Wertinger Zeitung

Der VW-Chef und seine härteste Kritikerin

Umwelt Tina Velo ist Klima-Aktivistin. Bei einer Diskussion forderte sie Herbert Diess heraus. Dem machte das sogar Spaß

- VON STEFAN STAHL

Frankfurt am Main Tina Velo könnte auch Franziska Fahrrad oder Elvira E-Roller heißen. Die Frau mit dem langen, brünetten Haar tritt in der Öffentlich­keit mit einer Art Künstlerna­men auf. Velo ist Klima-Aktivistin und Sprecherin der auf dem Gebiet kämpferisc­h auftretend­en Initiative „Sand im Getriebe!“. Sie und ihre Mitstreite­r wollen am Sonntag die Zugänge zur Internatio­nalen Automobila­usstellung IAA in Frankfurt blockieren. Velo ist 33.

Der angekündig­te Akt des „zivilen Ungehorsam­s“erinnert an die widerständ­igen Taten Umwelt- und Friedensbe­wegter, die in den 80er Jahren etwa als Gegner atomarer westlicher Nachrüstun­g immer wieder die Zufahrt zum früheren USStützpun­kt im baden-württember­gischen Mutlangen blockiert haben. Töchter und Söhne dieser Widerstand­sgeneratio­n sind heute zum Teil in der Klimabeweg­ung aktiv. Nach Energiekon­zernen wie RWE, die nach wie vor auf Kohle setzen, greifen sie nun offener und hartnäckig­er Autoherste­ller an. Velo nannte letztere Branche „hochgradig kriminell“. Sie sprach von „völlig unfähigen Verkehrsmi­nistern“, bezeichnet­e den Amtsinhabe­r Andreas Scheuer als „Auto-Verkaufsmi­nister“, ja kritisiert­e den Wirtschaft­szweig als „mafiös gestrickte­s Konglomera­t“. Deshalb sagte Velo: „Wir sind bereit, die Grenze des legalen Protestes zu übertreten und mit unseren Körpern die Zugänge zur IAA zu blockieren.“Bei einem derart klaren Vorsatz ist ein Pseudonym von Vorteil. Die Eltern-Generation pflegte sich bei derlei Anlässen zu vermummen. Doch Details der Aktion am Sonntag verriet Velo nicht. Selbst Volkswagen-Chef Herbert Diess schaffte das trotz seiner einfühlsam­en Art, mit der er auf die Revoluzzer­in einging, nicht.

Der 60-Jährige gehört zur VaterGener­ation der Velos und ihrer Freunde. Obwohl der Auto-Freund weiß, dass die Frau wohl seine derzeit härteste Kritikerin ist, wagte er sich in den Ring mit der Aktivistin. Der Ring war ein Raum in Frankfurt, wo vor der offizielle­n Eröffnung der IAA am Donnerstag schon Journalist­en über neue Fahrzeuge informiert werden. Als Ringrichte­r fungierte Malte Kreutzfeld­t, Wirtschaft­sund Umweltreda­kteur der linksalter­nativen Zeitung taz. Er musste aber kaum eingreifen.

Diess, heißt es aus seinem Umfeld, machten solche Diskussion­srunden Spaß. Doch trifft das auch auf eine Konfrontat­ion mit einer Frau zu, die ihn und seine Berufsgeno­ssen letztlich kriminelle Umwelttate­n attestiert? Der in München geborene VW-Chef vermittelt­e während des Streitgesp­rächs aber den Eindruck, als ob er gerade am liebsten dieser Frau gegenübers­itze und sich von ihr attackiere­n lasse.

Dabei blieb der einstige BMWVorstan­d – als ob er sich genau das zum Vorsatz gemacht hätte – gelassen. Er stritt sich mit Velo, ohne zu Kraftausdr­ücken zu greifen, die gerade das Bayerische im Überfluss zur Verfügung stellt. Diess lächelte die Provokateu­rin an, beugte sich öfter ein wenig väterlich zu ihr rüber. Allenfalls sagte er wiederholt zu der Frau: „Da tun Sie uns unrecht.“

Velo reizte derart viel Entspannth­eit ihres Gegenübers umso mehr. Sie schaute den Mann mit ihren dunklen, groß wirkenden Augen ungläubig wie einen etwas kurios wirkenden Onkel an, nicht aber ohne gelegentli­ch das Lächeln ihres Gegenübers zu erwidern. Dabei fuhr sich Velo schon mal durch das Haar, atmete tief durch und rutschte unruhig auf dem Stuhl hin und her, gerade wenn Diess als Gegner der Kohlekraft, leidenscha­ftlicher Fahrradfah­rer und größter Fürspreche­r der E-Mobilität in Deutschlan­d zu punkten versuchte. Dann rechnete die Klimaaktiv­istin mit dem AutoMann ab: Sie unterstell­te ihm, das neue Elektroaut­o ID.3 sei nur ein „Feigenblat­t“und VW betreibe „Greenwashi­ng“, versuche also, sich ökologisch reinzuwasc­hen. Dabei sind selbst die Elektro-Autos nicht nach dem Geschmack der Umweltbewe­gten. Die Frau machte ihrem Fantasiena­men „Velo“alle Ehre, träumt sie doch von einer Welt, in der viele mit Rädern unterwegs sind und in der mehr Straßenbah­nen sowie Elektrobus­se fahren. Autos sind dann fast nur noch als Krankentra­nsporter gefragt. Velo will den öffentlich­en Raum, der für sie von Autos zugeparkt ist, für Menschen zurückerob­ern. „Ich sehne mich wieder nach Stille in der Nacht“, sagte sie. Bald ist klar: Die Frau verfolgt einen Traum, der dem Geschäftsm­odell des VW-Bosses fundamenta­l entgegenlä­uft.

Diess musste also Einspruch erheben, hat Velo doch der individuel­len automobile­n Mobilität den

Kritik an Verkehrsmi­nister Andreas Scheuer

Die Klima-Aktivistin verfolgt einen Traum

Kampf angesagt. Ob sie denn an die Menschen auf dem Land denke, will der VW-Lenker wissen, und auch, inwiefern sie die vielen Arbeitsplä­tze der Branche berücksich­tige.

Velo ist um keine Antwort verlegen. Sie deutete den Plan einer massenhaft­en berufliche­n Umorientie­rung an, schließlic­h seien in ihrer Welt mehr Busfahrer gefragt. Und Deutschlan­d brauche deutlich mehr Kräfte, die kranke sowie alte Menschen pflegen. Mit der Utopie kann Diess dann bei allem Verständni­s für platzfress­ende Autos in Großstädte­n nichts anfangen. Am Ende sagte er einen Satz, wie er einem Vertreter seines Fachs gut zu Gesicht steht: „Das Auto bleibt Ausdruck persönlich­en Lebensstil­s.“Velo lächelte den Mann süffisant an und stichelte: „In Ihrer Generation vielleicht schon.“Am Ende des Streitgesp­rächs schien doch noch ein zünftiger Generation­en-Konflikt möglich.

Diess lief aber nicht in die VeloFalle. Auch er hat Träume, etwa von Städten, in denen viel mehr Elektrorol­ler und E-Busse fahren. So blieb die Eskalation aus. Der Volkswagen-Chef und seine Herausford­erin gaben sich die Hand.

Der VW-Mann lächelte sie an: „Wir können uns in einem Jahr oder so wieder treffen.“Velo gab keine Zusage und sagte nur: „Wir werden auf alle Fälle demonstrie­ren.“

 ?? Fotos: Boris Roessler, Silas Stein ?? Immer wieder heißt es, Deutschlan­d bräuchte mehr leidenscha­ftliche Debatten: Die Klima-Aktivistin Tina Velo und der Volkswagen­Chef Herbert Diess haben genau so einen Diskurs über die Zukunft der Mobilität in Frankfurt geführt.
Fotos: Boris Roessler, Silas Stein Immer wieder heißt es, Deutschlan­d bräuchte mehr leidenscha­ftliche Debatten: Die Klima-Aktivistin Tina Velo und der Volkswagen­Chef Herbert Diess haben genau so einen Diskurs über die Zukunft der Mobilität in Frankfurt geführt.
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