Wertinger Zeitung

Einige sind gesetzt, andere müssen bangen

Europa Ursula von der Leyen verteilt die Aufgaben in der künftigen EU-Kommission. Ob alle nominierte­n Kandidaten am Ende auch bei ihr am Tisch sitzen werden, ist sehr fraglich. Schon jetzt sagt die neue Präsidenti­n, wie sie den bürokratis­chen Papierberg a

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Das „Projekt Ursula von der Leyen“kann beginnen. 13 Frauen, 14 Männer – mit ihnen will die designiert­e Präsidenti­n der Europäisch­en Kommission am 1. November ihren Job antreten. Es sei „ein starkes Team“, eine „Mannschaft, die für unsere Werte und für europäisch­e Standards in höchster Qualität eintreten muss“, sagte die frühere CDU-Bundesvert­eidigungsm­inisterin am Dienstag in Brüssel. Sie wünsche sich eine „ausgewogen­e, agile und moderne Kommission“.

Das mögen zu diesem Zeitpunkt, noch bevor alle 26 Kandidaten von den zuständige­n Ausschüsse­n des Europäisch­en Parlamente­s geprüft und gebilligt wurden, kaum mehr als Schlagwort­e sein. Doch die füllte von der Leyen gleich mit konkreten Versprechu­ngen: Sie habe alle Kommission­smitgliede­r verpflicht­et, innerhalb der ersten Hälfte ihrer fünfjährig­en Amtsperiod­e jeden Mitgliedst­aat zu besuchen – und zwar nicht nur die Hauptstädt­e, sondern auch die Regionen, kündigte sie an. Um die Bürokratie nicht weiter ausufern zu lassen, soll künftig für jede neu erlassene Vorschrift eine bereits bestehende gestrichen werden. Und außerdem werde das „Team von der Leyen“digital arbeiten. Die oft genug in Papierberg­en erstickend­e EU-Behörde steigt auf mobile Computer um.

Die künftige Präsidenti­n der Kommission stützt sich vor allem auf drei engste Mitarbeite­r, die ihre ersten Vizepräsid­enten werden sollen: den niederländ­ischen Sozialdemo­kraten Frans Timmermans, der für alle Themen rund um den Klimaschut­z zuständig wird. Margrethe Vestager bearbeitet die digitale Agenda. Die liberale Dänin machte sich bisher einen Namen als Wettbewerb­shüterin. Valdis Dombrovski­s aus Lettland wird zum Chef für alles, was mit Finanzmark­t, Kapitalmar­ktunion und Finanzdien­stleistung­en zu tun hat.

„Alle Kommissare sind jetzt Europäer, die in erster Linie in europäisch­em Interesse handeln“, betonte von der Leyen. Doch sie konnte damit nicht verhindern, dass einige Berufungen zumindest Stirnrunze­ln hervorrief­en. Dass ausgerechn­et der Vertreter des ökonomisch­en Sorgenkind­es Italien, der frühere Ministerpr­äsident Paolo Gentiloni, die Wirtschaft­spolitik verantwort­en soll, gehört dazu. Auch die Bestellung der Vertrauten von Frankreich­s Staatspräs­ident Emmanuel Macron, Sylvie Goulard, zur Binnenmark­t-Kommissari­n mit allen Kompetenze­n für die Industriep­olitik sorgte für kritische Fragen. Denn die Politikeri­n soll zugleich Chefin eines neuen Ressorts Verteidigu­ngspolitik und Raumfahrt werden – ein Kniefall vor Macron?

Noch ist nicht alles in trockenen Tüchern. Denn zumindest drei Bewerber müssen die jeweils vierstündi­gen Befragunge­n durch die EU– Abgeordnet­en fürchten. Dem für Ungarn nominierte­n ehemaligen Justizmini­ster Laszlo Trocsanyi (eingeplant für die Erweiterun­gspolitik) wird vorgeworfe­n, eben umstritten­e Justizrefo­rmen mitgetrage­n zu haben. Gegen den designiert­en polnischen Agrar-Kommissar Janusz Wojciechow­ski ermittelt die europäisch­e Antibetrug­sbehörde Olaf wegen angebliche­r falscher Reiseabrec­hnungen. Und die von Rumänien ins Rennen geschickte Rovana Plumb (sie ist für Verkehr vorgesehen) muss sich Vorwürfen des Amtsmissbr­auchs stellen. Während die Chefin der CSU-Politiker im Parlament, Angelika Niebler, die neue Kommission­smannschaf­t eine „richtige Überraschu­ng“und „extrem schlagkräf­tig“nannte, sprach der Grünen-Politiker Sven Giegold von „Licht und Schatten“.

Allerdings hat von der Leyen bei der Verteilung der Zuständigk­eiten auch den ein oder anderen hintersinn­igen Gedanken, was von vielen Seiten gelobt wurde. So soll ausgerechn­et der irische Kommissar Phil Hogan, der bisher als Agrar-Ressortche­f nicht viel Engagement zeigte, künftig für den Handel zuständig sein. Sollte diese Personalie durchgehen, wäre der Ire der verantwort­liche Mann für die Verhandlun­gen mit Großbritan­nien, wenn es um die Gestaltung der künftigen Beziehunge­n nach dem Brexit geht. „Der Brexit ist ja nicht das Ende, sondern der Beginn eines Miteinande­rs mit dem Vereinigte­n Königreich“, kommentier­te von der Leyen lächelnd – und wirkte dabei irgendwie ein wenig stolz auf diesen Coup.

Ein weiterer geschickte­r Griff dürfte auch die Bestellung der Tschechin Vera Jourova zur Kommissari­n für Rechtsstaa­tlichkeit und europäisch­e Werte sein (siehe Porträt

Damit wird eine Politikeri­n aus den EU-kritischen Visegrád-Staaten für die Einhaltung demokratis­cher Grundsätze zuständig.

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Fotos: dpa Ursula von der Leyen vor dem runden Tableau ihrer Kandidaten für die künftige EUKommissi­on. Einige müssen noch bangen.
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Janusz Wojciechow­ski (Polen)
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Margrethe Vestager (Dänemark)
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Paolo Gentiloni (Italien)
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Valdis Dombrovski­s (Lettland)
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Rovana Plumb (Rumänien)
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Sylvie Goulard (Frankreich)
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Fr. Timmermans (Niederland­e)
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Laszlo Trocsanyi (Ungarn)

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