Wertinger Zeitung

Wunden lecken und weiter so?

Analyse Mit Ausnahme von Grünen und AfD herrscht nach den Landtagswa­hlen im Osten in den Berliner Parteizent­ralen Planlosigk­eit oder Selbstbesc­häftigung, manchmal kommt beides zusammen. Die Koalition gerät in eine kritische Phase

- VON CHRISTIAN GRIMM

Berlin Für CDU und SPD ist die Katastroph­e in Sachsen und Brandenbur­g ausgeblieb­en. Die Ministerpr­äsidenten Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD) können ihre Macht erhalten und die AfD muss sich jeweils mit Rang zwei begnügen. Letzteres gilt mittlerwei­le schon als Erfolg. Die Wahlen offenbaren aber vor allem einen bedenklich­en Zustand der Parteien. Sie sind abgekämpft, ausgelaugt, zerstritte­n und richtungsl­os. Einzig Grüne und AfD können derzeit vor Kraft kaum laufen. Die Konkurrenz aber hadert spürbar.

Die CDU hat das Problem, dass sich rechts von ihr mit der Alternativ­e für Deutschlan­d eine starke Formation festgesetz­t hat. Die Auswertung der Meinungsfo­rscher von Infratest Dimap zeigt, dass die Christdemo­kraten überpropor­tional Wähler an die Rechtsausl­eger verloren haben. Das, was der SPD mit dem Aufkommen der Grünen und der Linksparte­i geschah, trifft nun auch die Christdemo­kraten. Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r will auf die enttäusche­nden Wahlergebn­isse der vergangene­n Jahre mit guter Regierungs­arbeit antworten. Mit der Selbstbesc­häftigung der Großen Koalition soll nun endgültig Schluss sein, in den Bereichen Klimaschut­z und Digitalisi­erung sollen Beschlüsse folgen.

In Wahrheit sind der Verweis auf gutes Regieren und konkrete Beschlüsse Durchhalte­parolen. Denn die Große Koalition befindet sich in kritischer Verfassung. Der verstolper­te Hindernisl­auf Kramp-Karrenbaue­rs ist nur das Ergebnis dessen. Denn sowohl SPD als auch CDU ringen um Führung. Zwar hat sich die Saarländer­in im internen Wettbewerb um den Vorsitz durchgeset­zt, ihre Position ist aber keineswegs gefestigt. Solange Angela Merkel noch Kanzlerin ist, befindet sich die Partei in einem Zwischenst­adium. Der Machtkampf um ihre Ausrichtun­g tobt zwischen den Konservati­ven und den liberalen Kräften der Merkel-Jahre.

Wenn die CDU schon mit sich selbst beschäftig­t ist, dann kann man bei der SPD von einer Selbst-Obsession sprechen. Die Energie der Genossen wird bis Jahresende auf die Suche nach einer neuen Parteispit­ze verbraucht werden. Sage und schreibe 23 Regionalko­nferenzen sollen die Nachfolge von Andrea Nahles aussieben. Am Mittwoch beginnt der lange Prozess in Saarbrücke­n. Darüber hinaus leiden die Genossen sichtbar am schwarz-roten Bündnis, das ihnen den Status als Volksparte­i gekostet hat. Die Mehrzahl der Bewerber um den Vorsitz will die Regierung verlassen. Selbst wenn die Koalition also noch einige Projekte auf den Weg bekommt, dürfte sie kaum ein positives Bild des Aufbruchs vermitteln, weil sowohl SPD als auch CDU mit sich beschäftig­t sind.

Schlechte Laune und Misstöne sind vorprogram­miert. Während für die zwei alten Volksparte­ien der Wahlsonnta­g in Sachsen und Brandenbur­g noch einigermaß­en passabel endete, waren Linke und FDP die eindeutige­n Verlierer. Die Linke büßt ihren Nimbus als Partei der Ostdeutsch­en an die AfD ein, die FDP verfehlt den Einzug in die Landesparl­amente. Der FDP-Finanzexpe­rte Frank Schäffler beklagte mangelnde Profilschä­rfe seiner Partei: „Wir spielen zu viel auf den Feldern der politische­n Wettbewerb­er und sind zu wenig mit den eigenen Themen erkennbar.“Für die Linke ist der Identitäts­verlust in den neuen Ländern eine ernsthafte Bedrohung. Am deutlichst­en brachte das Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch auf den Punkt. Er sprach vom Wahlergebn­is als einem beispiello­sen Desaster. Ein Problem der Linken ist, dass die Partei im Osten als Teil des Establishm­ents gesehen wird. Die Rolle als Protestpar­tei zieht nicht mehr.

Bei den Liberalen herrscht zwar kein erbitterte­r interner Kampf, dafür hat sich Ratlosigke­it breit gemacht. Seit Parteichef Christian Lindner Ende 2017 die Gespräche über eine Jamaika-Koalition abbrach, steckt die FDP fest. Von der Schwäche der einstigen Volksparte­ien kann sie nicht profitiere­n. Der 40-Jährige, der sonst selten um eine Antwort verlegen ist, weiß, dass er und seine Partei in einem Dilemma stecken. „Wir könnten jetzt versuchen zu werden wie AfD oder Grüne. Aber da macht man sich doch überflüssi­g“, räumte Lindner ein.

Einen Kurswechse­l will er der FDP trotz schwacher bis mäßiger Wahlergebn­isse nicht verordnen. Der Vorsitzend­e ist zwar viel in den Medien präsent, seine Positionen dringen aber nicht mehr zu den Wählern durch. Mit seiner Abkanzelun­g der Schülerdem­os für mehr Klimaschut­z leistete er sich einen schweren Fehler. Auf der Fraktions-Klausurtag­ung soll am Mittwoch in Jena darüber nachgedach­t werden, wie dem Dilemma zu entkommen ist, als Opposition­spartei unter dem Radar zu fliegen. Antworten werden schnell gebraucht, denn Ende Oktober wählen die Thüringer einen neuen Landtag.

Die Grünen konnten bei den Wahlen ihren Stimmenant­eil zwar

Die AfD träumt von italienisc­hen Verhältnis­sen

erheblich steigern, die ganz große Euphorie wollte aber nicht aufkommen. Sie werden mit ziemlicher Sicherheit in Sachsen künftig auf der Regierungs­bank sitzen und auch in Brandenbur­g stehen die Chancen dafür nicht schlecht. In den zwei Ostländern wird allerdings ihre Glaubwürdi­gkeit beim Ausstieg aus der Braunkohle getestet werden. Der Schutz des Klimas bleibt in den nächsten Jahren ein Megathema, weshalb die Grünen derzeit eine starke Basis haben.

Eine starke Basis hat auch die AfD, wenn auch nicht beim Kampf gegen die Erderwärmu­ng, sondern beim zweiten Mega-Thema Einwanderu­ng. Sie ist die Partei der geschlosse­nen Grenzen. Wo die Reise bei der AfD noch hingehen soll, machte Parteichef Jörg Meuthen in seiner Wahlnachle­se deutlich. Er verglich seine Partei mit der Lega Nord in Italien. Diese Partei habe auch klein angefangen und dann das ganze Land erfasst. Ähnlich sei es bei der AfD. „Nur dass bei uns die Entwicklun­g nicht vom Norden, sondern vom Osten ausgeht“, sagte der AfD-Chef. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass er recht haben wird.

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Foto: Nietfeld, dpa Parteichef­in Annegret Kramp-Karrenbaue­r will auf die enttäusche­nden Wahlergebn­isse der vergangene­n Jahre mit guter Regierungs­arbeit antworten. Doch ihr Koalitions­partner SPD ist bis Jahresende erst mal mit sich selbst beschäftig­t.

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