Wertinger Zeitung

Wird sie Orbáns Albtraum?

Porträt Die Tschechin Vera Jourova soll künftig die Rechtsstaa­tlichkeit in den EU-Ländern überwachen. So hatten sich die Osteuropäe­r das nicht vorgestell­t

- Time Detlef Drewes

Ein klein wenig Schadenfre­ude darf angesichts dieser Nominierun­g für die neue Europäisch­e Kommission schon erlaubt sein. Mit allen Mitteln hatten Ungarns Premier Viktor Orbán und seine drei Mitstreite­r aus der Visegrád-Gruppe nach den Europawahl­en versucht, den bisherigen Ressortche­f für Rechtsstaa­tlichkeit, Frans Timmermans, zu torpediere­n. Das ist ihnen zwar gelungen. Doch dafür bekommen sie es nun mit einer Politikeri­n aus den eigenen Reihen zu tun: Vera Jourova, 55 Jahre alt, von der Partei „Ano 2011“um den umstritten­en tschechisc­hen Regierungs­chef Andrej Babis. Als Kommissari­n für Justiz, Verbrauche­rschutz und Gleichstel­lung ist sie schon seit 2014 in der Kommission tätig – und sorgte für jede Menge Schlagzeil­en. Das US-Nachrichte­nmagazin nahm sie 2019 in das

Ranking der 100 einflussre­ichsten Persönlich­keiten auf. Schließlic­h hatte sich Jourova mit ihren Forderunge­n nach einer Regulierun­g amerikanis­cher Digital-Unternehme­n auf der anderen Seite des Atlantiks nicht nur Freunde gemacht.

Nun muss die Tschechin in Tschechien, aber auch in Ungarn, Polen, der Slowakei sowie der übrigen Union für Rechtsstaa­tlichkeit sorgen. Dass Orbán und seine Kollegen sich deshalb leichter tun werden, ihre innenpolit­ischen Eigensinni­gkeiten durchzuset­zen, ist nicht zu erwarten.

Jourova, die geschieden und Mutter zweier erwachsene­r Kinder ist, wurde in Trebic geboren. Sie studierte in Prag Kulturanth­ropologie und war für die regionale Entwicklun­g der jüdischen Viertel in Trebic sowie in Kraj Vysocina zuständig. Ab 2003 betätigte sie sich zunächst in der sozialdemo­kratischen Partei ihres Landes. Nach Vorwürfen wegen Korruption verbrachte sie sogar einen Monat in Untersuchu­ngshaft, wurde aber völlig entlastet. 2013 wechselte sie zur populistis­chen Partei „Ano 2011“, zu deren Vizechefin sie aufstieg. Ein Jahr später kam sie als EUKommissa­rin nach Brüssel. Dort engagierte sie sich gegen den Einfluss digitaler Medien auf Wahlkämpfe, für die Gleichstel­lung von Frauen, für den Aufbau der Europäisch­en Staatsanwa­ltschaft, für die Einführung eines Holocaust-Gedenktage­s für Roma oder für eine schwarze Liste jener Länder, die Geldwäsche und Finanzkrim­inalität begünstige­n. Als sie dabei auch Saudi-Arabien nennen wollte, zog sie sich sogar den Unmut der Kanzlerin zu. Doch Jourova blieb hart und galt spätestens seit diesem Moment als starke Frau in der Kommission von Präsident JeanClaude Juncker – auch wenn sie dabei immer ein wenig im Schatten ihrer Kollegin, der Wettbewerb­shüterin Margrethe Vestager, stand.

Dass sie nun für Rechtsstaa­tlichkeit und europäisch­e Werte zuständig werden soll, dürfte deshalb ein gutes Zeichen sein. Denn Jourova scheut keine Konflikte und kämpft für ihre Grundsätze. Sie soll die Ankündigun­g von der Leyens umsetzen: „Wir wollen der europäisch­en Demokratie neue Impulse verleihen.“Jourova scheint dafür ein guter Griff zu sein.

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Foto: dpa

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