„In der neuen Audi-Welt sind wir alle kritischer“
Interview Der Unternehmenslenker Bram Schot will die Kultur bei dem Autobauer verändern. Der Manager fordert die Mitarbeiter offen auf, ihre Meinung zu sagen. Das tun auch viele und schreiben dem Chef reichlich E-Mails
Der Niederländer Bram Schot ist seit 1. Januar Audi-Chef. Das Interview mit dem 58-Jährigen findet auf der Internationalen AutomobilAusstellung in Frankfurt statt. Schot bestellt sich „einen riesengroßen Kamillentee“. Auf der Auto-Schau wird stimmenbelastende DauerKommunikation verlangt. Der Manager ist ein großer Fußball-Fan.
Sie müssen ein glücklicher Mensch sein nach dem 4:2 Ihrer Niederländer gegen das deutsche Team.
Schot (lacht): Wir haben euch noch geschont. Wir waren schon in der ersten Hälfte besser als ihr. Die Deutschen fühlten sich nach dem frühen Tor wie die sicheren Sieger. So haben sie jedenfalls das Tor gefeiert. Das kam in der Kneipe in Amsterdam, wo ich das Spiel gesehen habe, nicht gut an. Der Endstand von 4:2 für uns war berechtigt. Deutschland kann besser spielen.
Fußball ist ein Haifischbecken. Nach Ihrem Traum soll Audi wie ein schneller und wendiger Delfin werden, gegenüber dem Haifische schon mal den Kürzeren ziehen. Wie delfinig ist das Unternehmen schon?
Schot: Wir werden schneller und schneller, offener und offener. Delfine sind deshalb so passend für Audi, weil sie super Sensoren haben, also die Welt scannen. Auch unsere Sensoren als Unternehmen werden immer besser. Wir hören genau zu. Wir denken noch mehr von der Kunden-, also Marktseite her. Entscheidungen werden nicht nur gefällt, weil einer unserer Finanzexperten oder Ingenieure das für richtig hält.
Sie haben gesagt, Kunden reichen Ihnen nicht, Sie wollen Fans. Kommt da der Fußball-Enthusiast durch? Schot: Ja, Kunden werden zu Fans, wenn man sie begeistert. Fans fühlen sich mit der Marke verbunden und bringen ihre Ideen ein. Mein Ziel ist es, die Audi-Familie immer größer zu machen. Das macht richtig Spaß. Unsere Strategie ist klar: Elektrifizierung, Nachhaltigkeit, Digitalisierung und vor allem die Bedürfnisse und Erlebnisse der Kunden stehen im Mittelpunkt. Neben der klassischen Marktforschung holen wir Kundenstimmen aus allen wichtigen Märkten ins Unternehmen. Ich könnte mir vorstellen, dass Kunden in Zukunft mit uns einen IAA-Showcar konzipieren.
Wie stehen Sie zur kriselnden IAA? Bleiben Sie der Messe treu?
Schot: Die gesamte Automobilbranche erfindet sich gerade neu – und mit ihr die IAA. Die Messe verlagert ihren Schwerpunkt zunehmend weg von der reinen Produktshow hin zu einer Plattform, die die gesamte Palette der Mobilität der Zukunft präsentiert. Damit bleibt sie für uns auch in diesem Jahr eine wichtige Leitmesse, auf der wir unseren eigenen strategischen Wandel zum Anbieter nachhaltiger Premium-Mobilität spür- und erlebbar machen.
Noch einmal: Bleiben Sie der Messe also treu?
Schot: Wir bei Audi suchen immer nach dem optimalen Forum für unseren Markenauftritt. Das werden wir auch in Zukunft so handhaben und von Fall zu Fall entscheiden, in welchem Format wir unsere Botschaften – und neuen Modelle – platzieren.
Trauen sich Vertreter des oberen Audi-Managements anders als früher, Kritik an Entscheidungen zu üben? Schot: Ja, sie trauen sich. Und wir wollen ja, dass sie ihre Meinung sagen. Dafür haben wir neue Formate geschaffen, wie „Vorstand im Dialog“für alle Mitarbeiter oder „#oneTeamAudi“, eine WorkshopReihe, in der wir mit dem Management in den offenen Dialog gehen.
Sie kriegen viele, auch kritische E-Mails aus dem Mitarbeiterkreis. Bekommt immer noch jeder Beschäftigte eine Antwort von Ihnen?
Schot: Ich antworte jedem, der mir schreibt. Das ist viel Arbeit, aber ich mache das gerne. Die Absender stecken ja auch viel Energie rein. Ich verstehe so besser, was die Audianer bewegt – und was sie bewegen wollen. In Workshops ermuntere ich Führungskräfte: Ich will wissen, was nicht gut läuft. Das Schlimmste für einen Chef ist, von solchen Dingen nichts zu erfahren.
Manche sagen dann, die Stimmung sei nicht gut.
Schot: Offenheit hat nichts mit schlechter Stimmung zu tun. Ich fordere Kritik ein. Die Dinge müssen auf den Tisch, auch wenn sie sieben bis zehn Jahre zurückliegen. In der neuen Audi-Welt sind wir alle kritischer. Die Kritik sollte sich aber nicht an Personen, sondern an der Sache entzünden.
Doch der Kulturwandel vom einstigen Diesel-Sünder zu einem sauberen Unternehmen geht auch mit einem harten Sparprogramm einher. Wie viele Milliarden haben Sie schon eingespart? Schot: Ich nenne es lieber ein Transformationsprogramm, denn es ermöglicht den Umbruch zum Anbieter der schönsten Form nachhaltiger Mobilität. Neue Technologien, neue Qualifikationen und neue Investitionen. Das alles kostet. Von den angestrebten 15 Milliarden, die wir einsparen wollen, haben wir bereits für die Hälfte Maßnahmen umgesetzt, die sich bis Ende 2022 auszahlen werden. Und das in einer Firma, in der man dachte, es gäbe keine Einsparpotenziale.
Und die restlichen Milliarden? Schot: Hinzu kommen drei bis vier Milliarden Euro, für die die Entscheidung schon gefallen ist. Das restliche Einsparpotenzial werden wir auch noch konsequent umsetzen. Das ist nicht einfach, aber notwendig. Wir werden künftig fokussierter agieren, tanzen nicht mehr auf jeder Hochzeit und haben schon eine Reihe von Ausstattungsoptionen aus dem Programm genommen, die unsere Kunden kaum nachgefragt haben, jedoch bei uns kostspielige Komplexität erzeugt haben.
Werden sich die Sparprogramme auch auf die Belegschaft auswirken? Es war ja von einem Stellenabbau im Management die Rede.
Schot: Auch die Vertreter der Mitarbeiter sehen zu 100 Prozent die Notwendigkeit, dass sich etwas ändern muss. So ein Prozess dauert aber. Wir führen noch Gespräche, denen ich nicht vorgreifen will. Wir müssen klären, wie wir von A nach B kommen, mit unserem Portfolio, der Belegung unserer Werke, mit neuen Geschäftsfeldern und der Transformation insgesamt. Eines ist aber klar: Ich bekenne mich zur Beschäftigungsgarantie bis 2025 für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an unseren deutschen Standorten.
Sitzen Sie also schon in einem Auto mit dem Audi-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Peter Mosch? Zuletzt wurden Äußerungen des Gewerkschafters so interpretiert, als wären Sie ein Vorstandschef auf Abruf, der vielleicht schon 2020 vom Noch-BMW-Manager Markus Duesmann abgelöst wird. Mosch sagte ja, Sie seien „im Moment der richtige Mann an der richtigen Stelle“. Was dachten Sie dabei? Schot: Sie sagen es selbst: Äußerungen wurden interpretiert. Sehen Sie es doch mal so: Wer freut sich nicht, wenn er als richtig für eine bestimmte Aufgabe angesehen wird?
Das war also keine versteckte Kritik von Mosch an Ihnen?
Schot: Peter Mosch und ich haben persönlich ein gutes Verhältnis. Wir beide denken immer daran, was gut für Audi ist. Und Audi braucht 100 Prozent unserer Zeit.
Andererseits machen sich Betriebsräte Sorgen, weil die Standorte Ingolstadt und Neckarsulm nicht genügend ausgelastet sind. Können Sie die Mitarbeiter beruhigen? Werden in den Werken neue Modelle produziert?
Schot: Zunächst einmal brauchen wir dazu neue Modelle. Wir führen zu unserem Premium-Portfolio im Herbst noch Gespräche – auch auf Konzernebene. Bis Jahresende werden wir Klarheit haben. Ich verstehe, dass der Betriebsrat mehr Sicherheit wünscht. Die stellen wir her. Gleichzeitig gilt: Konsequent synergetisch und konsequent profitabel.
Die Autobranche scheint in eine längere Krise zu fahren. Der Experte Ferdinand Dudenhöffer spricht von fünf harten Jahren für die Industrie. Schot: Ich bleibe dennoch Optimist, gerade was Audi betrifft. Denn wir haben im kommenden Jahr bereits fünf Elektroautos am Start. Wir haben ein aufregendes Design, bieten in den nächsten Jahren spannende automatisierte Fahrfunktionen an. Und der aktuelle Auftragsbestand sieht sehr gut aus. Ich rechne mit einem guten zweiten Halbjahr. Natürlich wird der Wettbewerb härter, und die Märkte werden sich erst mal nur auf Vorjahresniveau bewegen.
Wer macht Ihnen mehr Angst, Donald Trump oder Boris Johnson?
Schot: Beide machen mir keine Angst. Wir müssen aber die gegenwärtigen Entwicklungen und das gesamte Spektrum möglicher Auswirkungen genau beobachten. Letztlich ist es wichtig, dass die großen Wirtschaftsmächte miteinander sprechen und zueinanderfinden.
Verstehen Sie die Kritik an SUVs? Schot: SUVs sind vor allem Autos mit erhöhter Sitzposition. Sehr viele Kunden wünschen sich genau das. Wichtig ist, dass wir SUVs deutlich effizienter gemacht haben. Zudem werden wir auch die SUVs elektrifizieren. Bestes Beispiel: Unser erstes Elektroauto ist auch ein SUV: der Audi e-tron. Superleise und mit kraftvoller Beschleunigung.
„Auch unsere Sensoren als Unternehmen werden immer besser.“
„In Bayern finden wir ein offenes Ohr.“
Wie sieht die künftige Mobilität aus? Schot: Gerade in Metropolen wie meiner Heimatstadt Amsterdam, wo man kaum noch mit dem Auto reinkommt, sind intelligente Mobilitätslösungen wichtig. Als ich früher in Rom gelebt habe, war eine Vespa das ideale Fortbewegungsmittel in dieser Stadt. Für die letzte Meile ist der E-Scooter eine gute Wahl. Auch wir bei Audi bieten bald solche Roller an. Ich muss mich noch an das Lenken gewöhnen.
Wann entwickeln Sie keine neuen Verbrenner mehr?
Schot: Natürlich wird es um 2030 noch Autos mit Verbrennungsmotoren von Audi geben. Die Frage ist nur, wie viele.
Autobauer setzen voll auf E-Mobilität. Die Politik, insbesondere die Bundesregierung, wirkt dagegen etwas elektro-schläfrig. Ärgert Sie das? Schot: Vor allem an unseren Standorten in Bayern und Baden-Württemberg finden wir ein offenes Ohr. Ich wünsche mir mehr Unterstützung für E-Mobilität, und zwar bei der Finanzierung der Infrastruktur ebenso wie bei staatlichen Kaufanreizen. Meine Kollegen bei Daimler und BMW haben die gleiche Meinung. Politik und Wirtschaft müssen, was die E-Mobilität betrifft, besser zusammenarbeiten. Tiefgaragen müssen mit Stromanschlüssen nachgerüstet werden, Arbeitgeber sollen ihren Beschäftigten Ladesäulen anbieten. Da muss mehr kommen. Gerade auf Bundesebene würde uns mehr E-Power für Deutschland helfen.
Wie viel private Zeit lässt Ihnen der Job als Audi-Chef?
Schot: Fünf bis sechs Tage im Monat bin ich zu Hause bei meiner Frau in Amsterdam. Audi ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Meine Frau versteht das. Ein Sohn lebt in London und mein zweiter in den USA. Wir kommunizieren aber viel.