Die Autoindustrie steckt in der SUV-Klemme
Leitartikel Brüssel drängt die Branche, Öko-Autos zu bauen. Doch immer mehr Bürger lieben große Wagen. Der Spagat wird zur gefährlichen Belastungsprobe
Die Auto-Konzerne geben sich auf ihrer kriselnden Branchenschau IAA derart grün, dass sich manch Umweltschützer verwundert die Augen reibt. Wenn das so weitergeht, stürzen VW & Co. selbst hartnäckige Klimaschützer in eine Sinnkrise. Der OberÖko unter den Auto-Bossen, VWChef Herbert Diess, punktet nicht nur mit dem neuen Elektro-Volksauto ID.3, einem stromangetriebenen Käfer- und Golf-Nachfolger.
Der VW-Boss geht einen Schritt weiter: Am Stammsitz in Wolfsburg wird das Kohle- in ein Gaskraftwerk umgerüstet. Der AutoManager stellt sich an die Spitze der Klimawende, müsste also der beste Freund der Generation „Greta“sein. Das ist (noch) nicht der Fall – ein Umstand, der offenbart, in welcher Klemme die Branche steckt. Denn Diess ist in Sachen „Umweltschutz“
trotz immenser Anstrengungen nach wie vor ein wenig grün hinter den Ohren. Aus wirtschaftlichen Zwängen kann der VW-Chef nicht so „öko“sein, wie er das gerne wäre. Volkswagen muss schließlich nach Milliardenstrafen für die Diesel-Schummeleien wiederum Milliarden für die Entwicklung von Elektroautos aufwenden. Dabei verdient der Konzern mit Umwelt-Flitzern erst mal kein Geld.
Hier bekommt die VW- wie die BMW- und Daimler-Umwelt-Legende CO2- und Stickoxid-Flecken. Denn um sich die Elektro-Wende leisten zu können, müssen die Hersteller noch Jahre Autos mit konventionellem Antrieb bauen. Das Dumme ist nur: Verbraucher fahren hier vor allem auf SUVs ab. Die panzerartigen Geländewagen für die Stadt sind zum Statussymbol eines Teils der Mittelschicht geworden – eine absurde Entwicklung in Zeiten der Klima-Katastrophe.
Selbst wenn Auto-Manager wie Porsche-Chef Oliver Blume Zweifel äußern, ob SUVs die geeigneten Fortbewegungsmittel für die Stadt sind, werden die hochgebockten Ungetüme gekauft. Die Klimaaktivistin Tina Velo legt den Finger in die Wunde, indem sie kritisiert, dass es ökologisch verheerend sei, 80 Kilo Mensch in einem ZweiTonnen-Auto zu befördern.
Doch die Auto-Konzerne können und wollen nicht auf die fetten Renditen der von Velo als „FettKarren“verspotteten Platzfresser verzichten. Das Gute – Elektroautos wie der ID.3 – wird durch das Schlechte – stark übergewichtige, daher mehr Sprit verbrauchende und CO2 erzeugende SUVs – quersubventioniert. So funktioniert auf Gewinn ausgerichtete Wirtschaft.
VW ist keine Öko-Caritas und Diess nicht der Robert Habeck der Autoindustrie. Die Klemme, in der die Branche steckt, hat weitere Facetten: Kaufen die Kunden E-Autos wie den ID.3 nicht in großer Menge und fahren weiter lieber SUVs mit Verbrennungsmotor, kommt auf die Autoindustrie die dritte Welle an Milliardenzahlungen zu. Es drohen dann immense Strafgelder, wenn Hersteller die ihnen auf europäischer Ebene auferlegten Klimaziele auch wegen der Unvernunft ihrer Kunden nicht erfüllen.
Dass die Konzerne überhaupt derart viele E-Autos bauen, geht maßgeblich auf den Druck Brüssels zurück. Diess und seine Kollegen wurden von der EU ökologisch zwangsbekehrt. Entwickeln sich E-Autos zu Ladenhütern, wird die Klemme zur Falle für die Branche. Hohe Job-Verluste wären die Folge.
In der prekären Lage muss die Politik rasch eingreifen, sonst zieht die Autoindustrie die gesamte Wirtschaft für Jahre nach unten. Am klügsten wäre eine Doppelstrategie: Die Verantwortlichen müssen den Ausbau der Lade-Infrastruktur massiv fördern. Und Berlin kommt nicht umhin, regulierend in den SUV-Wahnsinn einzugreifen, also den Kauf besonders großer Fahrzeuge dieser Art steuerlich zu bestrafen. Die Bürger allein kommen leider nicht zur Vernunft.
Diess ist nicht der Habeck der Autoindustrie