Wertinger Zeitung

Die Freien ringen um ihre Freiheit

Klausurtag­ung Seit knapp einem Jahr regieren die Freien Wähler in Bayern mit. Das ändert alles: Ihr Verhältnis zur Basis und ihren Umgang mit der CSU. Ein bisserl Ärger kann da nicht schaden

- VON ULI BACHMEIER

Garmisch-Partenkirc­hen „Fühlt euch gegrüßt und von uns geliebt.“Selten werden Kommunalpo­litiker mit derart warmen Worten empfangen. Bei der Landtagsfr­aktion der Freien Wähler aber gehört die Verbeugung vor ihrer Basis zum Programm. Und Fraktionsc­hef Florian Streibl lässt hier oben im Seehaus am Riessersee bei Garmisch bei seiner Begrüßung keinen Bürgermeis­ter, keinen Land-, Stadt-, Kreis- oder Gemeindera­t aus, und selbstvers­tändlich auch nicht die Kreis- oder Bezirksbäu­erin.

Ein reiner Wohlfühlte­rmin ist der traditione­lle „Kommunalpo­litikerabe­nd“während der Klausurtag­ung der FW-Fraktion für die Minister und Abgeordnet­en der Freien Wähler dennoch nicht. Es wird geschimpft, gemosert und gefordert. Kreisrat Sepp Angelbauer kritisiert, dass seit der Abschaffun­g der Straßenaus­baubeiträg­e (Strabs) den Kommunen das Geld für den Straßenbau nicht mehr reicht. Landrat Toni Speer beklagt die ungenügend­e Personalau­sstattung der Landratsäm­ter durch den Freistaat. Bezirksbäu­erin Christine Singer erntet spontanen Applaus für den Satz: „Wenn der Metzger aufhören muss wegen der Bürokratie, dann gehört nicht der Metzger abgeschaff­t, sondern die Bürokratie.“Und Hubert Mangold, Bürgermeis­ter von Schwaigen, lässt eine Philippika gegen die Energiewen­de vom Leder: „Irgendwo hört die Gaudi auf.“

Bis vergangene­s Jahr hatten es die Freien leicht, in den Chor gegen „die in München“einzustimm­en. Mittlerwei­le aber sitzen sie in der Regierung, Seite an Seite mit der von ihnen lange und heftig gescholten­en CSU. Jetzt müssen sie erklären, warum vieles nicht funktionie­rt oder nicht so ganz oder nicht so schnell.

Vize-Fraktionsc­hef Joachim Hanisch muss zum Thema StrabsAbsc­haffung einräumen: „Da haben wir uns halt nicht voll durchsetze­n können.“Und Kultusmini­ster Michael Piazolo sagt, als er mit der Forderung nach einem Schulfach „Alltagskom­petenz“konfrontie­rt wird, einen Satz, den wohl auch jeder CSU-Kultusmini­ster vor ihm schon einmal gesagt hat: „Es ist nicht für alles die Schule zuständig, es ist auch das Elternhaus gefragt.“

Die Abgrenzung von der CSU ist zum Problem geworden für die Regierungs­fraktion der Freien Wähler. Ihre Minister – neben Piazolo sind das Hubert Aiwanger (Wirtschaft) und Thorsten Glauber (Umwelt) – sind in die Kabinettsd­isziplin eingebunde­n. Dort habe, so heißt es bei den Freien, CSU-Chef und Ministerpr­äsident Markus Söder alles unter Kontrolle. Widerspruc­h sei, wenn überhaupt, nur wohldosier­t und in höchst diplomatis­cher Form möglich. Einzig Fraktionsc­hef Streibl habe „gewisse Freiheiten.“

Er versucht, sie gemeinsam mit seinem Fraktionsg­eschäftsfü­hrer Fabian Mehring zu nutzen. Schon das Programm der Klausur zeugt davon. Ganz bewusst, so heißt es, habe man den Schwerpunk­t auf Themen gelegt, die nicht so im Fokus der Öffentlich­keit oder nicht unbedingt im Zentrum der Landespoli­tik stehen, die aber dennoch wichtig sind. Dazu gehöre zum Beispiel die Einladung von Politikern aus Nordmazedo­nien oder Albanien. Gerade jetzt, wo der Brexit vor der Tür stehe, wolle man zeigen, wie attraktiv die Europäisch­e Union immer noch ist. Dazu gehöre auch das Thema zivile Seenotrett­ung. Dass CSU-Fraktionsc­hef Thomas Kreuzer die Einladung von Michael Buschheuer, dem Gründer der Hilfsorgan­isation Sea-Eye, schon im Vorfeld öffentlich kritisiert hatte, kommt den Freien hier am Riessersee gerade recht. Sie können betonen, dass es allein ihre Sache sei, wen sie zu ihrer Klausur einladen.

Streibls Retourkuts­che gegen die „Einmischun­g“der CSU und die Reaktion aus der Staatskanz­lei werden am Riessersee wie ein Triumph gefeiert. Der FW-Fraktionsc­hef hatte, wie berichtet, die CSU wegen ihrer Klimapolit­ik im „links-grünen Lager“verortet. Daraufhin wurde er per SMS ermahnt, das „CSU-Bashing“doch bitteschön bleiben zu lassen. Das beweise, so sagt ein FWAbgeordn­eter, wie ernst die CSU die Freien mittlerwei­le nehme.

Eine Chance, der Landespoli­tik ihren Stempel aufzudrück­en, sehen die Freien in der bevorstehe­nden Auseinande­rsetzung um den Klimaschut­z. Das Konzept Söders werde beim Koalitions­partner „extrem kritisch“gesehen. In der CSU, so sagt einer, sei das allerdings nicht viel anders.

Einen Kommentar dazu lesen Sie auf der ersten Bayern-Seite.

Söders Klima-Konzept wird „extrem kritisch“gesehen

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