Wertinger Senioren üben die Selbstverteidigung
Kriminalität In Wertingen ist ein Kurs der Seniorengemeinschaft ein riesiger Erfolg: Krav Maga. Die israelische Form der Selbstverteidigung begeistert die Teilnehmer. Nur: Warum wollen das hier so viele ältere Menschen lernen?
Ein Kurs für „Krav Maga“ist in Windeseile ausgebucht. Doch warum ist die Nachfrage nach einem solchen Kurs so hoch?
Wertingen Drei Stunden lang haben sich Brigitte und Franz Hartl in der Dreifachturnhalle ausgetobt. Nach diesen intensiven Stunden ist Brigitte Hartl „ganz schön fertig“, wie die 67-jährige Frauenstettenerin sagt. Und den ein oder anderen blauen Fleck entdeckt sie tags darauf auch an ihrem Körper. Doch vor allen Dingen fühlt sich Brigitte Hartl nun ein Stück sicherer, denn das intensive Training hatte einen Zweck: Sie wollte lernen, wie man sich verteidigt.
Dafür wurden die 22 Teilnehmer der Seniorengemeinschaft Wertingen-Buttenwiesen, zu etwa gleichen Teilen Frauen und Männer, von einem Trainerduo aus Augsburg in den Grundlagen des Selbstverteidigungssystems „Krav Maga“geschult. Übersetzt bedeutet das „Kontaktkampf“, das System wurde vom israelischen Militär entwickelt. Im Kurs lernten die Teilnehmer die Grundlagen der Selbstverteidigung. Wie man richtig zuschlägt, wie man sich aus einem Klammergriff befreit. Doch ebenso lernten die Teilnehmer, wie man potenzielle Angreifer abschreckt: Möglichst laut brüllen, die Arme abwehrbereit heben. So gibt man zu verstehen, dass ein Überfall oder gar eine Vergewaltigung keine leichte Angelegenheit werden wird. Und falls es doch zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommt, werden die Finger in die Augen gedrückt oder das Knie dem Angreifer kräftig in die Hoden gestoßen. „Vitale Körperpunkte“heißen diese empfindlichen Körperteile im Fachjargon.
Das hat Brigitte Hartl aus dem Kurs mitgenommen. Diesen besuchte sie gemeinsam mit ihrem Mann – darüber ist sie froh, denn so hatte sie sich mehr bei den simulierten Zweikämpfen getraut als bei einem fremden Trainingspartner. Sie hat den Kurs besucht, weil sie manchmal ein „ungutes Gefühl“hat, wenn sie alleine unterwegs ist. Früher habe sie einen Hund gehabt, da habe sie noch kein großes Unbehagen verspürt, wenn sie etwa nach Einbruch der Dämmerung spazieren gegangen sei. Doch manchmal sei ihr jetzt unbehaglich zumute.
Damit ist die Frauenstetterin keineswegs allein. Der Kurs, den die Seniorengemeinschaft angeboten hatte, war in Windeseile ausgebucht. Bei den Senioren gebe es ein zunehmendes Gefühl der Bedrohung, sagt Hans-Josef Berchtold, der Vorsitzende der Seniorengemeinschaft. Sie hätten das Gefühl, immer stärker in den Fokus von Kriminellen zu geraten, etwa bei Telefonbetrügereien, aber auch bei Einbrüchen.
Es ist ein diffuses Gefühl der Verunsicherung, das auch Hauptkommissarin Martina Guß, Leiterin der Wertinger Polizeistation, in der Bevölkerung wahrnimmt. Mit den aktuellen Statistiken decken sich die Ängste der Senioren nicht unbedingt – gerade die Zahl der Gewaltdelikte geht in Deutschland seit Jahren zurück. Doch werde Gefahr heute anders wahrgenommen. „Man bekommt heute durch die Medien jedes Verbrechen mit, auch wenn es etwa in London stattfindet. Das schafft Verunsicherung“, sagt Guß. Auch in der Region Wertingen, wo kaum Gewalttaten stattfänden. Doch völlige Sicherheit gebe es nirgends, räumt auch Guß ein. Gewalttäter können überall aktiv werden.
Dass sich die Senioren nun auf den Fall der Fälle mit Selbstverteidigungskursen vorbereiten, sieht Guß nicht uneingeschränkt positiv. Sie wolle sich zwar nicht zu dem speziellen Kurs äußern, da sie ihn ja nicht miterlebt habe. Das Thema sei allerdings äußerst schwierig. Jede Situation, in der es zu Übergriffen oder Auseinandersetzungen kommen kann, sei anders und muss laut Guß individuell eingeschätzt werden. Was zum Beispiel tun, wenn der Angreifer ein Messer hat? Generell sei aber der Ansatz, durch lautes Schreien auf sich aufmerksam machen, richtig. Besonders wichtig sei es zudem für Helfer, die eingreifen wollen, sich Verbündete zu suchen und schnellstmöglich die Polizei zu alarmieren. Grundlagen der Selbstverteidigung zu lernen, sei sicher gut. Aber: „Man sollte seine Fähigkeiten nach so einem Kurs keineswegs überschätzen“, sagt die erfahrene Polizistin.
Für die Verantwortlichen bei der Seniorengemeinschaft war die Veranstaltung ein voller Erfolg, die Rückmeldungen der Teilnehmer seien überaus positiv gewesen. Der Kurs werde auf jeden Fall erneut angeboten, sagt Hans-Josef Berchtold. Dann will auch Brigitte Hartl wieder dabei sein, um ihre Kenntnisse auszubauen.
Interessant ist, dass die Dillinger Volkshochschule schon seit einiger Zeit einen ähnlichen Kurs anbietet : „Taekwondo 50 plus“, ausgerichtet von der Schwenninger Taekwondo-Legende Heinrich Magosch, der mittlerweile selbst Senior ist und als Trainer einen exzellenten Ruf genießt. Doch anders als in Wertingen ist die Nachfrage für Selbstverteidigungskurse ziemlich bescheiden, wie es von Seiten der Volkshochschule heißt. Großen Andrang gebe es in Dillingen für einen anderen Kurs: „Taekwondo für Bambinis“.