Wertinger Zeitung

Victor Hugo: Der Glöckner von Notre-Dame (58)

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Ein Welterfolg – zigfach verfilmt und als Bühnenwerk bearbeitet. Erzählt wird auch die tragische Geschichte des missgestal­teten, tauben Quasimodo, der die hübsche Zigeunerin Esmeralda verehrt, aber im Leben mit ihr nicht zusammenko­mmt. Doch der Hauptprota­gonist, das ist die Kathedrale.

Das Gesicht des Ritters wurde flammroth; er trat einen Schritt zurück und legte mit stolzer Miene die Hand an den Griff seines Schwertes. Der Schatten stand unbeweglic­h wie zuvor, ruhig und fest, seine glühenden Blicke auf ihn heftend.

Dieser Auftritt glich so ziemlich dem Zweikampfe zwischen Don Juan und der steinernen Bildsäule.

„Christ und Satan!“schrie der Kapitän. „Ich höre da ein Wort, das selten zu den Ohren eines Chateauper­s dringt! Wenn Du es zu wiederhole­n wagst . . .“

„Du lügst,“sagte kalt und ruhig der Schatten.

Der Hauptmann knirschte mit den Zähnen. Knecht Ruprecht, Gespenst, Aberglaube, Alles war plötzlich vergessen. Er sah nur noch einen Menschen vor sich, der ihn beleidigt hatte.

„Ah! So ist es recht!“stammelte er mit einer von Wuth erstickten Stimme und zog sein Schwert. „Hier! Gleich auf der Stelle! Ziehe!

Schwert heraus! Schwert heraus! Blut auf diesem Pflaster!“.

Der Schatten rührte sich nicht. „Hauptmann Phöbus,“sagte er bitter, aber ruhig, „Du hast Dein Rendezvous vergessen.“

Der Zorn, der Leute vom Schlage unseres Phöbus ist eine Milchsuppe, deren Aufwallung ein einziger Tropfen kalten Wassers niederschl­ägt. Das einfache Wort, welches der Schatten sprach, senkte das Schwert, das in des Hauptmanns Hand blitzte.

„Morgen,“fuhr der Schatten fort, „übermorgen, in einem Monat, in zehn Jahren, Du sollst mich stets bereit finden, Dir den Hals zu brechen. Jetzt aber geh zu Deinem Rendezvous.“

„In der That,“sagte Phöbus, als ob er mit sich selbst zu kapitulire­n suchte, „es sind zwei herrliche Dinge, die man in einem Rendezvous findet: einen Degen und ein Mädchen; ich sehe aber nicht ein, warum ich eines für das andere aufgeben sollte, wenn ich beide haben kann.“

Hiemit steckte er sein Schwert in die Scheide.

„Geh zu Deinem Rendezvous,“wiederholt­e eintönig der Schatten.

„Herr,“antwortete Phöbus etwas verlegen, „schönen Dank für Eure Höflichkei­t. Ihr habt Recht in der Hauptsache, es ist morgen immer noch Zeit, uns den Wanst des Vaters Adam aufzuhauen. Es ist schön von Euch, daß Ihr mir noch ein paar angenehme Stunden gönnen wollt. Ich hoffte zwar wohl, Euch auf dem Pflaster zu betten und noch zeitlich genug zu meiner Schönen zu kommen, denn man muß ohnedies in solchen Fällen die Weibsperso­nen etwas auf sich warten lassen. Aber Ihr scheint mir ein kecker Degen zu sein, und so ist es doch sicherer, wenn wir die Partie auf morgen verschiebe­n. Ich gehe also zu meinem Rendezvous, das um sieben Uhr ist, wie Ihr wißt.“

Als Phöbus diese Worte sprach, kratzte er sich plötzlich hinter den Ohren: „Höllenelem­ent! Ich habe vergessen, daß ich nicht einen Heller habe, um das Zimmer zu bezahlen, und die alte Schachtel will immer ihr Geld voraus haben, weil sie mir nicht traut.“

„Hier ist Geld.“

Phöbus fühlte die kalte Hand des Schattens, der ein großes Silberstüc­k in die seinige gleiten ließ. Er nahm das Geld und drückte die kalte Hand: „Beim wahrhaftig­en Gott!“rief er aus. „Ihr seid ein guter Kerl.“

„Eine Bedingung nur,“sagte der Schatten. „Beweise mir, daß ich Unrecht hatte, und daß Du wahr geredet hast. Verbirg mich in irgend einem Winkel, aus dem ich sehen kann, ob dieses Weib wirklich dasselbe ist, dessen Namen Du genannt hast.“

„Mit Vergnügen zu Euern Diensten,“erwiederte der Hauptmann, „Wir nehmen die Kammer zur heiligen Martha; dort könnt Ihr aus dem Hundestall, der daneben ist, Alles bequem mit ansehen.“

„So komm!“sagte der Schatten. „Zu Diensten!“erwiederte der Kapitän, „Ich weiß zwar nicht, ob Ihr nicht der Teufel in eigener Person seid, aber diesen Abend wollen wir gute Freunde sein, und morgen will ich bezahlen, was ich Euch an Geld und Säbelhiebe­n schuldig bin.“

Sie gingen schnell vorwärts. Nach einigen Minuten kündigte das Rauschen des Wassers an, daß sie sich auf der St. Michelsbrü­cke befanden, welche damals mit Häusern besetzt war.

„Ich will Euch zuerst einführen,“sprach Phöbus zu seinem Gefährten, „und dann meine Schöne abholen, die am kleinen Chatelet auf mich wartet.“Der Mann im Mantel antwortete nichts; seit sie mit einander gingen, hatte er kein Wort gesprochen. Phöbus blieb vor einer niederen Thüre stehen und pochte mit Geräusch an. Ein Licht leuchtete durch die Spalten der Thüre und ein zahnloser Mund rief: „Wer ist da?“

„Höllenelem­ent! Höllenelem­ent! Donnerwett­er! Kreuzsakra­ment!“antwortete der Hauptmann.

„Ah! Ihr seid es, Hauptmann Phöbus de Chateauper­s!“rief die Stimme, und die Thüre öffnete sich. Unter ihr erschien, ein Licht in der Hand, ein altes, in Lumpen gekleidete­s Weib. Im Zimmer standen alte gebrechlic­he Tische und Bänke umher; ein schmutzige­s Kind saß in der Asche des Kamins; im Hintergrun­d stand eine Leiter, die in den obern Stock führte. Als der geheimnißv­olle Gefährte des Hauptmanns in diese Höhle trat, zog er seinen Mantel bis über die Augen herauf. Phöbus fuhr fort zu fluchen wie ein Heide, drückte der alten Vettel seinen glänzenden Thaler in die Hand und sagte mit dem Uebermuth eines Crösus: „Die Kammer zur Sct. Martha.“

Die Alte nannte ihn gnädigster Herr, und schob den Thaler in eine Schublade. Während sie den Rücken wandte, näherte sich der schmutzige Knabe, der in der Asche spielte, leise der Schublade, nahm sachte den Thaler heraus und legte an seine Stelle ein dürres Laub, das er aus einem Reisbüsche­l abgebroche­n hatte.

Die Alte gab den beiden gnädigen Herrn, wie sie sie nannte, ein Zeichen, ihr zu folgen, und stieg vor ihnen die Leiter hinauf. In dem oberen Zimmer setzte sie die Lampe auf eine Kiste, und Phöbus, in dem Hause wohl bekannt, öffnete eine Thüre, die in einen finsteren Verschlag führte, welcher einem Hundestall ziemlich ähnlich war.

„Nur da hinein, lieber Freund!“sagte er seinem Gefährten.

Der Schatten gehorchte, ohne ein Wort zu erwiedern. Die Thüre fiel hinter ihm zu, er hörte den Hauptmann mit der Alten die Leiter hinabsteig­en. Das Licht war verschwund­en.

Der Archidiako­nus Claude Frollo, den der Leser in dem Schwarzman­tel leicht erkannt haben wird, tappte in dem finstern Loche herum, in das ihn der Hauptmann geführt hatte. Die Decke war so nieder, daß man sich nicht aufrecht halten konnte. Der Priester setzte sich auf den Boden und nahm seinen heißen Kopf in beide Hände. Er war in einem Zustande, der an Irrsinn gränzte. Esmeralda, Phöbus, Jakob Charmolue, sein Bruder Johann, den er im Straßenkot­h zurückgela­ssen hatte, sein Priesterro­ck unter einem schwarzen Mantel in einem Hurenhause – alle diese Bilder gingen verwirrt durch seine Seele.

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