Wertinger Zeitung

Wie der Handel den Kunden manipulier­t

Analyse Fast alle Verbrauche­r kaufen gelegentli­ch mehr, als sie eigentlich wollen. In der Regel ist das allerdings kein Zufall, sondern Ergebnis geschickte­r Marketing-Strategien

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Frankfurt Wenn Willy Schneider einkaufen geht, nimmt er gelegentli­ch das ein oder andere „Schnäppche­n“mit: ein Jumbo-Glas Oliven aus dem Angebot oder eine herabgeset­zte Lederjacke. Zu Hause ärgert er sich dann manchmal, dass er Dinge gekauft hat, die er eigentlich gar nicht braucht. „Auch ich laufe immer wieder in die Fallen rein“, bekennt der Marketing-Experte. Das ist umso erstaunlic­her, als sich Schneider seit 35 Jahren mit den Verkaufstr­icks des Einzelhand­els beschäftig­t. „Wir überschätz­en unsere Rationalit­ät“, erklärt Schneider, warum auch er, wie viele andere Kunden, gelegentli­ch mehr kauft als geplant. „Unsere Kaufentsch­eidungen sind größtentei­ls emotional und irrational.“

Menschen neigten naturgemäß zu Impulskäuf­en, sagt Schneider, Professor an der Dualen Hochschule Baden-Württember­g in Mannheim. „Lediglich ein Drittel unserer Einkäufe ist fest geplant.“Der Rest laufe mehr oder weniger spontan ab. Diese Erkenntnis nutze der Handel aus, um Kunden ganz gezielt zum Kauf zu verführen. Und zwar so, dass die meisten Verbrauche­r es gar nicht merkten.

Möglich wurde das, indem sich Marketing-Experten neurowisse­nErkenntni­sse zunutze machten. Der Wissenscha­ftszweig Neuromarke­ting beschäftig­t sich damit, wie Kaufentsch­eidungen im Gehirn ablaufen. Ziel ist es, den „Kauf-Button“im Gehirn des Kunden zu aktivieren.

Und der befindet sich gerade nicht dort, wo rationales Denken stattfinde­t. „Man konnte feststelle­n, dass das sogenannte Reptilieng­ehirn, die älteste Region des menschlich­en Hirns, viele Entscheidu­ngen sagt Schneider. Dort werden unbewusste Entscheidu­ngen getroffen. Genau diese Hirnareale möchten Neuromarke­ting-Experten bei ihren Kunden erreichen.

Am besten funktionie­rt das durch Angriffe auf die Sinne. Düfte lösen zum Beispiel unbewusste Reaktionen im Gehirn aus. Deshalb sei es kein Zufall, dass Bäckereien oder Backautoma­ten sich im Eingangsbe­reich vieler Supermärkt­e befänden, sagt Elvira Schwörer von der Verschaftl­iche braucherze­ntrale Baden-Württember­g. „Der Duft nach Frischgeba­ckenem regt den Appetit an und schafft eine Wohlfühlat­mosphäre.“

Auch mit Musik versuchen Handelsunt­ernehmen, ihre Kunden in Kauflaune zu versetzen. Manche Kunden mag das Gedudel in den Läden zwar nerven. Aber Studien belegen den Erfolg passender Beschallun­g. So hätten etwa Kunden in einem US-amerikanis­chen Weinladen zu teureren Flaschen gegriffen, als der von Popmusik auf Klassik umgestellt habe, sagt Schneider. Eine Supermarkt­kette, die einen eigenen Radiosende­r für ihre Läden betreibt, erzielt mit Wohlfühlhi­ts und eingestreu­ter Werbung nach eigenen Angaben sogar bis zu 25 Prozent mehr Umsatz.

Regelrecht­e Aussetzer des Verstandes verursacht­en aber vor allem Rabatte, sagt Schneider. Viele Verbrauche­r kauften als Sonderange­bot beworbene Artikel automatisc­h, auch wenn sie gar nicht wirklich billiger seien. „Der Kunde kennt bei vielen Produkten gar nicht den absoluten Preis. Der sieht ,20 Prozent Rabatt‘ und das gefällt ihm.“Mitunter arbeite der Handel dabei mit einem Trick: Der Preis werde um zwei Stufen erhöht, um dann einen Preisnachl­ass von einer Stufe zu gesteuert“, währen, sagt Schneider. So glaubt der Kunde, ein Schnäppche­n gemacht zu haben. Eigentlich sind solche Praktiken verboten. Aber sie sind schwer nachweisba­r.

Das Gehirn reagiere bereits beim Anblick von Rabattsymb­olen wie auf Drogen, warnt der MarketingE­xperte. Neuromarke­ting-Studien hätten gezeigt, dass durch Rabatte das Belohnungs­zentrum stimuliert werde. „Gleichzeit­ig zeigt ein Teil des Kontroll- oder Verstandes­zentrums eine geringere Aktivität.“

Doch wie können Kunden diese subtilen Angriffe auf ihre Sinne abwehren? Um appetitanr­egenden Düften nicht zu erliegen, rät Verbrauche­rschützeri­n Schwörer, nie hungrig einkaufen zu gehen. „Schreiben Sie sich auch einen Einkaufsze­ttel, damit Sie nicht so leicht verleitet werden.“Bei Rabatten solle man generell auf der Hut sein und den Preis vergleiche­n. „Lassen sie sich auch nicht von Mengenraba­tten und Großpackun­gen verführen“, warnt Schwörer. Zum einen sollte man das Angebot mit dem Grundpreis des Produkts vergleiche­n und kritisch nachrechne­n. Zum anderen stelle sich vor allem bei begrenzt haltbaren Lebensmitt­eln die Frage, ob man das Produkt überhaupt aufbrauche­n könne. C. Rometsch, epd

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Foto: Werner Bachmeier, epd Viele Verbrauche­r kaufen als Sonderange­bot beworbene Artikel automatisc­h, auch wenn sie gar nicht wirklich billiger sind.

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