Wertinger Zeitung

Merhawis erster Schultag

Schulanfan­g Die Familie des Siebenjähr­igen floh aus Eritrea. Merhawi wurde im Camp in Äthiopien geboren, seit zwei Jahren geht er in Dillingen in den Kindergart­en. Nun folgt der nächste Schritt

- VON JAKOB STADLER

Dillingen So ein bisschen weiß Merhawi schon, was an seinem ersten Schultag auf ihn zukommt. Sein großer Bruder Mokonen, der heute in die dritte Klasse kommt, hat ihm erzählt, was ihn erwartet. „Er sagt, da ist es toll“, erklärt Merhawi. „Da kann man viel machen. Etwas lernen. Und da bekommt man Bücher.“Aufs Lesenlerne­n freut sich der Siebenjähr­ige besonders. Und auf etwas anderes: „Die anderen Kinder.“

Merhawi lebt seit zwei Jahren in Dillingen. Seine Familie, also seine Eltern und seine vier Geschwiste­r, kommt aus Eritrea im nordöstlic­hen Afrika. Merhawi ist dort aber nicht geboren, sondern in Äthiopien, im Flüchtling­scamp. Dorthin ist seine Familie geflohen, als sie in Eritrea keine Perspektiv­en mehr gesehen hat. Sein Papa, Habte Khashsay, war 15 Jahre lang beim Militär. Sein Sold lag bei rund 450 Nakfa im Monat – das entspricht etwas weniger als 30 Euro. Die Familie lebte in einem kleinen Dorf, bis sie im Jahr 2010 das Land verließ. In Eritrea herrscht zwar kein Krieg, trotzdem erhalten die Menschen aus dem Land zu einem großen Teil den Flüchtling­sstatus. Dort ist ein Militärreg­ime an der Macht. Der verpflicht­ende Militärdie­nst wird häufig auf unbestimmt­e Zeit verlängert. Uno-Berichte dokumentie­ren, dass Menschen vom Staat unterdrück­t werden und dass anhaltend Menschenre­chtsverlet­zungen begangen werden.

Die Familie floh wie viele Landsleute über die Grenze nach Äthiopien. Laut Auswärtige­m Amt befanden sich im Sommer 2018 rund 174 000 eritreisch­e Flüchtling­e in den äthiopisch­en Camps.

Die Mutter und die Kinder lebten sieben Jahre in so einem Camp. Auch Merhawis kleine Schwester Eldana wurde dort geboren. Seine große Schwester Yorsalem erlebte dort ihren ersten Schultag. Sie kommt jetzt in die neunte Klasse.

Vater Habte Khashsay machte sich nach vier Jahren alleine auf den Weg nach Europa. Er kam nach Deutschlan­d, wo er inzwischen einen Aufenthalt­sstatus hat. Vor zwei Jahren konnte er die Familie im Rahmen des Familienna­chzuges nach Dillingen holen. Die Familie ist froh, nun wieder vereint zu sein. In Deutschlan­d kam vergangene­s Jahr dann das fünfte Kind, Even, zur Welt.

Seit die Familie in Dillingen ist, kann der Vater wieder für die Kinder da sein. So begleitet er Merhawi am Dienstag in die Grundschul­e an der Rosenstraß­e. „Nachmittag ist Arbeit, Vormittag bin ich mit meinem Sohn in der Schule“, sagt er. Er arbeitet momentan für die Firma Küchle in Günzburg und verpackt dort Waren. Die Familie wird von Werner Büttner vom Helferkrei­s unterstütz­t. Er hilft etwa bei Behördengä­ngen und beim Papierkram.

Wie andere Kinder ist Merhawi kurz vor dem Schulstart ein wenig nervös. Seine Füße zappeln in der Luft, wenn er sitzt. Wenn er Fragen mit ja oder nein beantworte­n kann, nickt er oder schüttelt schüchtern den Kopf, anstatt zu sprechen. Was seine Lieblingsf­arbe sei? „Blau“, erklärt er und deutet auf seine Schultüte. Was darin ist, weiß er noch nicht. Doch die blaue Tüte gefällt ihm, auch weil darauf ein Polizeihub­schrauber ist. Bei genaueren Nachfragen zeigt er, dass er die Sprache der neuen Heimat gut beherrscht. Mit der Familie spricht er Tigrinya. Die Kinder lernen schnell Deutsch, den Erwachsene­n fällt das schwerer. Merhawi ist zwei Jahre in den Kindergart­en gegangen und hat Freunde gefunden. „Das hat mir gefallen“, sagt er über die Zeit.

So geht es Merhawi jetzt wie den 827 anderen Kindern, die im Landkreis Dillingen am Dienstag in die erste Klasse kommen. Mit Vorfreude und Nervosität angesichts des Unbekannte­n fiebert er dem Moment entgegen. Er hofft, dass er mit den vier Kindern, die er bereits aus dem Kindergart­en kennt, in eine Klasse kommt. Und er zeigt stolz seine Schulsache­n. Auf dem Rucksack ist ein Dino zu sehen. Dazu das passende Mäppchen mit vielen Buntstifte­n und einem Klebestift. Merhawi kann es kaum erwarten, die Schulsache­n einzusetze­n.

Der erste Schultag seiner Schwester war ganz anders

 ?? Foto: Jakob Stadler ?? Merhawi hat am Dienstag seinen ersten Schultag. Sein Vater Habte Khashsay wird den Siebenjähr­igen begleiten. Die Familie ist aus Eritrea geflüchtet. Khashsay ist zuerst alleine aus einem Flüchtling­scamp in Äthiopien geflohen, seine Familie konnte er vor zwei Jahren nachholen.
Foto: Jakob Stadler Merhawi hat am Dienstag seinen ersten Schultag. Sein Vater Habte Khashsay wird den Siebenjähr­igen begleiten. Die Familie ist aus Eritrea geflüchtet. Khashsay ist zuerst alleine aus einem Flüchtling­scamp in Äthiopien geflohen, seine Familie konnte er vor zwei Jahren nachholen.

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