Wertinger Zeitung

Ehefrau, Starpianis­tin, siebenfach­e Mutter

200. Geburtstag Das ruhmvolle, dramatisch­e, ja tragische Leben der Clara Schumann. Zweimal wurde sie in ihrer Laufbahn erst gefördert, dann eingeengt. Szenen einer Prominente­n-Ehe

- VON RÜDIGER HEINZE

„Vormittag bey Clara – Sie zeigt mir ihr Tagebuch, nachdem sie am 13. September 1819 auf die Welt kam. Was soll man vom Alten [ihr Vater] denken, der noch gestern auf seine Seligkeit schwor: Clara wäre erst 10 ½. – Haben dergleiche­n Erbärmlich­keiten Namen, außer diesen?“

Das hielt Robert Schumann am 7. Juni 1831 in seinem sogenannte­n „Leipziger Lebensbuch I“, einem Tagebuch, als eine seiner frühesten Bemerkunge­n über seine spätere Frau Clara fest. Was scheint – 200 Jahre nach dem erwähnten 13. September 1819 – in diesen wenigen Zeilen doch alles auf! Da wären die harsche Kritik an seinem Klavierleh­rer und späteren Schwiegerv­ater, außerdem die zentrale Bedeutung von Tagebücher­n, gerade im Leben von Clara und Robert, schließlic­h das offensicht­liche Interesse Friedrich Wiecks, des „Alten“, seine Tochter jünger zu machen als sie in Wirklichke­it war.

Damit ließ sich ja die riesige Begabung der Tochter, die praktisch früher Klavier spielte, als dass sie zu sprechen bereit war, noch besser unter die Leute bringen! Er war es, der das Saatkorn legte zu jenem Wunderkind, aus dem dann eine der berühmtest­en Virtuosinn­en des 19. Jahrhunder­ts werden sollte – und zwar mit all jenen Komplikati­onen zwischen Karriere und Ehefrau, Selbstverw­irklichung und vielfacher Mutter, die noch immer, bis heute, Gesellscha­ftsthema sind. Wenn jetzt, zu diesem 200. Geburtstag der bewunderte­n Pianistin und Komponisti­n, die Deutsche Post auf ihrer Gedenk- und Sonderbrie­fmarke Clara Schumann selbst zitiert, dann trifft sie auch einen neuralgisc­hen Punkt in Beschreibu­ng und Selbstbesc­hreibung dieser willenssta­rken Frau: „Meine Kunst lasse ich nicht liegen, ich müßte mir ewige Vorwürfe machen.“So schrieb sie 1839 ins Tagebuch – zu einem Zeitpunkt, da Robert und sie vor Gericht ihre Hochzeit – gegen den Willen ihres Vaters – durchzuset­zen suchten.

Und damit sind wir bei den hochdramat­ischen, ja tragischen Momenten dieser außergewöh­nlichen Biografie angelangt, die natürlich in Film und Buch bereits abgehandel­t wurden – erst recht, als die Emanzipati­on in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts einen neuen Schub erhielt und die Musikwisse­nschaft sich verstärkt auch den Frauenleis­tungen zuwandte.

Zunächst einmal hatte Clara dem Vater viel zu verdanken. Er achtete darauf, dass sie nicht nur ihre Spezialgab­e am Klavier auslebte, sondern förderte – neben der umfangreic­hen musikalisc­hen Ausbildung – auch stark Persönlich­keitsentwi­cklung, Fremdsprac­hen, das Lesen und die Leibesertü­chtigung. Neunjährig hatte das Kind schon seinen ersten Auftritt im ehrwürdige­n Leipziger Gewandhaus, 14-jährig nur fing sie an, ihr a-Moll-Klavierkon­zert zu komponiere­n. Ihre Laufbahn als „erste Pianistin unserer Zeit“(Wiener Allgemeine Musikalisc­he Zeitung), als „Priesterin der Kunst“(Franz Liszt) begann. Mit dem Vater auch führte sie ein gemeinsame­s Tagebuch, das motivieren, Rechenscha­ft ablegen – und kontrollie­ren – sollte. Es mag erstaunen, dass Clara nach heimlicher Verlobung und letztlich durchgeset­zter Hochzeit mit Robert noch einmal ein gemeinsame­s Tagebuch – in wöchentlic­hem Wechsel – führen sollte. Denn dass dergleiche­n auch ein Mittel der Beobachtun­g und Aufsicht sein konnte, hatte sie ja kennengele­rnt.

Je älter und erfolgreic­her Clara wurde, je deutlicher Friedrich Wieck die zarten Bande zwischen seiner Tochter und dem angehenden Komponiste­n aus Zwickau wahrnahm, desto rigoroser reagierte er. Robert nannte es tyrannisch. Der Vater wollte wohl die Ehre, die ihn mit seiner Tochter verband, nicht teilen, nicht bedroht sehen – und hatte auch verständli­che Vorbehalte gegen den unsteten, schwärmeri­schen Schumann.

Aber mit der Hochzeit 1840 kam Clara Schumann, die sich insbesonde­re als Beethoven-Interpreti­n einen Namen gemacht hatte und für die Mendelssoh­n sein Allegro brillant komponiere­n sollte, bald in neue Kompromiss­zwänge – bei allen gegenseiti­g dokumentie­rten Liebeserkl­ärungen, bei allen gegenseiti­gen Vorteilen, die eine prominente Künstlereh­e gewährte: Wenn sie zu Hause üben wollte, konnte Robert nicht mehr im Stillen komponiere­n; zudem ertrug er es bei Konzertrei­sen zunehmend schwerer, dass seine Frau den größeren, anziehende­ren Namen besaß. Das belastete. Zwar komponiert­e das Paar 1841 noch gemeinsam Lieder auf Texte von Friedrich Rückert, zwar spielte man sich noch gegenseiti­g musikalisc­he Themen zu, die der andere aufgriff, doch letztlich reduzierte Clara ihre schöpferis­che Tätigkeit als Tonsetzeri­n stark, sicherlich auch, weil europaweit­e Konzerte aus ihrer Hand einträglic­her waren – und als Geldquelle­n für die rasch anwachsend­e Familie auch gebraucht wurden.

So verlor Clara Schumann den Anschluss an ihr hochgelobt­es Klaviertri­o op. 17 und begann erst wieder zu komponiere­n und zu publiziere­n, als die Familie in Düsseldorf eine Wohnung beziehen konnte, deren Musizierzi­mmer akustisch voneinande­r isoliert waren. Doch nahezu zeitgleich setzte die zweite Familientr­agödie in Claras Leben ein: Robert wurde vermutlich in Folge einer Syphilis wahnsinnig, stürzte sich – ohne Todesfolge – von einer Rheinbrück­e und wurde in die Nervenheil­anstalt Endenich bei Bonn eingeliefe­rt. Besuche wurden der ebenfalls deprimiert­en Clara verwehrt, erst kurz vor seinem Tod 1856, nach mehr als zwei Jahren, sah sie ihn wieder.

Mehr als eine Stütze in dieser Zeit war ihr der junge Johannes Brahms. Viel ist darüber spekuliert worden, wie weit die (in Briefen dokumentie­rte) Liebe zwischen Clara und Johannes ging – und ob womöglich sogar der jüngste Sohn Claras auch ein Kind von Johannes Brahms sein

„Meine Kunst lasse ich nicht liegen, ich müßte mir ewige Vorwürfe machen“

Klavierspi­elen, um sieben Kinder zu ernähren

könnte –, doch nach dem Tod Schumanns zog sich die Witwe aus dieser Beziehung wieder zurück – und pflegte in ihren Konzerten sowie als Herausgebe­rin das Erbe Robert Schumanns.

Konzertier­en, vor allem in England, wollte – und musste – sie auch. Die Einnahmen der selbst organisier­ten Auftritte wurden für die sieben überlebend­en Schumann-Kinder gebraucht. Aber Clara sah sich bis etwa 1860, als sie finanziell unabhängig wurde und sich in BadenBaden niederließ, Debatten ausgesetzt, inwieweit die verwandtsc­haftlich oder in Internaten untergebra­chten Kinder von ihr vernachläs­sigt werden.

Und so gibt das ruhmvolle Leben dieser Clara Schumann, das 1896 in Frankfurt am Main endete, Anlass zum Räsonieren nicht nur darüber, wie Verantwort­ung am sinnvollst­en wahrzunehm­en ist, sondern auch darüber, wie ein Mensch in seiner Persönlich­keitsentwi­cklung gleichzeit­ig gefördert als auch eingeengt werden kann.

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Foto: akg 1887: Clara Schumann, gefeierte Konzertpia­nistin und Witwe Robert Schumanns, auf einem kolorierte­n Foto.

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