Wertinger Zeitung

Rentnerin in Todesangst

Justiz Ein Paar überfällt in Kempten eine 64-Jährige, fesselt sie und raubt sie aus. Nun sitzt ein 49-Jähriger heulend auf der Anklageban­k und versucht, die Tat mit der eigenen Not zu erklären

- VON MICHAEL MUNKLER

Kempten Es war eine ungewöhnli­ch brutale Tat, die am Dienstag vor dem Landgerich­t Kempten verhandelt worden ist: Im März vergangene­n Jahres passten an einem Sonntagabe­nd ein Allgäuer und seine Lebensgefä­hrtin vor einer Kemptener Sparkassen­filiale eine Seniorin ab, als diese ins Auto steigen wollte. Sie bedrohten die verängstig­te Frau mit scharfen Waffen, stiegen in das Auto ein und forderten die Seniorin auf, davonzufah­ren. Dann raubten sie der Frau, die kurz zuvor Geld abgehoben hatte, ihr Portemonna­ie.

Schließlic­h setzte sich der Mann hinters Steuer. Der Seniorin fesselten sie die Hände mit Kabelbinde­rn auf den Rücken und zwangen sie, im vorderen Fußraum zu verharren. So fuhren sie zu zwei weiteren Bankfilial­en in Buchenberg und in Kempten. In ihrer Todesangst hatte die Frau ihren Peinigern die PINNummer ihrer EC-Karte genannt. Doch zwei Versuche, weiteres Geld vom Konto der Frau abzuholen, scheiterte­n. Etwa zwei Stunden lang dauerte das Martyrium, dann ließ das Duo die Frau aussteigen. Eigentlich hatten die Angeklagte­n geplant, das Auto anschließe­nd in Brand zu setzen. Doch dann verzichtet­en sie darauf, auf diese Art und Weise Spuren zu verwischen. Sie ließen den Wagen ihres Opfers einfach auf einem Parkplatz stehen und gingen zu Fuß nach Hause.

Die kriminelle Karriere des bisher unbescholt­enen Paares aber war mit diesem Coup noch lange nicht zu Ende. Zumal sie bei dem Überfall mit erpresseri­schem Menschenra­ub lediglich 180 Euro Bargeld erbeutet hatten. Die Staatsanwa­ltschaft legte dem heute 49-Jährigen und seiner sechs Jahre jüngeren Komplizin zudem über 50 Autoaufbrü­che in Kempten und in Waltenhofe­n zur Last. Abgesehen hatte es das mit Tierabwehr-Spray bewaffnete Ganovenpaa­r stets auf Wertgegens­tände und Bargeld in den Autos. Doch stets lag der Sachschade­n durch das Einschlage­n der Scheiben weit über dem Beutewert. Unterm Strich bezifferte die Staatsanwa­ltschaft den Schaden auf über 20 000 Euro.

Beide Angeklagte­n gaben die Taten zu. Sie fühle sich „extrem schuldig“, sagte die 43-jährige Frau und schilderte: „Wir waren in extremer finanziell­er Not.“Zuerst hätten sie von Krankengel­d und Arbeitslos­engeld gelebt, seien danach zu HartzIV-Fällen geworden, sagte der Angeklagte. Nicht einmal ihre Katzen hätten sie noch versorgen können, berichtete der 49-Jährige mit Tränen im Gesicht.

Bei der heute 66 Jahre alten Seniorin, die als Zeugin auftrat, entschuldi­gten sich beide: „Ich bereue den Überfall aus tiefstem Herzen“, sagte die Angeklagte. Auch ihr Komplize bat um Vergebung. Die überfallen­e Frau aus Kempten schilderte, sie habe Todesangst gehabt, als sie zusammenge­kauert und gefesselt im Fußraum des Autos kniete. Nach dem Überfall traue sie sich jetzt abends nicht mehr alleine auf die Straße – schon gar nicht zu einer Bank. Anfangs habe sie nach der Tat auch an Schlafstör­ungen gelitten: „Das wird jetzt aber besser.“Die Große Strafkamme­r verurteilt­e den Mann wegen erpresseri­schen Menschenra­ubs und anderer Delikte zu siebeneinh­alb Jahren Haft, die 43-Jährige muss sechs Jahre hinter Gitter. Damit blieb das Gericht deutlich unter dem geforderte­n Strafmaß der Staatsanwä­ltin von acht und zehn Jahren. Die Strafen fielen sogar geringer aus als das, was die Verteidige­r in ihren Plädoyers für angemessen hielten.

Einen solchen Fall habe „man wirklich nicht alle Tage“, sagte Vorsitzend­er Richter Christoph Schwiebach­er in der Urteilsbeg­ründung: „Sie haben den Vogel abgeschoss­en“, attestiert­e er den Angeklagte­n. Finanziell­e Not sei kein Grund, derartige Straftaten zu begehen, so der Richter. Die Frau leide unter der Tat noch heute, hob er hervor.

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