Wurst ganz ohne Fleisch
Essen Rügenwalder Mühle ist ein Fleischverarbeiter. Doch die Firma setzt auf den Veggie-Trend – und streicht Klassiker
Bad Zwischenahn Egal, wo die Currywurst nun erfunden wurde, aus einem Ort kommt sie bald sicher nicht mehr: aus Bad Zwischenahn. Dort, im Norden Niedersachsens, hat Rügenwalder Mühle seinen Sitz – einer der bekanntesten Wursthersteller des Landes. Für September hat er nun das Ende der Currywurst entschieden – zumindest aus Fleisch. Man brauche mehr Platz für vegetarische Produkte, sagt Firmenchef Godo Röben. Mehr noch: Die Fleisch- und Wurstbranche habe es in den vergangenen Jahren übertrieben, Tierwohl und Klimaschutz seien auf der Strecke geblieben. „Es ist an der Zeit, mal 50 Prozent weniger Tiere zu essen.“Bemerkenswerte Töne für einen Fleischverarbeiter. Und eine Strategie, die auch im eigenen Haus anfangs nicht jeden überzeugte.
Tatsächlich sind fleischlose Produkte bundesweit im Kommen. Nach Angaben des Marktforschungsunternehmens Nielsen steigt der Wert der im Einzelhandel verkauften vegetarischen Produkte deutlich an. Zwischen Mitte 2018 und Mitte 2019 sei Veggie„Fleisch“ in Höhe von 163,1 Millionen Euro über die Ladentheken gegangen – fast zehn Prozent mehr als noch vor fünf Jahren, sagt NielsenExpertin Silke Schmitt.
Auch bei der Rügenwalder Mühle zeigt ein Blick in die Geschäftszahlen, dass es für Fleischersatzprodukte einen Markt gibt. Veggie-Produkte machen heute 35 bis 38 Prozent des Umsatzes aus. „Das Ziel von 40 Prozent werden wir im nächsten Jahr auf jeden Fall erreichen“, sagt Röben.
Der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels (BVLH) sagt, Verbraucher investierten von Jahr zu Jahr mehr Geld in vegetarische und vegane Produkte. „Nachhaltigkeitsaspekte spielen eine wesentliche Rolle. Dazu gehört auch das Tierwohl. Auf dieser Welle ist das Veggie-Sortiment bisher gut mitgeritten.“
Eine Entwicklung, die auch den Firmenlenkern der Rügenwalder Mühle zu denken gab. Die Weltgesundheitsorganisation WHO habe gewarnt, es werde zu viel Fleisch gegessen. Und die Tierhaltung sei klimaschädlicher als der gesamte weltweite Verkehr. „Wenn man das sieht, dann muss man ein neues Geschäftsmodell haben“, sagt Röben.
Bei der Rügenwalder Mühle kommen die Veggie-Produkte nicht zusätzlich ins Sortiment. Die Fleischverarbeitung sei in den vergangenen vier Jahren um durchschnittlich drei Prozent zurückgegangen, heißt es – dadurch wurden Kapazitäten frei.
Weltweit nimmt das Interesse an Fleischersatzprodukten zu. „Neben Start-ups steigen auch traditionelle fleischverarbeitende Unternehmen in diesen Markt ein“, berichtet der Interessenverband ProVeg. Um den Börsengang des US-Unternehmens Beyond Meat im Mai entstand ein derartiger Hype, dass selbst CSUPolitiker Alexander Dobrindt nach einem Besuch im Silicon Valley von fleischlosen Burgern schwärmte – was die Chefs der Rügenwalder Mühle verärgerte. „Das ist, als wenn Sie sagen, der Tesla ist ja wohl das allerschönste Auto und vergessen, dass wir auch noch ein paar Autohersteller hier haben“, kritisiert Röben. „Wir gehören zu den TopTen-Unternehmen in diesem Bereich weltweit.“Tatsächlich sind deutsche Firmen nach ProVeg-Angaben im internationalen Vergleich führend. 15 Prozent aller zwischen Juli 2017 bis Juni 2018 weltweit neu auf den Markt gebrachten veganen Produkte stammen den Angaben zufolge aus Deutschland.
Überrollen die fleischlosen Alternativen also den Markt? So weit sei es noch lange nicht, macht der Lebensmittelhandelsverband BVLH deutlich. Das jährliche Umsatzvolumen im Handel mit solchen Produkten liege noch immer weit unter einem Prozent des gesamten Lebensmittelumsatzes. „Fleischersatz-Produkte gehören weiterhin zu den Nischen-Sortimenten“, sagt ein Verbandssprecher.
Christopher Weckwerth und Michael Brehme, dpa