Warten auf die Bezahl-Revolution
Finanzen Die Liebe der Deutschen zum Bargeld galt als unerschütterlich. Während in anderen Ländern Scheine und Münzen zunehmend verschwanden, hielten die Deutschen daran fest. Doch nun greifen auch hierzulande Kunden an der Kasse immer öfter zu Karte und
Wertingen Eigentlich hat Christine Gerblinger gar keine Zeit zu reden. Nun, da der Schulanfang so kurz bevorsteht, herrscht in ihrem Buchund Schreibwarenladen in Wertingen Hochbetrieb. Die Frau mit den braunen kinnlangen Haaren steht an der Kasse. Vor dem Tresen: eine Schlange.
Jeder Kunde möchte etwas anderes. Ein Mann hat sich eine Wanderkarte bestellt. Eine Mutter mit zwei Kindern arbeitet die offenen Posten auf der Materialliste zum Schulstart ab. Der Sohn möchte ein paar Bundesliga-Sammelkarten. Gerblinger hat die richtigen bisher nicht geliefert bekommen. „Ich frage mal nach, wann das kommt“, sagt sie. Eine ältere Dame hat sich zwei Bücher ausgeguckt. Gerblinger scannt die Strichcodes auf den Buchrücken ein. „Kann ich auch mit Karte zahlen?“, fragt die Frau. Gerblinger nickt. Klar, das geht. Hinterher wird sie sagen: „Das war jetzt aber eher ungewöhnlich.“Und das stimmt. Eine neue Studie des Allensbach-Instituts zeigt: In Deutschland bezahlen vor allem junge Menschen mit Karte. Die älteren – 45 Jahre und drüber – greifen am liebsten zu Scheinen und Münzen. Doch im Land der Bargeld-Liebhaber rührt sich was.
Seit 150 Jahren gibt es die Buchhandlung Gerblinger in Wertingen. Sie liegt am nördlichen Ende des Marktplatzes, gegenüber ist ein Eiscafé, ein Fachhändler für Öfen und Fliesen und eine NKD-Filiale. Seit 1986 betreiben Christine Gerblinger und ihr Mann Franz das Geschäft. Seither versuchen sie, mit der Zeit zu gehen. Irgendwann boten sie nicht mehr nur Bücher an, sondern auch Schreibwaren, Schulranzen, Federmäppchen, Lottoscheine, Grußkarten, ausgefallene Speiseöle und Deko. Und sie setzten früh auf die Kartenzahlung. „Als es möglich war, mit Karte zu bezahlen, haben wir uns ein Lesegerät angeschafft“, erinnert sich Gerblinger. Anfang der 90er Jahre führten Banken die ECKarte – kurz für Eurocheque und später Euro Cash – auch zum Bezahlen ein. Davor konnten die Deutschen mit der Karte Geld abheben. Anfang der 90er hätten freilich wenige Kunden die Möglichkeit genutzt, sagt Gerblinger. Inzwischen sieht das anders aus. Von täglich 100 bis 200 Kunden zahlen im Schnitt 30 bis 40 mit Karte. Der Rest bar.
Die Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung – kurz GfK – hat gerade erst eine Studie vorgestellt, wonach 92 Prozent der Deutschen erwarten, dass sie in einem Laden mit Karte bezahlen können. Jeder Dritte hat nach Angaben der Forscher sogar schon ein Geschäft verlassen, weil es nur Bargeld annahm. Dabei galt die Liebe der Deutschen zum Bargeld lange als unerschütterlich. Die Beziehung war so eng, dass es nur schwer vorstellbar schien, dass sich mal die Karte dazwischen schieben sollte. Aber heute?
Die Deutsche Bundesbank erstellt alle drei Jahre eine Studie, bei der sie Kunden an der Ladenkasse aufs Portemonnaie schaut. Wie begleichen diese ihre Rechnungen? Bar, mit Girokarte, wie die EC-Karte heute heißt, mit Kreditkarte oder gar mit dem Handy?
Die Notenbank stellt fest: In Deutschland wird weniger mit Bargeld bezahlt. Stattdessen greifen die Menschen immer öfter zur Karte. Von den 16- bis 44-Jährigen zahlt mehr als die Hälfte mit Karte. Dabei werden in keinem anderen Euro-Land so viele Cent-Münzen produziert wie hierzulande. Und in kaum einem anderen Land wurden neue Techniken wie das Bezahlen mit dem Handy so lange so kritisch beäugt wie in Deutschland.
Die Bundesbank-Studie zeigt zudem: Die Liebe der Deutschen zum Bargeld flaut schon seit längerem ab. Betrachtet man etwa, wie viel Prozent der Umsätze im Handel mit Karte und wie viel in bar bezahlt werden, wächst der Anteil der Kartenzahlung seit Jahren immer um eins bis 1,5 Prozent, sagt Ulrich Binnebößel. Er ist beim Handelsverband Deutschland für das Thema Bezahlen zuständig. „So neu ist das also gar nicht“, sagt er. Und doch sieht er Anzeichen dafür, dass eine Bezahl-Revolution bevorsteht. Woran er das festmacht?
Zum einen haben die Banken vor etwa zwei Jahren angefangen, das sogenannte kontaktlose Zahlen einzuführen. In vielen Girokarten ist mittlerweile ein sogenannter NFCChip eingebaut. Liegt die Karte auf einem Lesegerät, kann dieses den Chip auswerten, ohne dass die Karte eingesteckt wird. Schon ist bezahlt. Bei Beträgen bis zu 25 Euro muss der Kunde nicht mal seine Geheimnummer eingeben.
Wer so bezahlt, braucht im Schnitt elf Sekunden. Zum Vergleich: Barzahlen dauert durchschnittlich 22 Sekunden. Bezahlen mit Karte und Pin 29, mit Karte und Unterschrift 38 Sekunden. Seit es diese kontaktlose Möglichkeit gibt, wird sie von vielen gerne angenommen, sagt Binnebößel. Das zeigt sich etwa daran, dass Kunden inzwischen auch kleine Beträge häufiger mit Karte begleichen.
Und dann ist da noch ein zweiter Faktor: das Smartphone. Der Gegenstand, der schon jetzt weite Teile des Alltags verändert hat, mischt auch beim Bezahlen mit. Viele Banken bieten ihren Kunden Apps an. Wer die Programme auf sein Handy lädt, kann sich auch eine elektronische Girokarte herunterladen. Das heißt: Das Smartphone wird zur EC-Karte. App öffnen. Smartphone aufs Lesegerät legen. Fertig.
Schon heute ist es möglich, sich in einer Großstadt wie München ohne Geldbeutel, ja sogar ohne EC-Karte zu bewegen und dennoch Geld auszugeben. Die Zugfahrkarte wird in der Bahn-App gekauft. Das Nahverkehrsticket über die App des Münchner Verkehrs- und Tarifverbundes. Und vor Ort? Kann man mit der Smartphone-App der Bank bezahlen. Für Menschen aus anderen Ländern ist das völlig normal.
Chinesen etwa kaufen auf dem Münchner Viktualienmarkt vollgar kommen bargeldlos ein. Sie wickeln ihre Geschäfte über Alipay ab, einen chinesischen Bezahldienstleister. Denn Bargeld wird dort im Alltag tatsächlich immer seltener. In Schweden oder den Niederlanden ist es ähnlich. Wer dort bar bezahlt, wird etwas komisch beäugt.
Ganz alleine waren die Deutschen mit ihrer Liebe zum Bargeld allerdings nie. Die Europäische Zentralbank fand heraus, dass auch Griechen, Malteser, Spanier, Portugiesen und Italiener gern mit barer Münze zahlen – und das sogar noch öfter tun als die Deutschen.
Doch selbst wenn diese ihren Hang zum Bargeld langsam ablegen, noch greifen sie nur in relativ kleiner Zahl stattdessen zum Handy. Auch wenn sämtliche Bankenverbände sagen: Die Bedeutung wächst. Der Handelsexperte Binnebößel sieht das skeptischer: „Bezahlen per Handy bietet ja keinen Mehrwert im Vergleich zur Girokarte.“Die Karte hingegen wird fast überall akzeptiert.
Selbst bei einem Streifzug durch das 9000-Einwohner-Städtchen Wertingen lehnt – bis auf den neu eröffneten Bäcker – niemand die Karte ab. Und auch die Bäckereiverkäuferin sagt: „Ab nächstem Jahr nehmen wir dann auch Karte.“
Aber die Deutschen wären nicht die Deutschen, hätten sie nicht Zweifel und Bedenken. Bargeld, so lautet ein Argument der KartenKritiker, sei für jeden zugänglich. Ein Kind bekommt sein Taschengeld bar ausgezahlt und kann sich damit Süßigkeiten oder BundesligaSammelkarten kaufen. Mit Karte zahlen kann es nicht. Die Kritiker fragen außerdem, wie ein junger Mensch den Bezug zu Geld lernen soll, wenn er nie erlebt, wie es weniger wird. Wenn er nicht sieht, wie vom Schein erst Euro-Münzen und dann nur Cent-Stücke bleiben.
Und zweitens: Bargeld hinterlässt keine Spuren. Wer immer nur mit Karte bezahlt, kann überwacht werden, befürchten Bargeld-Anhänger. Das Einkaufsverhalten könne ausgelesen, Shopping-Wege ausgespäht werden. Mancher fürchtet gar, die Abschaffung des Barzahlens stünde kurz bevor. Alle Bankenverbände und die Bundesbank weisen diesen Verdacht weit von sich. Viele Händler dagegen sehen es gar nicht so ungern, wenn Kunden mit Karte zahlen. Denn Bargeld wird für sie immer teurer, sagt Binnebößel. Manche
Anfang der 90er Jahre kam die EC-Karte zum Bezahlen
Bargeld wird für Händler immer teurer
Banken verlangen etwa Gebühren, wenn sie Münzrollen ausgeben oder das Geld am Abend annehmen.
Natürlich kostet auch die Kartenzahlung etwas: Die Läden müssen die Lesegeräte mieten und zahlen pro Transaktion eine Gebühr an die Geldinstitute. „Aber die Schere zwischen den Bargeld-Kosten und den Karten-Kosten geht immer weiter zu“, sagt Binnebößel.
Auch in Wertingen bemerkt Buch- und Schreibwarenhändlerin Christine Gerblinger, dass die Kunden weniger auf Bargeld setzen. „Gerade jetzt zu Schulbeginn, wenn sie größere Anschaffungen machen und höhere Beträge bezahlen, nutzen sie öfter die Karte“, sagt sie. Kleinere Summen glichen sie hingegen in bar aus.
Mit dem Handy habe bisher nur einer zahlen wollen, glaubt sich die Chefin des Ladens zu erinnern. Und natürlich habe das auch geklappt. Denn ihr Lesegerät ist längst für die Bezahl-Revolution gerüstet. Ihr selbst ist egal, welche Methode der Kunde wählt: „Wir bieten alles an.“