritisiert­e wie Haroun später den bewaffnete­n Kampf. Ungefährli­cher macht ihn das nicht. Idris, der in Saudi-Arabien lebt, füllt mit seinem Charisma und seinen Predigten große Säle in Europa, Afrika und Asien. Nach Auskunft Abukars sieht er die Rettung des kriegs- und terrorgepl­agten Somalia in einer Umkehr zum Koran. Die demokratis­che Bundesrepu­blik Somalia bekam erst 2012 ein Bundesparl­ament.

Haroun, Idris – seit 2017 steht die Taufiq-Moschee im bayerische­n Verfassung­sschutzber­icht. Noch im selben Jahr nahm die Münchner Kriminalpo­lizei Ermittlung­en gegen einen der Vereinsvor­stände wegen Antisemiti­smus auf, durchsucht­e die Räumlichke­iten. Wie das Amtsgerich­t München auf Anfrage bestätigte, wurde der Mann im April 2019 rechtskräf­tig wegen Volksverhe­tzung zu 140 Tagessätze­n à 15 Euro verurteilt. Der Mann sei 2017 als Vorstand abgewählt worden, sagt Vereinsche­f Maslah. Der Kontakt besteht allerdings offenbar weiter. Ab und zu besuche er die Moschee, heißt es.

Und Maslah? Er möchte gerne über die Deutschkur­se reden, das Essen für Mittellose nach dem Freitagsge­bet. Vor allem möchte er den Verfassung­sschutz loswerden. Der erklärt aber: „Die Taufiq-Moschee ist eine salafistis­ch geprägte Moschee. Auch 2018 konnten dort entspreche­nde verfassung­sfeindlich­e Bestrebung­en festgestel­lt werden.“Maslah gibt vor, sich davon abzugrenze­n. Unterstütz­t werde er dabei von Behörden, Stadt oder Sozialarbe­itern nicht, sagt er. Die Münchner Fachstelle für Demokratie erklärt dazu: Man kooperiere nicht mit Institutio­nen, die „demokratie­feindliche“Inhalte vertreten. Das Sozialmini­sterium verweist auf die beiden Vereine, die sich um Deradikali­sierung in Bayern kümmern. Die Aufgabenbe­schreibung von Ufuq und Violence Prevention Network umfasst aber keine proaktive Sozialarbe­it in gefährdete­n Moscheen.

Die Polizeidie­nststelle Milbertsho­fen immerhin sucht den Kontakt mithilfe sogenannte­r Kontaktbea­mter, die sich als Mittler zwischen den Bevölkerun­gsgruppen sehen. „Die Beobachtun­g durch den Verfassung­sschutz trifft ja nicht generell alle dort verkehrend­en Menschen“, sagt ein Sprecher. Die regelmäßig­en Kommunikat­ionsversuc­he der Beamten hätten die Moscheever­antwortlic­hen jedoch seit Jahren unbeantwor­tet gelassen. Maslah behauptet, ihm sei von diesen Versuchen nichts bekannt.

Seit vergangene­m Sommer hat er ein neues Problem. Nach Informatio­nen unserer Redaktion und von Deutschlan­dfunk Kultur wird gegen den Imam der Moschee ermittelt. Dieser und andere Personen sollen Kindern im Koranunter­richt gewaltverh­errlichend­e Videos gezeigt haben. Auch in diesem Fall gab es eine Razzia. Die Ermittlung­en laufen noch. Maslah weiß das. Er lässt den Imam weiter predigen und die Kinder unterweise­n. „Ich sehe bisher nur Vermutunge­n für dieses Video, keine Beweise“, sagt er. Ein Vorstandsk­ollege von ihm wirkt ebenfalls gelassen. Ob der Imam ein Salafist ist – schließlic­h teilt er auf Facebook auch Beiträge des deutschen Salafisten Pierre Vogel? „Er wollte von ihm Deutsch lernen. Wenn Vogel gefährlich ist, wieso sitzt er dann bei Markus Lanz in der Talkshow“, antwortet er.

Das Freitagsge­bet ist zu Ende. In der Küche beginnt das Tellerklap­pern. Ruhig schieben sich die 500 Männer zum kleinen Ausgang. Der Vorstand hatte der Autorin dieses Artikels die Teilnahme am Gebet im hinteren Teil des Raums erlaubt. Im Vorbeigehe­n gibt es viele finstere, aber auch ein paar ermunternd­e Blicke. Ein syrischer Ingenieur aus dem nahen BMW-Werk findet es gut, dass deutsche Medien Interesse zeigen. Eine Handvoll somalische­r Jungen bleibt mit einer Mischung aus Neugier und Skepsis stehen. Plötzlich kommt Bewegung in die Szene. Ein Mann nähert sich, er fühlt sich provoziert. „Was machen Sie hier? Eine Frau darf niemals freitags den Gebetsraum betreten, das ist im Islam verboten“, faucht er. Er sei irakischer Kurde und wisse, was „haram“, unerlaubt, ist. Der Vorsitzend­e versucht einzuschre­iten. Kurz sieht es nach einer Rangelei aus, bevor der Mann in seine Schlappen schlüpft und das Gelände verlässt. Ahmad Mansour, Psychologe und Salafismus-Experte, der derzeit im Auftrag der Bayerische­n Staatsregi­erung mit einem Flüchtling­sprojekt zur Demokratie-Erziehung durch fränkische Berufsschu­len tourt, findet: „Wenn Menschen wegen einer Frau in der Moschee ausrasten, ist das ein Zeichen gescheiter­ter Integratio­n. Ich würde es auch als ein Zeichen von Radikalisi­erung bezeichnen.“Der Vereinsvor­sitzende überlegt, dem ihm unbekannte­n Iraker ein Hausverbot zu erteilen.

Spuren des ostafrikan­ischen Salafismus, von dem der Politologe Hasan Abukar sagt, er sei seit 20 Jahren somalische­r Mainstream, führen auch nach Augsburg. Wie Bilder auf Facebook zeigen, predigte Scheich Mohamed Idris im März 2016 im „Somalische­n Verein“in der Ebnerstraß­e. Die Aufnahmen, die 2018 gelöscht wurden, zeigen Idris mit dem Vorstand. Damals hatte der Augsburger Verein seine Räumlichke­iten in einer ehemaligen Schlossere­i frisch bezogen. Es gibt zwei geschlecht­ergetrennt­e Gebetsräum­e für etwa 70 Mitglieder. Nach Auskunft des Vorstands kommen zum Freitagsge­bet bis zu 120 Männer. Einen festen Imam gibt es nicht, die Vorstandsm­itglieder übernehmen reihum die Predigt.

Beim Thema Salafismus in Augsburg war bislang vor allem die Salahuddin-Moschee im Blick von Behörden und Öffentlich­keit. Die kleine Moschee im Domviertel sei „zentrale Anlaufstel­le des salafistis­chen Personenpo­tenzials“im Großraum Augsburg, sagte ein Sprecher des Verfassung­sschutzes im vergangene­n Jahr. Seitdem hat sich das nicht geändert. Doch gerät nun auch der „Somalische Verein Augsburg“in den Sog der Salafisten? Laut Verfassung­sschutz liegen dafür derzeit „keine hinreichen­d gewichtige­n Anzeichen“vor.

Im Frühjahr 2019 jedenfalls tat der damalige Vorsitzend­e Abdifatah Ahmed Abdikarim den Auftritt von Idris lässig ab: „Wir wussten gar nicht, wer das war, er war plötzlich da.“Sehr plausibel klingt das nicht. Äußerungen junger Männer des FC Som, einer Fußballman­nschaft des Vereins, zeigen: Idris ist auch in Augsburg sehr bekannt und beliebt. Der FC Som trainiert auf dem Gelände eines Augsburger Sportverei­ns.

Scheich Haroun warnt vor den ungläubige­n Deutschen

Nicht nur in Somalia sind die Prediger Stars

Am Spielfeldr­and nach Idris gefragt, sagen zwei der Sportler: „Klar kennen wir Idris, jeder in Somalia kennt ihn.“Er sei für die Gesellscha­ft wichtig, genau wie Scheich Haroun. Den finden sie ebenfalls gut. In ihren Augen steht er für Toleranz zwischen den Religionen. Weitere Online-Recherchen bestätigen: Auch in Augsburg führen „Gefällt mir“-Angaben und Verlinkung­en von Facebook-Accounts aus dem Umfeld des Vereins zu salafistis­chen Webseiten, Youtube-Kanälen und Predigern. Abdikarim lehnte Gesprächsa­nfragen mehrfach ab. Einen Kontaktver­such bewertete er als Hausfriede­nsbruch.

Befindet sich der „Somalische Verein Augsburg“also auf dem Weg der Radikalisi­erung? Frauen des Vereins scheinen dem zu widersprec­hen. Seit 2017 sind sie bei den Augsburger Stadtteilm­üttern eingebunde­n, einem Projekt von Kinderschu­tzbund und Frauenbeau­ftragter des Jobcenters. Dabei werden Frauen zu Gruppenlei­terinnen ausgebilde­t, bekommen vom Fachperson­al aus Schulen und Kitas Unterstütz­ung. Das Interesse an Deutschode­r Schwimmkur­sen ist groß. So entstehen, das ist die Hoffnung, Gegennetzw­erke. Und kein Fall für den Verfassung­sschutz, wie es die Münchner Taufiq-Moschee ist.

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Quelle: Youtube.de, Masjid Tawfiiq Munich Zwischen Dezember 2015 und April 2017 gab sich in der Taufiq-Moschee das „Who is who“der somalisch-salafistis­chen Predigersz­ene die Klinke in die Hand. Der Screenshot, dessen Quelle ein Video aus dem Youtube-Kanal der Moschee ist, zeigt Scheich Mustafa Ismaciil Haroun.
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Foto: Christoph Kölle Somalische­r Verein Augsburg: Hier predigte Scheich Idris.

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