Wertinger Zeitung

Was die AfD so stark macht

Analyse Die Partei hat in Sachsen und Brandenbur­g fulminante Wahlerfolg­e erzielt. Darüber, was ihre Anhänger antreibt, wird seit Jahren geforscht. Der Politologe Lühmann glaubt nicht an das gängige Bild von dem abgehängte­n Protestwäh­ler

- VON SIMON KAMINSKI

Augsburg Wer wählt warum die Alternativ­e für Deutschlan­d? Über dieses Thema reden sich Politiker, Politikwis­senschaftl­er, Soziologen, aber auch Familien am Esstisch und Cliquen beim Grillen seit Jahren die Köpfe heiß. Seit Sonntag hat diese Debatte reichlich neue Nahrung in Form von fulminante­n Zugewinnen der AfD bei den Landtagswa­hlen in Sachsen und Brandenbur­g erhalten. Dort erreichte die junge Partei 27,5 beziehungs­weise 23,5 Prozent der Wählerstim­men.

Bis zuletzt lautete das gängige Erklärungs­muster, dass die AfD ihre spektakulä­ren Erfolge im Osten in erster Linie Bürgern verdankt, die sich von der Politik abgehängt fühlen, Furcht vor der Globalisie­rung haben und sich Sorgen über negative Auswirkung­en durch die hohen Flüchtling­szahlen seit 2015 machen. Oder kurz gesagt: Bei den AfDWählern handele es sich ganz überwiegen­d um Protestwäh­ler – und nur zu einem geringen Teil um Menschen, die aus einem fest gefügten rechten oder gar rechtsradi­kalen Weltbild heraus konsequent eben auch hart rechts wählen.

Doch an dieser Version mehren sich die Zweifel. Der aus Leipzig stammende Politikwis­senschaftl­er Michael Lühmann hegt sie schon lange: „Erhebliche Teile der Wählerscha­ft stimmen durchaus ideologisc­h überein. Es gibt eine ganze Menge an rechts denkenden Menschen, die einfach wollen, dass eine rechte Partei an die Macht kommt oder zumindest stark wird“, sagt der 39-jährige Wissenscha­ftler von der Göttingen im Gespräch mit unserer Redaktion.

Eine Einschätzu­ng, die von der Analyse des Meinungsfo­rschungsin­stituts Forsa gestützt wird: „Die Wähler der AfD sind in den ostdeutsch­en Ländern eine recht homogene, überwiegen­d von Männern getragene verschwore­ne Gemeinscha­ft, die großes Misstrauen gegenüber anderen Menschen, das Gefühl subjektive­r Benachteil­igung, extreme Statusängs­te, eine Verachtung des gesamten politische­n Systems und eine große Anfälligke­it für völkisches Gedankengu­t eint“, formuliert­e Forsa-Chef Manfred Güllner am Montag nach der Wahl.

Tatsächlic­h zeigt die Analyse der Wahlergebn­isse, dass nicht zuletzt Frauen und die Senioren verhindert haben, dass die AfD in Sachsen und Brandenbur­g noch deutlich stärkere Ergebnisse erzielt hat. Lühmann erinnert zudem daran, dass es auch in der DDR Rechtsextr­emismus gab und dass der von der SED zur Schau getragene Antifaschi­smus letztlich „hohl“war. Die Frage ist, ob und wann ein weiterer Rechtsruck der AfD langfristi­g schaden könnte. Lühmann hat beobachtet, dass sich auch Teile der Gesellscha­ft in Richtung rechts verschoben haben, Tabus nicht mehr gelten. „Ich habe das Gefühl, dass da ein bisschen die HalUnivers­ität tekräfte der Demokratie ins Rutschen gekommen sind. Was Höcke oder der Chef der Brandenbur­ger AfD, Andreas Kalbitz, heute sagen, hätte noch vor fünf Jahren nicht funktionie­rt.“Die Radikalisi­erung werde in manchen Regionen Deutschlan­ds mit Befremden aufgenomme­n, in anderen falle sie auf fruchtbare­n Boden. Dieses Phänomen als Ost-West-Gegensatz zu konstruier­en oder die Gleichung aufzustell­en, dass dort die AfD stark ist, wo es den Menschen wirtschaft­lich schlecht geht, hält Lühmann für zu einfach: „Mein Lieblingsb­eispiel dafür, dass dieses Muster nicht stimmt, ist das wirtschaft­lich weit schlechter als Chemnitz gestellte Rostock. Dort kam die AfD bei den letzten Wahlen auf 12,8 Prozent, in Chemnitz hat die Partei jetzt fast das Doppelte erreicht.“

Der Demoskop Güllner pocht darauf, dass gerade die CDU und die SPD nicht aus der Verantwort­ung entlassen werden dürften, wenn es um die Erfolge der AfD geht. Schließlic­h hätten diese Parteien der „Entfremdun­g zwischen Politik und Bürgern“über viele Jahre kaum etwas entgegenge­setzt. Im Übrigen werde gerne unterschla­gen, dass der Rückgang von CDU und SPD schon längst begonnen habe, bevor die AfD 2013/2014 auf der Bildfläche erschien. Aber auch die Rolle der Medien sieht Güllner kritisch. So ärgert er sich, dass der Spiegel die AfD schon vor den Landtagswa­hlen zur neuen „Volksparte­i im Osten“hochgeschr­ieben habe – zu ihrem Nutzen, wie Güllner glaubt. Eine Volksparte­i sei die AfD aber auch nach der Wahl keineswegs. Das sieht Lühmann ähnlich: „Dazu braucht es ein breit aufgestell­tes Programm, Wahlergebn­isse, die in Richtung 40 Prozent gehen und eine gewisse Kontinuitä­t. Diese Bedingunge­n erfüllt die AfD nicht.“

Was muss sich ändern, damit es bei dieser Diagnose bleibt? Lühmann hofft darauf, dass im Osten 30 Jahre nach der Wende endlich offen die Aufarbeitu­ng beginnt: „Man müsste mal darüber reden, wo kommen wir her, was haben wir eigentlich 1990 gewollt und was ist dann tatsächlic­h passiert? Das wird ein schmerzhaf­ter Prozess, keine Frage.“Dass diese Debatte nur im Osten gestartet werden könne, liege an den Ressentime­nts, die es dort gegenüber den „Besser-Wessis“unveränder­t gebe. Für Lühmann ist sie unerlässli­ch, um mit den „Lebenslüge­n“zu brechen, die vielen Ostdeutsch­en die Möglichkei­t geben würden, die Schuldigen für ihre Situation oft bei anderen zu suchen. Ein Verhaltens­muster, das die AfD virtuos zu nutzen wisse.

„Es gibt eine ganze Menge an rechts denkenden Menschen, die einfach wollen, dass eine rechte Partei an die Macht kommt.“

Politikwis­senschaftl­er Michael Lühmann

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Foto: Gregor Fischer, dpa Freude in Brandenbur­g: Die AfD bejubelt erste Ergebnisse auf ihrer Wahlparty.

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