Geisterstädte und Alpenkäffer
Entdeckung Geschichten über Inseln, die zu Festungen werden. Und Städte, die Menschen zu Gespenstern machen
All seinen Orten sei „eine widerspenstige Autonomie eigen, als seien sie dem eisernen Käfig des Gewöhnlichen entkommen“, schreibt Alastair Bonnett im Vorwort zu seinem etwas anderen Reiseführer. Bei den Beschreibungen der entlegenen Inseln, der bodenlosen Städte und verlorenen Orte nimmt er sich durchaus heraus, Kritik zu üben am gegenwärtigen Zustand unserer Welt.
Dass sich die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer in den letzten Jahren in „waffenstarrende und für Angriffszwecke geeignete Festungen verwandelt haben“, irritiert ihn ebenso wie die Enklave Neurussland in der Ukraine oder die Tatsache, dass beim „Guerilla Gardening“das „Bemühen, öde Orte für Blumen und Nahrungsmittel zurückzugewinnen, zu einem heldenhaften Akt des Widerstands bewaffneter Militanter aufgeblasen“werde. Dafür erfreut er sich in Südtirol an der „Vielfalt dieser wunderschönen Alpenkäffer“und den Menschen, die „enorm stolz“sind auf ihre sprachlichen Enklaven-Kultur und nicht nur diverse Varianten des Ladinischen, sondern auch des Deutschen sprechen. Oder auch an der Aussage, dass die „Zabbalin“in Kairos Müllstadt „allen modernen grünen Initiativen weit voraus“sind.
Er wundert sich über das römische Hauptquartier des Malteserordens, der für sich Souveränität beansprucht: ein Souverän ohne Land. Und er ist stolz auf die Republik Stratford, die nach dem Brexit-Votum ihre Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich erklärt hatte: eine Straße des Widerstands – und die Straße, in der Bonnett selbst wohnt.
Bei den utopischen Orten steht der Islamische Staat für „ein apokalyptisches Projekt“, destruktiv gegen sich selbst, während die anderen Utopisten so freudig wie naiv an der für sie besten aller Welten arbeiten – ob in Cybertopia oder im dänischen Christiania, ob als „neue Nomaden“mit dem Ziel scheinbar grenzenloser Mobilität oder als Nutznießer eines „elitären Helikopter-Urbanismus“wie in São Paulo. In Hongkong stellt der vielreisende Professor fest, dass „das Versprechen der Ultraverdichtung, einer funktionierenden Stadt, die nicht nach außen wuchert, sondern hochgradig konzentriert ist“, für die Planer des 21. Jahrhunderts „unwiderstehlich“geworden ist. Und im Tokioter Untergrund teilt er ein „allen gemeinsames Gefühl, dass die Stadt unmöglich ist, dass sie unsere Fähigkeiten übersteigt, dass wir zwischen ihren Orten wie Gespenster hin und her gleiten“.
Man muss nicht alle Ängste und Kritiken des Autors teilen, um dieses Buch spannend, ja geradezu aufregend zu finden. Auf jeden Fall zeigt es interessierten Lesern, dass vieles, was uns selbstverständlich und bekannt erscheint, noch eine ganz andere Seite hat.
Alastair Bonnett:
Die allerseltsamsten Orte der Welt. C.H. Beck, 268 S. 19,95 ¤