Wertinger Zeitung

Eine Runde Sache

Südtirol 4000 Höhenmeter und vier Pässe an einem Tag? Die Sellaronda für Mountainbi­ker ist eine einmalige Tour, die für Achterbahn­gefühl auf zwei Rädern sorgt. Eine sanftere Variante gibt es auch – die kennt nur kaum einer

- VON CHRISTIAN SCHREIBER

Aus der Steinernen Stadt grüßen mollige Murmeltier­e. Gelangweil­t lassen sie sich in dem Labyrinth aus Felsblöcke­n unter der imposanten Südostwand des Langkofels die Sonne auf den Pelz scheinen. Aber sie haben unsere Geschwindi­gkeit unterschät­zt und brechen in Panik aus und pfeifen heftig, als wir plötzlich so nahe sind. Die Tiere sind schließlic­h nur an langsame Wanderer und nicht an flinke Radfahrer gewöhnt. Obwohl wir in einer der beliebtest­en Ferienregi­onen im Herzen der Dolomiten unterwegs sind und eine Tour absolviere­n, die den klangvolle­n Namen Sellaronda trägt, sind wir allein auf weiter Flur. Andere Mountainbi­ker? Fehlanzeig­e.

Die Sellaronda ist vor allem Winterspor­tlern ein Begriff. Die Rundtour um den Felsstock zählt zu den attraktivs­ten im ganzen Alpenraum. Entspreche­nd groß ist der internatio­nale Andrang. Dabei hält der Name Sellaronda auch im Sommer, was er verspricht. Vier Pässe auf zwei Rädern. Lange Downhills und entzückend­e Flowtrails, auf denen man durch den besonderen Bau der sanften Kurven als Biker eine Art Achterbahn­gefühl bekommt.

Sämtliche Bergbahnen nehmen die Mountainbi­kes huckepack, und so bleiben für Faule am Ende des Tages nur ein paar Mini-Anstiege. Auf der anderen Seite: Wer es wissen will, pickt sich knackige Anstiege raus, die große Schweißper­len auf die Stirn treiben. Nur Hardcore-Biker wagen es, ohne Liftticket an den Start zu gehen, schließlic­h sind im Extremfall 58 Kilometer und 4000 Höhenmeter zu bewältigen.

Der Biker ist gefordert, aber nicht überforder­t, und das liegt am mehrgleisi­gen Konzept, das nicht nur im Bergauf-Modus gilt, sondern auch in Sachen Abfahrt. Wer einen Trail zu heikel findet, kann fast immer eine Umfahrung nutzen. In vielen Fällen hat man die Wahl zwischen roten und blauen Abfahrten. Das Prinzip erinnert bewusst an die Standards beim Skifahren. Im schlechtes­ten Fall muss der Biker als Ausweichst­recke ein paar Kilometer auf die Autostraße oder den Wanderweg nutzen.

In Südtirol gibt es keine Regeln oder gar ein Gesetz, das Biken einschränk­t. Seit letztem Jahr dürfen Gemeinden aber Strecken für Zweiräder sperren, wenn zum Beispiel Konflikte mit Wanderern drohen. Allerdings führt die Sellaronda abschnitts­weise auch durch die Provinzen Belluno und Trient, wo jeweils eigene Regeln gelten.

Abseits des Paragraphe­nDschungel­s gilt auf der Sellaronda: Wer ein bisschen Übung hat, muss sich nirgends fürchten. Richtig schwere Singletrai­ls gibt es nur selten. In jüngster Zeit entstehen vermehrt Flowtrails. Wie der Name sagt, geht es dabei um flüssiges und fließendes Fahren. Man verzichtet auf natürliche oder gar künstliche Hinderniss­e, um eine möglichst genussvoll­e Abfahrt zu ermögliche­n. Kurzum: Die Sellaronda macht jeden glücklich und zählt zweifelsfr­ei den schönsten Bike-Runden der Alpen.

Warum sind dann nur vereinzelt­e Biker auf den Trails zwischen Grödnerjoc­h, Sellajoch, Pordoijoch und Campolongo-Pass unterwegs? Die Antwort überrascht: Die Südtiroler, sonst Marketing-Genies, machen kaum Werbung für die Tour. Jahrelang haben sie Radfahrer sogar eher vergrault, weil die 2008 initiierte Sellaronda aus Versicheru­ngsgründen nur mit einem Guide möglich war. Das hatte wohl eine abschrecke­nde Wirkung.

Als einzelner Tourist kann man erst seit 2016 einen Tagespass kaufen, der an allen Bergbahnen gültig ist, und die Tour auf eigene Faust machen. Seither ist zaghafte BikeBegeis­terung angesagt. Bergbahnen und Kommunen geben Gas, um die Mountainbi­ker endlich auch in die Dolomiten zu locken.

Vor allem Alta Badia prescht hier vor, wo am Piz Sorega ein neuer Park mit Downhill-Trails entstanden ist. Das Tal östlich der Sellagrupp­e hat zudem „Activity Parks“ mit Pumptracks und Trails gebaut und E-Bike-Sharing eingeführt. Nutzer können sich an verschiede­nen Stationen Elektro-Mountainbi­kes ausleihen und sie einfach abgeben, wenn sie keine Lust mehr haben oder der Akku leer ist. Hochspezia­lisierte Radreise-Veranstalt­er haben Alta Badia zu ihrer Basisstati­on gemacht. Das Tal ist die treibende Kraft in Südtirol: Dort wurden die Maratona für Rennrad-Fahrer und der Dolomites Bike Day geboren – um nur die bekanntest­en autofreien Veranstalt­ungen zu nennen.

Engagierte Biker im Tal kämpfen seit Jahren dafür, die Dolomitenp­ässe im Sommer gänzlich für motorisier­te Fahrzeuge zu sperren. Sie haben erste kleine Erfolge erzielt, sind aber auf mehr aus: „Wir müssen uns entscheide­n, ob wir Motorenlär­m und Abgase wollen. Ich denke, Radfahrer passen besser zu einem Nazu turparadie­s wie den Dolomiten“, sagt Michil Costa, Vorsitzend­er des örtlichen Velo-Clubs, der aus nostalgisc­hen Gründen auch mal mit seinem Hochrad aus dem 19. Jahrhunder­t die Pässe hochkurbel­t und bei den Abfahrten dann waghalsig mit dem Schuh bremsen muss.

Auch bei uns ist jetzt voller Körpereins­atz nötig, denn der BurzTrail zum Ende der Sellaronda ist der schwierigs­te Abschnitt. Er ist kein reiner Downhill, sondern ein stetes Auf und Ab. Man rollt über Blockgeste­in, dann warten enge Serpentine­n bergauf. Wir haben bei unserer Rundtour bewusst auf die einfachere Umfahrung verzichtet, um zu wissen, was maximale Anforderun­g auf dieser Strecke bedeutet. Jetzt haben wir den Salat.

An manchen Stellen hilft nur noch Schieben. Richtig gute Biker können während der Fahrt die Traumkulis­se genießen. Wir müssen eine Pause einlegen, um die Marmolata samt Gletscher im Süden zu bestaunen. Im Norden thront der Sella-Gebirgssto­ck mit seinen steilen Flanken und dem kecken Spitz, der oben aus dem riesigen Plateau wächst. Mit 3152 Metern gehört der Piz Boè zu den mächtigste­n Gipfeln der Südtiroler Bergwelt, die seit genau zehn Jahren zum Unesco-Naturerbe zählt. Auf jedem Abschnitt der Sellaronda begegnet der Biker mindestens einem der berühmten Dolomiten-Gipfel.

Man darf sich allerdings nicht zu sehr ablenken lassen von Langkofel oder Lagazuoi, denn eine Abzweigung oder ein Richtungsw­echsel ist schnell verpasst. Ohne Karte hat man keine Chance, die Sellaronda zu bewältigen. Das gilt vor allem für jene, welche die Tour gegen den Uhrzeigers­inn bestreiten. Nur selten taucht ein Pfeil auf, um den richtigen Weg zu weisen. Wer falsch abgezweigt ist, muss hoffen, dass andere Biker vorbeikomm­en, die wissen, wo es lang geht. Aber das kann länger dauern. Denn oft ist der Mountainbi­ker wirklich allein auf weiter Flur.

Die Biker würden die Pässe ganz für Autos sperren

 ?? Foto: IDM Südtirol Daniel Geiger ?? Eigentlich ist die Rundtour um das Sellamassi­v vor allem bei Skifahrern im Winter beliebt. Die Umrundung ist aber auch mit dem Mountainbi­ke möglich. Die Tour führt unter anderem auch über das Grödnerjoc­h. Seit kurzem braucht man für die Strecke keinen Guide mehr, die Mountainbi­ker sollten aber einige Übung mitbringen.
Foto: IDM Südtirol Daniel Geiger Eigentlich ist die Rundtour um das Sellamassi­v vor allem bei Skifahrern im Winter beliebt. Die Umrundung ist aber auch mit dem Mountainbi­ke möglich. Die Tour führt unter anderem auch über das Grödnerjoc­h. Seit kurzem braucht man für die Strecke keinen Guide mehr, die Mountainbi­ker sollten aber einige Übung mitbringen.

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