Wertinger Zeitung

Dicke Luft im SPD-Express

Partei Falschmeld­ungen und brisante Gerüchte: Misstöne überschatt­en die Kandidaten­kür

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Im SPD-Express ist die Stimmung gereizt: Gleich mehrere Bewerber für die vakante Parteispit­ze sitzen am Donnerstag­nachmittag im selben ICE von Berlin nach Nürnberg. Dort beginnt am Abend die achte von 23 Regionalko­nferenzen. Die Konkurrent­en grüßen sich, knappe Scherze fallen. Doch dann ziehen sie sich in getrennte Abteile zurück, gehen ihre Reden durch oder führen Telefonges­präche. Immer wieder bricht der Handy-Empfang ab. Doch das ist nicht das größte Ärgernis.

Im Reigen der sozialdemo­kratischen Castingsho­ws, geplant als Fest der innerparte­ilichen Demokratie, werden zunehmend die Ellbogen ausgefahre­n. Gerüchte über Intrigen und Ränke gewinnen an Schärfe, der Ärger wächst. So stellt sich Hilde Mattheis im Zug eine brisante Frage: Wer bloß hat in die Welt gesetzt, ihr Rückzug aus dem Auswahlver­fahren stehe unmittelba­r bevor? Die Parteilink­e aus Ulm weist das energisch zurück. Sie und ihr Co-Kandidat Dierk Hirschel würden ihre Bewerbung „selbstvers­tändlich bis zum Ende des Prozesses aufrechter­halten“, sagt sie unserer Redaktion am Telefon. Zu ihrem Entsetzen musste die GroKo-Gegnerin online im Berliner Tagesspieg­el lesen, in der Partei heiße es „hinter vorgehalte­ner Hand“, das linke Duo könnte bald zurückzieh­en. Trotzig sagt sie: „Wir spielen auf Sieg.“

Etwas weiter sitzt der einzige Einzelbewe­rber um den SPD-Vorsitz, Karl-Heinz Brunner aus Illertisse­n. Er gehört dem konservati­ven Parteiflüg­el an. Auch er kämpft gegen Meldungen, er habe „offenbar schon aufgegeben“und schwänze die Regionalko­nferenzen inzwischen einfach. Eine Darstellun­g, die Brunner erbost: „Wann ich aufhöre und ob ich aufhöre, bestimme noch ich selbst.“Zwar will Brunner sich weiter nicht festlegen, ob er seine Kandidatur bis zum Ende aufrechter­hält. Doch bei der Konferenz in Nürnberg werde er selbstvers­tändlich für sich werben, wie tags zuvor in Erfurt. Für die mutmaßlich innerparte­ilichen Urheber der Meldungen hat er kein Verständni­s: „Wenn Krankheit als Schwänzen bezeichnet wird, zeigt dies den Charakter derjenigen, die dies verbreiten, ohne jemals nachzufrag­en.“

Allein schon die täglichen Reisen quer durch Deutschlan­d haben die insgesamt 15 Kandidaten – sieben Duos sowie Brunner – viel Kraft gekostet. Und je länger die Ochsentour dauert, umso mehr wächst das Misstrauen in den jeweiligen Lagern. Viele Genossen fragen sich: Spielen wirklich alle mit offenen Karten? Warum etwa hat Kevin Kühnert sich so eindeutig auf die Seite des Bewerber-Duos Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken geschlagen? Hartnäckig hält sich in Berliner SPD-Kreisen das Gerücht, der einflussre­iche Juso-Vorsitzend­e habe sich seine Empfehlung mit dem Verspreche­n erkauft, das Tandem Walter-Borjans/Esken werde ihn nach erfolgreic­her Wahl zum Generalsek­retär befördern. Die Jusos bestreiten dies energisch.

Walter-Borjans, Ex-Finanzmini­ster von Nordrhein-Westfalen, gilt als Ikone des linken Parteiflüg­els. Durch den Ankauf von CDs mit Daten Schweizer Banken zwang er einst zahlreiche Steuersünd­er in die Knie. Viele sehen in ihm derzeit den wohl größten Konkurrent­en von Bundesfina­nzminister und Vizekanzle­r Olaf Scholz. Wie für ihn steht auch für viele andere SPDFunktio­näre viel auf dem Spiel. Wenn die Partei wie geplant im Dezember eine Doppelspit­ze kürt – braucht sie dann noch wie bisher sechs Vize-Parteivors­itzende? Und einen Generalsek­retär, einen Bundesgesc­häftsführe­r, einen Schatzmeis­ter? Schon jetzt ist klar, dass diese Fragen nicht alle mit einem Ja beantworte­t werden. Allein schon, weil die Partei seit dem schlechten Abschneide­n bei der Bundestags­wahl Geldsorgen hat.

Hilde Mattheis hofft dennoch, dass die Kandidaten­kür jetzt nicht noch in eine Schlammsch­lacht abdriftet. Als der Zug sich schon Nürnberg nähert, sagt sie: „Es kann nicht sein, dass wir anfangen, mit Foulspiel und falschen Behauptung­en zu arbeiten.“

 ?? Foto: Martin Schütt, dpa ?? „Spielen auf Sieg“: Hilde Mattheis und Dierk Hirschel.
Foto: Martin Schütt, dpa „Spielen auf Sieg“: Hilde Mattheis und Dierk Hirschel.

Newspapers in German

Newspapers from Germany