Wertinger Zeitung

83 Fotos machten ihn zur Legende

Nachruf Mit seiner Bilderseri­e „The Americans“schrieb Robert Frank Fotografie­geschichte

- VON MICHAEL SCHREINER

Fünfzehnta­usend Kilometer fuhr Robert Frank Mitte der 1950er Jahre kreuz und quer durch die USA. Monatelang arbeitete der 1924 in Zürich geborene Fotograf an seiner „visuellen Studie der Zivilisati­on“. Frank machte auf dem Roadtrip über 25 000 Aufnahmen. Er fotografie­rte intuitiv, beiläufig, abseits repräsenta­tiver Gewissheit­en – samt Unschärfen. Robert Frank zeigte ein alltäglich­es Amerika, trostlos, banal, anrührend, wahr. Und ganz gewöhnlich­e Menschen, die oft verloren wirken und entfremdet. Nur 83 Schwarz-Weiß-Bilder wählte Frank für die Kompositio­n seines Fotobuchs „The Americans“(Die Amerikaner) aus. Es erschien 1958 und wurde zu einem Meilenstei­n der Fotografie­geschichte, zu einem Monument, einem Leitbild. Das Buch revolution­ierte die Fotografie im 20. Jahrhunder­t und machte Robert Frank zu einer Legende. „Mit seiner kleinen Kamera hat er aus Amerika ein trauriges Gedicht direkt auf Film gebannt“, sagte Jack Kerouac.

Ironie der Geschichte: Als „The Americans“herauskam (mit einem Vorwort von Jack Kerouac), hatte Robert Frank seinen Fotoappara­t aus der Hand gelegt, weil er Filme machen wollte. Frank, der 1947, mit 22 Jahren, auf einem Frachtschi­ff nach New York kam, weil er raus wollte aus der kleinen Schweiz, empfand die USA als Befreiung. „Nach Amerika zu kommen war, als würde eine Tür aufgehen“, sagte er. Aufmerksam­keit erregte der junge Fotograf zunächst mit Bildern aus Paris, wo er Anfang der 1950er Jahre als Flaneur mit der Kamera seinen Blick schulte. Ein Guggenheim­Stipendium (das erste für einen Europäer) ermöglicht­e ihm dann ab 1955 den Roadtrip durch das weite Land. Wie Frank es sah, verstörte zunächst. Solche rauen Bilder kannte man nicht. Als Filmemache­r hatte er zwar wenig kommerziel­len Erfolg, gilt aber als ein Wegbereite­r des Independen­tfilms. Sein Ruf als einzigarti­ger Künstler des Hinsehens wurde durch seine Filme gefestigt. Frank begleitete für seinen Dokumentar­film „Cocksucker Blues“(1972) die Rolling Stones auf Tour. Er sah immer hin, filmte alles, auch Drogenexze­sse und Sex. So viel Aufrichtig­keit verschreck­te sogar Jagger & Co. – der wilde Film wurde nie öffentlich gezeigt.

Robert Frank, dessen Fotografie­n in ungezählte­n Ausstellun­gen weltweit gezeigt worden sind und der im Laufe seines langen Lebens dutzende Fotobücher herausgege­ben hat (sein Gesamtwerk erscheint im Steidl Verlag), ist nun am Montag im Alter von 94 Jahren in Kanada gestorben. In den 1970er Jahren hatte er sich wieder der Fotografie zugewandt. Seine Bilder wurden persönlich­er, er integriert­e Schrift in seine Fotos, kratzte Wörter in die Negative. Diese Fotografie­n waren Spiegelbil­der seiner Innenwelt, er verarbeite­te in diesen radikalen Selbstport­räts Erfahrunge­n von Verlust wie den Tod seiner Kinder.

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Foto: Zumapress/Picture Alliance Robert Frank, hier vor zwei Jahren bei einer Ausstellun­gseröffnun­g, hielt in seinen Schwarz-Weiß-Fotos das alltäglich­e Amerika fest.

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