Scholz kämpft an allen Fronten
SPD Als Finanzminister steht er für die schwarze Null, als Vizekanzler für die GroKo – und in der Partei im Abseits
Berlin In normalen Zeiten gibt es für einen Bundesfinanzminister kaum einen bedeutsameren Termin als die Vorstellung seines Haushaltsentwurfs im Bundestag. Doch für Olaf Scholz und die SPD sind die Zeiten alles andere als normal. Darum ist der morgendliche Auftritt des 61-Jährigen am Dienstag vor dem Parlament in Berlin praktisch nur Generalprobe für einen Abend, der für seine persönliche Zukunft, seine Kanzler-Ambitionen vielleicht viel wichtiger ist. Ein paar Stunden später beginnt nämlich eine weitere SPD-Regionalkonferenz zur Kür der künftigen Parteispitze in der Ludwig-Eckes-Halle in Nieder-Olm. Außerhalb von Rheinland-Pfalz ist das Städtchen für seine Getränkeindustrie bekannt. Heute wird vor allem Fruchtsaft abgefüllt, früher auch ein süßer Likör, mit dem viele Bundesbürger erste Rausch-, Absturzund Katererfahrungen verbinden.
Ein Absturz droht auch Scholz, obwohl er bei der Vorlage seines 360-Milliarden-Euro-Etats nüchtern wie immer wirkt. Dunkelblauer Anzug, blütenweißes
Hemd, passende Krawatte, Scholz tritt auf wie der Inbegriff des seriösen Kassenwarts. Seine wichtigste Botschaft: Die schwar- ze Null steht, das Land ist auch für eine mögliche Wirtschaftskrise gewappnet. Unter anderem durch die Abschaffung des Solidaritätszuschlags für 90 Prozent aller Zahler trage der Haushalt zur Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen bei.
Die übliche Kritik aus der Opposition kann Scholz in seiner momentanen Situation ziemlich kalt lassen. Viel größeres Ungemach droht ihm aus der eigenen Partei, die sich in der Wählergunst am Boden befindet. Bis zum Jahresende stehen wichtige Entscheidungen an, die sein eigenes Schicksal unmittelbar betreffen. Etwa die über den Verbleib in der Großen Koalition. Fällt die angekündigte Halbzeitbilanz negativ aus, will die SPD aus der Regierung aussteigen. Dann ist Scholz seine Ämter als Bundesfinanzminister und Vizekanzler los.
Gleichzeitig sucht die SPD eine neue Spitze, nachdem Andrea Nahles im Juni, entnervt von internen Ränkespielen, als Vorsitzende hingeworfen hat. Doch als seine Partei im Sommer plötzlich führungslos dastand, beging Scholz einen schweren taktischen Fehler, den ihm viele in der Bundestagsfraktion bis heute zutiefst übel nehmen. Er kniff zunächst. Mit einer Begründung, die aufhorchen ließ und so gar nicht zu dem sonst so clever agierenden Strategen passte: Neben seiner Aufgabe als Bundesfinanzminister habe er gar keine Zeit, auch noch seine Partei zu retten. Eine Volkspartei führen und gleichzeitig regieren geht also nicht, fragten sich entgeisterte Parteifreunde. Und verwiesen auf Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 18 Jahre lang auch CDU-Vorsitzende war.
Seit diesem Eigentor versucht Scholz verzweifelt, wieder Boden gutzumachen. Schnell merkte er, dass er um eine Kandidatur nicht herumkommt. Mit der Brandenburgerin Klara Geywitz will er eine Doppelspitze bilden, so wie sich die Partei das wünscht. Da kommt es nicht gerade gelegen, dass Geywitz eben erst ihr Landtagsmandat verlor. Trotzdem: Als mit Abstand hochrangigster und bekanntester Bewerber im Kandidatenfeld schien Scholz zunächst als haushoher Favorit ins Rennen zu gehen. Angesichts der vermeintlich schwachen Konkurrenz ist aber auch der Druck ins Unermessliche gewachsen. Scholz muss jetzt gewinnen, will er nicht Gesicht und die Chance auf eine Kanzlerkandidatur verlieren.
Doch bei den ersten fünf von 23 geplanten Castingshows lief es nicht so gut für den Vizekanzler, der in der Großen Koalition bleiben und keine neuen Schulden machen will. Viele in seiner Partei sehen das ganz anders. In der Ludwig-Eckes-Halle von Nieder-Olm muss Scholz also dringend aufholen. Sonst könnte er nach dem Ende der Mitgliederbefragung zur SPD-Parteispitze am 25. Oktober mit einem mächtigen Kater aufwachen.