Wie Michael Kretschmer die CDU rettete
Porträt Dem sächsischen Ministerpräsidenten ist fast im Alleingang die größte Überraschung der Landtagswahlen gelungen. Hinter seinem Wahlsieg steckt viel harte Arbeit – und eine ganz klare Strategie
Dresden Auf dem Höhepunkt seiner Karriere sieht Michael Kretschmer aus, als ginge es ihm nicht allzu gut. Kurz nach Verkündung der Hochrechnungen steht der sächsische Ministerpräsident auf einer Bühne. Um ihn herum haben sich seine Wahlkämpfer postiert, manch einer lacht gelöst. Nur Kretschmer blickt ernsthaft, angespannt, fast gequält. Er blinzelt nervös, seine Augen sind rot unterlaufen, jedes Wort scheint ihn anzustrengen. Der CDU-Politiker wirkt wie einer, der all seine Kräfte verbraucht hat.
Und vielleicht ist es tatsächlich so: Denn Kretschmer hat in den vergangenen Monaten wie ein Getriebener auf diesen Moment hingearbeitet – und damit die Wahl für seine Partei quasi im Alleingang gewonnen. Anders als einige seiner Vorgänger bereiste der Ministerpräsident nahezu jeden Winkel seines Freistaats, schüttelte Hände an Parteiständen, traf Unternehmer, radelte mit seinen Wählern und grillte Würstchen auf Marktplätzen. Dabei trat er so auf, wie er auch in Talkshows oder Interviews auftritt: sachlich, unaufgeregt, mitunter ein bisschen bieder.
Kretschmer, der erst seit zwei Jahren im Amt ist, verkörpert einen neuen Typus von Ministerpräsident. Er ist nicht wie sein Vor-VorVorgänger Kurt Biedenkopf, den sie in Sachsen nur „König Kurt“nannten und dessen Regierungsweise der eines Monarchen durchaus nahekam. Kretschmer gilt als einer, der nicht über seinen Bürgern steht, sondern neben ihnen.
In seinem Wahlkampf wollte der Ministerpräsident die Sachsen treffen und mit ihnen ins Gespräch kommen. Er hörte zu und diskutierte, meist in Anzug und Krawatte, oft mit tiefen Augenringen. Kretschmer redete auch mit denen, die eher mit der Alternative für Deutschland sympathisierten, grenzte sich und seine CDU aber gleichzeitig klar von der AfD ab.
Mit seiner Strategie hatte der Politiker Erfolg. Zwar ist das Ergebnis, das er für seine Partei erkämpfte, das schlechteste seit der Wiedervereinigung. Trotzdem gelang Kretschmer die größte Überraschung der Landtagswahlen. Denn in den vergangenen fünf Jahren hat sich die politische Stimmung in Sachsen radikal verändert. Viele hatten prophezeit, dass die AfD den Sieg bei der Landtagswahl davontragen würde. Sowohl bei der Bundestagswahl 2017 als auch bei der Europawahl war die Partei an der CDU vorbeigezogen. Dass sie es diesmal nicht tat, ist vor allem Kretschmers Verdienst.
Der Erfolg des Ministerpräsidenten ist aber in doppelter Hinsicht außergewöhnlich. Dass Kretschmer einmal zum Hoffnungsträger seiner Partei werden würde, hätte vor wenigen Monaten außerhalb Sachsens wohl kaum jemand erwartet. Der Politiker rückte vor zwei Jahren auf den Posten des Landeschefs: Zuvor war sein Vorgänger Stanislaw Tillich nach den historisch schlechten Ergebnissen bei der Bundestagswahl abgetreten. Als Nachfolger schlug er Kretschmer vor, der bis dahin Generalsekretär der sächsischen CDU war – und einer Umfrage zufolge der Hälfte aller Sachsen völlig unbekannt. Der Politiker hatte damals gerade eine herbe Niederlage einstecken müssen: Nach 15 Jahren war ihm sein Direktmandat in Görlitz abgenommen worden. Ausgerechnet in seiner Heimat, wo der Ingenieur mit seiner Frau und den zwei Söhnen lebt, war ein AfD-Kandidat an ihm vorbeigezogen.
Die ersten Monate im Amt sind für Kretschmer durchwachsen. Er eckt mit seiner Politik und seinen Positionen immer wieder an, vor allem außerhalb der ostdeutschen Bundesländer. Für seinen Vorschlag, die Russland-Sanktionen zu beenden, bekommt er auch aus der eigenen Partei viel Kritik. Und nachdem in Chemnitz ein Mann bei einem Messerangriff getötet wird und Rechtsextreme durch die Stadt ziehen, stellt Kretschmer sich explizit gegen Regierungssprecher Steffen Seibert, der die Übergriffe verurteilt und von Hetzjagden spricht. „Es gab keinen Mob, keine Hetzjagd und keine Pogrome“, betont Kretschmer damals.
Immer wieder muss der Ministerpräsident in den vergangenen zwei Jahren als eine Art Sachsen-Erklärer auftreten, rechte Tendenzen verdammen und gleichzeitig den Ruf der Ostdeutschen verteidigen. Als das ganze Land voller Erschrecken nach Chemnitz schaut, warnt Kretschmer davor, alle Einwohner unter Generalverdacht zu stellen.
Und während in diesen Wochen im Sommer 2018 vor allem außerhalb Sachsens viel über Sachsen gesprochen wird, organisiert Kretschmer einen Bürgerdialog, um mit den Menschen zu reden. Er steht, das wiederholt er oft, für ein anderes Sachsen. Ein Bundesland, in dem die Menschen sich nicht in ihrem Frust verlieren, sondern wieder lernen, stolz zu sein. Es ist eine Botschaft, an der Kretschmer in all den Monaten festgehalten hat. „Das freundliche Sachsen“, ruft er am Sonntag vor seinen Unterstützern, „hat gewonnen.“