Wunden lecken und weiter so?
Analyse Mit Ausnahme von Grünen und AfD herrscht nach den Landtagswahlen im Osten in den Berliner Parteizentralen Planlosigkeit oder Selbstbeschäftigung, manchmal kommt beides zusammen. Die Koalition gerät in eine kritische Phase
Berlin Für CDU und SPD ist die Katastrophe in Sachsen und Brandenburg ausgeblieben. Die Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) und Dietmar Woidke (SPD) können ihre Macht erhalten und die AfD muss sich jeweils mit Rang zwei begnügen. Letzteres gilt mittlerweile schon als Erfolg. Die Wahlen offenbaren aber vor allem einen bedenklichen Zustand der Parteien. Sie sind abgekämpft, ausgelaugt, zerstritten und richtungslos. Einzig Grüne und AfD können derzeit vor Kraft kaum laufen. Die Konkurrenz aber hadert spürbar.
Die CDU hat das Problem, dass sich rechts von ihr mit der Alternative für Deutschland eine starke Formation festgesetzt hat. Die Auswertung der Meinungsforscher von Infratest Dimap zeigt, dass die Christdemokraten überproportional Wähler an die Rechtsausleger verloren haben. Das, was der SPD mit dem Aufkommen der Grünen und der Linkspartei geschah, trifft nun auch die Christdemokraten. Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer will auf die enttäuschenden Wahlergebnisse der vergangenen Jahre mit guter Regierungsarbeit antworten. Mit der Selbstbeschäftigung der Großen Koalition soll nun endgültig Schluss sein, in den Bereichen Klimaschutz und Digitalisierung sollen Beschlüsse folgen.
In Wahrheit sind der Verweis auf gutes Regieren und konkrete Beschlüsse Durchhalteparolen. Denn die Große Koalition befindet sich in kritischer Verfassung. Der verstolperte Hindernislauf Kramp-Karrenbauers ist nur das Ergebnis dessen. Denn sowohl SPD als auch CDU ringen um Führung. Zwar hat sich die Saarländerin im internen Wettbewerb um den Vorsitz durchgesetzt, ihre Position ist aber keineswegs gefestigt. Solange Angela Merkel noch Kanzlerin ist, befindet sich die Partei in einem Zwischenstadium. Der Machtkampf um ihre Ausrichtung tobt zwischen den Konservativen und den liberalen Kräften der Merkel-Jahre.
Wenn die CDU schon mit sich selbst beschäftigt ist, dann kann man bei der SPD von einer Selbst-Obsession sprechen. Die Energie der Genossen wird bis Jahresende auf die Suche nach einer neuen Parteispitze verbraucht werden. Sage und schreibe 23 Regionalkonferenzen sollen die Nachfolge von Andrea Nahles aussieben. Am Mittwoch beginnt der lange Prozess in Saarbrücken. Darüber hinaus leiden die Genossen sichtbar am schwarz-roten Bündnis, das ihnen den Status als Volkspartei gekostet hat. Die Mehrzahl der Bewerber um den Vorsitz will die Regierung verlassen. Selbst wenn die Koalition also noch einige Projekte auf den Weg bekommt, dürfte sie kaum ein positives Bild des Aufbruchs vermitteln, weil sowohl SPD als auch CDU mit sich beschäftigt sind.
Schlechte Laune und Misstöne sind vorprogrammiert. Während für die zwei alten Volksparteien der Wahlsonntag in Sachsen und Brandenburg noch einigermaßen passabel endete, waren Linke und FDP die eindeutigen Verlierer. Die Linke büßt ihren Nimbus als Partei der Ostdeutschen an die AfD ein, die FDP verfehlt den Einzug in die Landesparlamente. Der FDP-Finanzexperte Frank Schäffler beklagte mangelnde Profilschärfe seiner Partei: „Wir spielen zu viel auf den Feldern der politischen Wettbewerber und sind zu wenig mit den eigenen Themen erkennbar.“Für die Linke ist der Identitätsverlust in den neuen Ländern eine ernsthafte Bedrohung. Am deutlichsten brachte das Fraktionschef Dietmar Bartsch auf den Punkt. Er sprach vom Wahlergebnis als einem beispiellosen Desaster. Ein Problem der Linken ist, dass die Partei im Osten als Teil des Establishments gesehen wird. Die Rolle als Protestpartei zieht nicht mehr.
Bei den Liberalen herrscht zwar kein erbitterter interner Kampf, dafür hat sich Ratlosigkeit breit gemacht. Seit Parteichef Christian Lindner Ende 2017 die Gespräche über eine Jamaika-Koalition abbrach, steckt die FDP fest. Von der Schwäche der einstigen Volksparteien kann sie nicht profitieren. Der 40-Jährige, der sonst selten um eine Antwort verlegen ist, weiß, dass er und seine Partei in einem Dilemma stecken. „Wir könnten jetzt versuchen zu werden wie AfD oder Grüne. Aber da macht man sich doch überflüssig“, räumte Lindner ein.
Einen Kurswechsel will er der FDP trotz schwacher bis mäßiger Wahlergebnisse nicht verordnen. Der Vorsitzende ist zwar viel in den Medien präsent, seine Positionen dringen aber nicht mehr zu den Wählern durch. Mit seiner Abkanzelung der Schülerdemos für mehr Klimaschutz leistete er sich einen schweren Fehler. Auf der Fraktions-Klausurtagung soll am Mittwoch in Jena darüber nachgedacht werden, wie dem Dilemma zu entkommen ist, als Oppositionspartei unter dem Radar zu fliegen. Antworten werden schnell gebraucht, denn Ende Oktober wählen die Thüringer einen neuen Landtag.
Die Grünen konnten bei den Wahlen ihren Stimmenanteil zwar
Die AfD träumt von italienischen Verhältnissen
erheblich steigern, die ganz große Euphorie wollte aber nicht aufkommen. Sie werden mit ziemlicher Sicherheit in Sachsen künftig auf der Regierungsbank sitzen und auch in Brandenburg stehen die Chancen dafür nicht schlecht. In den zwei Ostländern wird allerdings ihre Glaubwürdigkeit beim Ausstieg aus der Braunkohle getestet werden. Der Schutz des Klimas bleibt in den nächsten Jahren ein Megathema, weshalb die Grünen derzeit eine starke Basis haben.
Eine starke Basis hat auch die AfD, wenn auch nicht beim Kampf gegen die Erderwärmung, sondern beim zweiten Mega-Thema Einwanderung. Sie ist die Partei der geschlossenen Grenzen. Wo die Reise bei der AfD noch hingehen soll, machte Parteichef Jörg Meuthen in seiner Wahlnachlese deutlich. Er verglich seine Partei mit der Lega Nord in Italien. Diese Partei habe auch klein angefangen und dann das ganze Land erfasst. Ähnlich sei es bei der AfD. „Nur dass bei uns die Entwicklung nicht vom Norden, sondern vom Osten ausgeht“, sagte der AfD-Chef. Es ist nicht ausgeschlossen, dass er recht haben wird.