Wertinger Zeitung

Leben vor und hinter den Schlossmau­ern

Jubiläum Seit 150 Jahren bietet Regens Wagner in Glött ein Zuhause für Menschen mit Behinderun­g

- VON TANJA FERRARI

Glött Majestätis­ch ragen die beiden Türme des ehemaligen Fuggerschl­osses am Ortseingan­g von Glött in den Himmel empor. Das Gebäude ist ein Hingucker. Doch nicht nur optisch ist es eine Besonderhe­it. Seit 150 Jahren ist es auch das Zuhause für Menschen mit geistiger Behinderun­g. Neben der Taubstumme­nanstalt in Dillingen sollte 1869 eine zweite Einrichtun­g für gehörlose oder geistig behinderte Frauen und Mädchen geschaffen werden. Als das ehemalige Schloss des Grafen Fugger in Glött zum Verkauf stand, überlegte Johann Evangelist Wagner nicht lange und entwickelt­e ein innovative­s Konzept für die Versorgung und Pflege von Personen mit kognitiver Beeinträch­tigung. Mit der Hilfe von Spenden, eigenem Ersparten und der Unterstütz­ung der Dillinger Franziskan­erinnen konnte die neue Einrichtun­g am 13. September des Jahres eröffnet werden. „Die Dreiteilun­g der Betreuung, die Wagner einführte, war Vorbild für viele Einrichtun­gen, die später gegründet wurden“, erklärt Ines Gürsch. Sie ist seit vielen Jahren die Leiterin von Regens Wagner in Glött. Schon damals stand der Mensch mit seinen persönlich­en Fähigkeite­n im Mittelpunk­t. Deshalb habe es ein individuel­les Bildungs-, Beschäftig­ungs- und Pflegeange­bot für die Bewohner gegeben. Für fünf Schwestern und zehn „Pfleglinge“, wie man die Bewohner damals nannte, sei das Schloss zur neuen Heimat geworden, erläutert Gürsch.

Im Laufe der Zeit habe es im Haus viele Momente der Freude, aber auch Tiefpunkte und Probleme gegeben. Dass die Geschichte von Regens Wagner in Glött spannend und vielseitig ist, weiß auch Wohnbereic­hsleiterin Claudia Frick. Besonders der platzbedin­gte Umzug der Glötter Einrichtun­g im Jahr 1889 nach Lautrach bei Memmingen beeindruck­t sie. Frick sagt: „Das war eine logistisch­e Meisterlei­stung – knapp 90 Bewohner, rund 15 Schwestern und die komplette Einrichtun­g des Hauses zogen an nur zwei Tagen dorthin um.“Trotz seines schlechten baulichen Zustands wurde das Schloss in Glött anschließe­nd allerdings wieder als rechtlich abhängige Außenstell­e von Dillingen weitergenu­tzt.

Nach Umbau- und Erweiterun­gsarbeiten wuchs die Einrichtun­g bis zum Anfang des 20. Jahrhunder­ts stetig weiter. „Die Ideologien der Nationalso­zialisten haben allerdings auch bei Regens Wagner ihre Spuren hinterlass­en“, sagt Frick nachdenkli­ch. Nicht nur die Sterilisie­rung und Diskrimini­erung von Menschen mit Behinderun­g, auch deren Verfolgung und Ermordung machten vor den Mauern des ehemaligen Fuggerschl­osses nicht halt. Zwar hatte die kirchlich geführte Einrichtun­g 1936 den Status einer geschlosse­nen Anstalt erhalten und konnte damit viele solcher Maßnahmen verhindern. Gleichzeit­ig musste sie damit die komplette Abschottun­g der Bewohner durch Mauern und Zäune veranlasse­n. Doch nicht nur das, die Einrichtun­g musste sogar für andere Zwecke fast vollständi­g geräumt werden. Umsiedlung­slager, Schulungsl­ager, Lazarett und Kriegsgefa­ngenenlage­r: In den Jahren von 1939 bis 1945 hatte das Schloss viele verschiede­ne Funktionen. Berichten zufolge sollen die meisten Bewohnerin­nen, die in dieser Zeit in die Heilund Pflegeanst­alt nach Kaufbeuren verlegt oder in der Elisabethe­nstiftung in Lauingen untergebra­cht wurden, überlebt haben. Frick betont: „Vieles in diesen Jahren muss erst noch aufgearbei­tet werden.“

160 bis 180 Frauen mit Behinderun­g hatten nach dem Krieg im Schloss ein Zuhause gefunden. Gürsch sagt: „Damals gab es noch große Schlafsäle, die bis auf das letzte Bett belegt waren.“Durch Baumaßnahm­en habe man diese in den 1960er-Jahren allerdings in kleinere Einheiten aufteilen können. Knapp dreißig Jahre später wurden auch die ersten Männer aufgenomme­n. Neben vielen Veränderun­gen in den Lebensbere­ichen Wohnen sowie Bildung und Beschäftig­ung stellte besonders die Personalpl­anung die Einrichtun­g Anfang der 1990er-Jahre vor eine große Herausford­erung. Da immer weniger Nachwuchs in den Orden der Dillinger Franziskan­erinnen eintrat, wurde der Konvent aufgelöst. Gürsch erinnert sich: „Wir mussten damals vieles neu organisier­en.“Gerade dass die Schwestern rund um die Uhr da gewesen seien, habe mit Rufbereits­chaften kompensier­t werden müssen.

In den vergangene­n 150 Jahren hat sich nicht nur durch das Bundesteil­habegesetz vieles für Menschen mit Behinderun­gen getan. Auch in Glött versucht man, das Angebot dementspre­chend weiterzuen­twickeln. „Uns ist es wichtig, dass nicht etwa die Einrichtun­g, sondern immer die jeweilige Person im Vordergrun­d steht“, betont Gürsch. Gerade für jene Bewohner, die ihre Interessen nicht selbst vertreten könnten, wolle man sich bei Regens Wagner einsetzen. Wer mit mehrfacher Schwerbehi­nderung einen Platz bekommt, wird beispielsw­eise in der Förderstät­te beschäftig­t. Dort sollen die Fähigkeite­n gezielt gestärkt werden. Für Senioren gibt es außerdem die Tagesstätt­e. Hier stehen Kommunikat­ion und der Austausch mit anderen Menschen im Vordergrun­d. Mit dem neuen Angebot der Offenen Hilfen im gesamten Aschbergge­biet wird auch das ambulant begleitete Wohnen für Menschen mit Behinderun­g und kognitiven Einschränk­ungen weiter ausgebaut. „Wir wollen Menschen begleiten und ihnen eine Teilhabe am Leben ermögliche­n – dafür müssen wir uns an die Bedürfniss­e anpassen“, sagt Gürsch. In der Zukunft wolle man versuchen, noch stärker auf die Leute zuzugehen. Auch das neu geplante Wohnheim in Wertingen soll ein wichtiger Schritt in diese Richtung sein. „Es geht uns darum, Menschen mit Behinderun­g auch wirklich zu integriere­n und keine geschlosse­ne Sonderwelt zu schaffen“, erläutert die Leiterin.

 ?? Foto: Regens Wagner Glött ?? Das ehemalige Fuggerschl­oss in Glött ermöglicht Menschen mit Behinderun­g seit 150 Jahren ein selbstbest­immtes Leben. In Zukunft möchte sich Regens Wagner weiterentw­ickeln und noch stärker auf die Menschen zugehen.
Foto: Regens Wagner Glött Das ehemalige Fuggerschl­oss in Glött ermöglicht Menschen mit Behinderun­g seit 150 Jahren ein selbstbest­immtes Leben. In Zukunft möchte sich Regens Wagner weiterentw­ickeln und noch stärker auf die Menschen zugehen.

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