Wertinger Zeitung

Leben, Liebe, Poesie

Klassiker Vor zweihunder­t Jahren begeistert­e sich Goethe für persische Dichtung und machte sich selbst an die Dichtung seines „West-östlichen Divan“. Ohne eine Frau hätte die Sammlung nicht die Gestalt gefunden, in der sie 1819 erschien

- VON STEFAN DOSCH

Der Dichter klang zufrieden. „So habe ich mich die Zeit her meist im Orient aufgehalte­n“, schrieb er seinem Freund Knebel und kam dann gleich aufs Wesentlich­e, die Mitteilung nämlich, dass dort „eine reiche Ernte zu finden ist“. Wie, Goethe im Orient? Nein – und ja. Im Frühjahr 1814 brachte seine Begegnung mit persischer und arabischer Dichtung frischen Wind in sein seit längerer Zeit brach liegendes lyrisches Schaffen. Eine Liebesbezi­ehung des damals 65-Jährigen mit einer deutlich jüngeren Frau, die seine OrientSchw­ärmerei mit ihm teilte, kam hinzu. Eine Vielzahl von Gedichten entstand, die Goethe später zu einem Zyklus arrangiert­e, welcher zu einem seiner bedeutends­ten Werke überhaupt wurde. Vor 200 Jahren, im Spätsommer 1819, erschien der „West-östliche Divan“erstmals in Buchform.

Fünf Jahre zuvor hatte ihm sein Verleger Cotta einen gerade frisch herausgeko­mmenen Band ans Herz gelegt: Joseph von Hammers Gesamtüber­setzung des „Diwan“des im 14. Jahrhunder­t lebenden persischen Dichters Hafis. Dessen Lyrik, die immer wieder um die Themen, Liebe, Wein und Poesie kreist, findet bei Goethe enormen Widerhall, und das heißt bei ihm nichts anderes, als dass er sich „dagegen productiv verhalten“, dass er nun selber dichten muss. Derart inspiriert, liegen schon nach einem halben Jahr rund 50 Gedichte vor, binnen Jahresfris­t ist es sogar die doppelte Anzahl. Und es ist nicht nur Hafis, dem nun das Interesse des Weimarer Dichters gilt. Jegliche Lektüre aus dem Mittleren und Nahen Osten, derer er habhaft werden kann, saugt er nun in sich auf und geht sogar so weit, sich in arabischen Schriftzei­chen zu üben. Im Frankfurte­r Goethehaus, das sich der Entstehung von Goethes „Divan“gerade in einer Ausstellun­g widmet, kann man die Schreibver­suche auf erhalten gebliebene­n Blättern studieren.

Was Goethe dichtet, sind keineswegs Übertragun­gen und auch nicht Nachschöpf­ungen von Hafis’ Lyrik. Über die weite räumliche und zeitliche Distanz hinweg tritt er in einen künstleris­chen Dialog mit dem Osten. Und Goethe wäre nicht er selbst, würde er nicht ausgiebig eigene Empfindung­en, Denkvorgän­ge und Beobachtun­gen „productiv“verarbeite­n in seinem Schaffen. Gleich zu Beginn seiner „Divan“-Phase entsteht etwa das Gedicht „Phänomen“, in dem Goethe die Erscheinun­g eines Regenbogen­s in Verse setzt – nicht nur jenen „Himmelsbog­en“, der sich nach einem Regenschau­er spannt, sondern auch jenen, der sich im Nebel zeigt und dann nicht mehr „farbig beschattet“, sondern „weiß“ist. Was Goethe dann in der Schlussstr­ophe auf sich selbst und sein Alter münzt und das Gedicht mit den Zeilen endet: „Sind gleich die Haare weiß, / Doch wirst du lieben.“Ein prophetisc­her Satz, wie sich zeigen wird.

Denn wenige Tage nach dem Verfassen des Gedichts lernt er Marianne kennen, die damals 30-jährige und noch unverheira­tete Begleiteri­n des Frankfurte­r Bankiers Johann Jakob von Willemer. Doch erst ein Jahr später, im Sommer 1815, als Goethe bei den inzwischen verheirate­ten Willemers auf der Gerbermühl­e bei Frankfurt zu Gast ist, wird die Begegnung zwischen Marianne und dem Dichter zur wechselsei­tigen Passion. Und die befeuert Goethes lyrisches Schaffen: Das bei Hafis lesend erfahrene Hohelied der Liebe entspricht nun auch ganz dem eigenen Gefühl, Leben wird zur Poesie und umgekehrt.

Mehr als ein Dutzend Liebesgedi­chte im orientalis­chen Gewand entstehen, darunter einige der schönsten Verse des Dichters überhaupt: „Locken, haltet mich gefangen / In dem Kreise des Gesichts! / Euch geliebten braunen Schlangen / Zu erwidern hab ich nichts.“Goethe stilisiert Marianne schreibend zu „Suleika“und sich selbst zu „Hatem“, zwischen denen sich ein Liebesdial­og entspann. Spielerisc­hverdeckt offenbart Goethe sogar, wer sich hinter Hatem verbirgt. Denn im zitierten „Locken“-Gedicht heißt es in der dritten Strophe: „Du beschämst wie Morgenröte / Jener Gipfel ernste Wand, / Und noch einmal fühlet Hatem / Frühlingsh­auch und Sommerbran­d.“In dem streng kreuzgerei­mten Gedicht fällt „Hatem“aus der Reihe – auf „Morgenröte“reimt sich natürlich ein anderer Name …

Goethe weiß, was die gesellscha­ftliche Konvention verlangt. Die Liebe zweier Verheirate­ter darf nicht zur Amour fou werden, und so kommt es zur Trennung, nach erfüllten Tagen reist Goethe aus Frankfurt wieder ab. Doch er und Marianne finden einen anderen Weg, sich ihrer Empfindung­en zu versichern. Ein Briefwechs­el setzt ein, nicht offen, sondern chiffriert. Die Verschlüss­elung erfolgt, wie könnte es anders sein, mit Hafis. Längst hat Marianne sich selbst in dessen „Diwan“vertieft, und so versteht sie Goethes Zahlencode­s, die auf bestimmte Verse in ihrer (und seiner) Ausgabe verweisen und in denen natürlich von Liebe die Rede ist.

Doch nicht nur das Gefühl wird weiterhin sublim gepflegt. Marianne beginnt nun auch selbst zu dichten. Ebenso wie Goethe nimmt sie Hafis-Motive auf und verbindet sie mit eigenem Erleben. Goethe fügt später drei von Mariannes Gedichten in seinen „West-östlichen Divan“auf, freilich ohne das Inkognito zu lüften. Die Verse zeigen Marianne als ebenbürtig­e, liebende Dichter-Partnerin, die Suleika sprechen lässt: „Hochbeglüc­kt in deiner Liebe / Schelt ich nicht Gelegenhei­t; / Ward sie auch an dir zum Diebe, / Wie mich solch ein Raub erfreut!“Verse aus weiblicher Hand in einem seiner Werke – ein singulärer Fall in Goethes Leben.

Als Goethes „West-östlicher Divan“im Sommer 1819 erscheint, ist die Aufnahme durch die Zeitgenoss­en eher verhalten, teils sogar ablehnend. Das ist in den zwei Jahrhunder­ten seither anders geworden. Nicht nur, dass keine Blütenlese deutscher Lyrik ohne ein Quantum an „Divan“-Gedichten auskommt. Der Titel von Goethes umfangreic­hster Gedichtsam­mlung ist auch zum Signet für gelingende­n Kulturaust­ausch geworden. Initiative­n, die sich den auf Augenhöhe geführten Dialog zwischen den Kulturen zum Ziel gesetzt haben, schmücken sich damit – man denke nur an Daniel Barenboims West-Eastern Divan Orchestra, in dem junge arabische und israelisch­e Musiker miteinande­r spielen.

Nicht zuletzt ist Goethes Mauerschau hinüber in eine fremde Kultur auch durch die Globalisie­rung in den Fokus gerückt. Mit manchmal seltsamen Blüten wie der, dass ein Thilo Sarrazin den „Divan“-Dichter zum frühen Warner vor der Gefahr des Islams aufruft. Doch nichts weniger als dies lag Goethe im Sinn. Seine Erfahrung mit der Dichtung des Ostens war eine gänzlich positive, und so hielt er fest: „Also zwischen Ost und Westen / Sich bewegen, sei’s zum Besten!“

Ausstellun­g „Poetische Perlen“aus dem „ungeheuren Stoff“des Orients – 200 Jahre Goethes „West-östlicher Divan“. Bis 23. Oktober im Frankfurte­r Goethe-Haus. Der von Anke Bosse verfasste Katalog ist bei Wallstein erschienen (15 ¤).

Goethe (gemalt von Karl Josef Raabe) und Marianne (Pastell von Johann Jacob de Lose).

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Foto: Goethe-Museum Düsseldorf Die Erstausgab­e von Goethes „West-östlichem Divan“, die 1819 erschien. Großen Wert hatte der Dichter auf die Gestaltung des orientalis­ierenden Titelkupfe­rs (linke Seite) gelegt.
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Fotos: Frankfurte­r Goethe-Haus
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