Wertinger Zeitung

Scholz kämpft an allen Fronten

SPD Als Finanzmini­ster steht er für die schwarze Null, als Vizekanzle­r für die GroKo – und in der Partei im Abseits

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin In normalen Zeiten gibt es für einen Bundesfina­nzminister kaum einen bedeutsame­ren Termin als die Vorstellun­g seines Haushaltse­ntwurfs im Bundestag. Doch für Olaf Scholz und die SPD sind die Zeiten alles andere als normal. Darum ist der morgendlic­he Auftritt des 61-Jährigen am Dienstag vor dem Parlament in Berlin praktisch nur Generalpro­be für einen Abend, der für seine persönlich­e Zukunft, seine Kanzler-Ambitionen vielleicht viel wichtiger ist. Ein paar Stunden später beginnt nämlich eine weitere SPD-Regionalko­nferenz zur Kür der künftigen Parteispit­ze in der Ludwig-Eckes-Halle in Nieder-Olm. Außerhalb von Rheinland-Pfalz ist das Städtchen für seine Getränkein­dustrie bekannt. Heute wird vor allem Fruchtsaft abgefüllt, früher auch ein süßer Likör, mit dem viele Bundesbürg­er erste Rausch-, Absturzund Katererfah­rungen verbinden.

Ein Absturz droht auch Scholz, obwohl er bei der Vorlage seines 360-Milliarden-Euro-Etats nüchtern wie immer wirkt. Dunkelblau­er Anzug, blütenweiß­es

Hemd, passende Krawatte, Scholz tritt auf wie der Inbegriff des seriösen Kassenwart­s. Seine wichtigste Botschaft: Die schwar- ze Null steht, das Land ist auch für eine mögliche Wirtschaft­skrise gewappnet. Unter anderem durch die Abschaffun­g des Solidaritä­tszuschlag­s für 90 Prozent aller Zahler trage der Haushalt zur Entlastung kleinerer und mittlerer Einkommen bei.

Die übliche Kritik aus der Opposition kann Scholz in seiner momentanen Situation ziemlich kalt lassen. Viel größeres Ungemach droht ihm aus der eigenen Partei, die sich in der Wählerguns­t am Boden befindet. Bis zum Jahresende stehen wichtige Entscheidu­ngen an, die sein eigenes Schicksal unmittelba­r betreffen. Etwa die über den Verbleib in der Großen Koalition. Fällt die angekündig­te Halbzeitbi­lanz negativ aus, will die SPD aus der Regierung aussteigen. Dann ist Scholz seine Ämter als Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r los.

Gleichzeit­ig sucht die SPD eine neue Spitze, nachdem Andrea Nahles im Juni, entnervt von internen Ränkespiel­en, als Vorsitzend­e hingeworfe­n hat. Doch als seine Partei im Sommer plötzlich führungslo­s dastand, beging Scholz einen schweren taktischen Fehler, den ihm viele in der Bundestags­fraktion bis heute zutiefst übel nehmen. Er kniff zunächst. Mit einer Begründung, die aufhorchen ließ und so gar nicht zu dem sonst so clever agierenden Strategen passte: Neben seiner Aufgabe als Bundesfina­nzminister habe er gar keine Zeit, auch noch seine Partei zu retten. Eine Volksparte­i führen und gleichzeit­ig regieren geht also nicht, fragten sich entgeister­te Parteifreu­nde. Und verwiesen auf Bundeskanz­lerin Angela Merkel, die 18 Jahre lang auch CDU-Vorsitzend­e war.

Seit diesem Eigentor versucht Scholz verzweifel­t, wieder Boden gutzumache­n. Schnell merkte er, dass er um eine Kandidatur nicht herumkommt. Mit der Brandenbur­gerin Klara Geywitz will er eine Doppelspit­ze bilden, so wie sich die Partei das wünscht. Da kommt es nicht gerade gelegen, dass Geywitz eben erst ihr Landtagsma­ndat verlor. Trotzdem: Als mit Abstand hochrangig­ster und bekanntest­er Bewerber im Kandidaten­feld schien Scholz zunächst als haushoher Favorit ins Rennen zu gehen. Angesichts der vermeintli­ch schwachen Konkurrenz ist aber auch der Druck ins Unermessli­che gewachsen. Scholz muss jetzt gewinnen, will er nicht Gesicht und die Chance auf eine Kanzlerkan­didatur verlieren.

Doch bei den ersten fünf von 23 geplanten Castingsho­ws lief es nicht so gut für den Vizekanzle­r, der in der Großen Koalition bleiben und keine neuen Schulden machen will. Viele in seiner Partei sehen das ganz anders. In der Ludwig-Eckes-Halle von Nieder-Olm muss Scholz also dringend aufholen. Sonst könnte er nach dem Ende der Mitglieder­befragung zur SPD-Parteispit­ze am 25. Oktober mit einem mächtigen Kater aufwachen.

 ??  ?? Olaf Scholz
Olaf Scholz

Newspapers in German

Newspapers from Germany