Prophet der Unterdrückung
Götz Aly entdeckt einen Autor wieder
Siegfried Lichtenstaedter war Oberregierungsrat im deutschen Kaiserreich und in der Weimarer Republik, studierter Orientalist, Schriftsteller und Jude. Unter Pseudonym veröffentlichte Lichtenstaedter Schriften wie „Nationalitätsprinzip und Bevölkerungsaustausch“oder „Antisemitica. Heiteres und Ernstes, Wahres und Erdichtetes“(1926). Sein breites OEuvre beinhaltet politische Analysen, Satiren und Texte zur Ausübung der jüdischen Religion. Lange vergessen, hat ihn nun der Historiker Götz Aly wiederentdeckt. In einem Sammelband hat er wichtige Texte Lichtenstaedters editiert und in den historischen Kontext eingebettet.
Ein Prophet war Lichtenstaedter wahrlich. Nicht nur den erstarkenden Antisemitismus der Deutschen prognostizierte er, auch die Unterdrückung von Minderheiten in anderen Ländern. Wie Lichtenstaedter anhand seiner Alltagsbeobachtungen in München und seiner Presselektüre das Verhalten der Deutschen in ethnischen Konflikten und das Schicksal der Juden voraussagt, erstaunt noch heute. Dabei schärfen die Texte auch den Blick für aktuelle Entwicklungen in der Welt. Unglücklicherweise bewahrte seine beinahe prophetische Gabe den Autor nicht vor seiner Ermordung im Getto Theresienstadt im Jahr 1942. Lichtenstaedters Schriften waren unter den Nationalsozialisten verboten, doch sie überdauerten diese Zeit. Es lohnt sich, sie zu entdecken.