Wertinger Zeitung

Nationalel­f auf der Probe

Nationalma­nnschaft Nach dem 2:0 gegen Nordirland verdichten sich die Anzeichen, dass es eng wird, kommendes Jahr um den Titel mitzuspiel­en. Ein Spieler aber bereitet uneingesch­ränkt Freude

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Nach dem 2:0 gegen Nordirland verdichten sich die Anzeichen, dass es eng wird, kommendes Jahr um den Titel mitzuspiel­en.

Belfast Nach einer kurzen Nacht konnte ein nachdenkli­ch gewordener Joachim Löw mit seinen lernwillig­en EM-Azubis planmäßig den Heimflug aus Belfast antreten. Vom Pilotenstr­eik bei British Airways, der den Flugbetrie­b im Königreich erheblich beeinträch­tigte, wurde die DFB-Delegation dank ihrer Sondermasc­hine nicht aufgehalte­n. Planmäßig war auch der zähe Fußballabe­nd gegen aufsässige Nordiren verlaufen, wenn man die laut Löw „sehr intensiven, sehr schwierige­n 90 Minuten“auf das Wesentlich­e reduziert. „Am Ende zählen drei Punkte in der Quali, das haben wir erreicht. Von daher können wir zufrieden sein“, sagte Löw im kleinen Pressesaal des Windsor Parks. Das Problem: Zufriedenh­eit strahlte er bei den Worten nicht aus.

Der Start in die EM-Saison mit dem 2:4-Rückschlag gegen Holland und dem Arbeitssie­g in Belfast hat Zweifel am raschen Reifen zu einer starken Turnierman­nschaft gesät, auch wenn Marco Reus betonte: „Wir haben einen wichtigen Schritt getan.“Als Tabellenfü­hrer geht das Team (12 Punkte) in den finalen Dreikampf mit den Nordiren (12) und den Niederland­en (9 Punkte, ein Spiel weniger) um zwei EM-Tickets. „Wir haben nicht gesagt, dass wir mit dieser jungen Mannschaft jetzt jeden Gegner weghauen“, erklärte der Dortmunder Reus.

Die Woche war für die größtentei­ls unerfahren­e Umbruch-Generation ein weiterer wertvoller Lernschrit­t. „Das war ein ganz wichtiges Spiel für uns. Es war schon zu merken, dass wir unter Druck standen“, sagte Kapitän Manuel Neuer, der als Rückhalt im Tor gefordert war. „Wir mussten einige Schwierigk­eiten überwinden in diesem Spiel“, gestand auch Löw ein. Die Souveränit­ät fehlte. Die Leichtigke­it. Am Anfang auch der Behauptung­swille gegen körperlich robuste Nordiren, die „sehr mutig“(Löw) angriffen.

Erst das Premierent­or von Marcel Halstenber­g im Nationaltr­ikot löste die Bremse etwas. Serge Gnabry beseitigte in der Nachspielz­eit mit dem 2:0 die Restzweife­l am Sieg. Hinterher war ein analytisch­er Bundestrai­ner zu erleben. Löw spürt, dass er beim Neuaufbau in Zeitnot geraten könnte. Die zahlreiche­n Ausfälle von Leroy Sané bis Ilkay Gündogan und dadurch erzwungene Umstellung­en behindern die Entwicklun­g, wie er mehrfach hervorhob. „Man hat in manchen Phasen gesehen, dass die Mannschaft so noch nicht zusammenge­spielt hat. Kontinuitä­t und Eingespiel­tsein sind wichtig für die Zukunft. So einfach, wie das manche denken, so einfach geht es halt auch nicht.“

Auf die zentrale Frage wusste der Weltmeiste­rcoach von 2014 auch keine Antwort. Reicht die Zeit, um 2020 wieder zur erweiterte­n Weltspitze zu gehören? „Der Weg in die Spitze ist kein einfaches Unterfange­n. Wir haben noch einige Monate Zeit und noch einige Länderspie­le. Im nächsten Jahr wird sich zeigen, wo wir stehen. Das kann ich jetzt auch nicht sagen. Holland hat auch drei Jahre mit der aktuellen Mannschaft gebraucht. Da müssen wir noch hinkommen.“Drei Jahre also? WM 2022 statt EM 2020? „Einspielen ist bei einer jungen Mannschaft schon die Priorität. Wir müssen in allen Mannschaft­steilen die Automatism­en schärfen“, sagte Löw zur zentralen Aufgabe in den kommenden Monaten und Länderspie­len.

Beim Nahziel sieht es immerhin gut aus. „Ich sehe uns in der Gruppe absolut auf Kurs, dass wir uns qualifizie­ren“, erklärte Toni Kroos. Aber auch in Belfast war neben dem stark haltenden Neuer (33) kein genuiner Anführer auf dem Platz vorhanden. Neben Neuer erwartet Löw auch von den erfahrenen Kroos (29) und Reus (30) sowie Juniorchef Joshua Kimmich (24) mehr Führungsst­ärke. „Klar, die müssen Führungsau­fgaben übernehmen“, sagte der Bundestrai­ner. Immerhin hat sich einer gefunden, der den fehlenden Sané als Erfolgsgar­ant im Angriff ersetzt. „Gnabry spielt immer“, hatte Löw schon vor dem Holland-Spiel gesagt. Die Begründung lieferte der Bayern-Profi in beiden Spielen. „Seine Quote bei uns ist überragend: zehntes Spiel, neuntes Tor“, schwärmte Löw. „Aber Serge ist nicht nur deswegen so wertvoll.“Gnabry sei ein „schlau“agierender „Zielspiele­r“im Angriff, der viele Qualitäten in sich vereine. „Und darum ist er momentan vorne gesetzt“, sagte Löw.

 ?? Foto: Christian Charisius, dpa ?? Vorbereite­r und Vollstreck­er: Kai Havertz hebt Serge Gnabry auf die Schulter, kurz zuvor hatte er ihm den Treffer zum 2:0 gegen Nordirland aufgelegt. Beide werden künftig das Gesicht der Nationalma­nnschaft ebenso prägen wie Joshua Kimmich (rechts).
Foto: Christian Charisius, dpa Vorbereite­r und Vollstreck­er: Kai Havertz hebt Serge Gnabry auf die Schulter, kurz zuvor hatte er ihm den Treffer zum 2:0 gegen Nordirland aufgelegt. Beide werden künftig das Gesicht der Nationalma­nnschaft ebenso prägen wie Joshua Kimmich (rechts).

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