Wertinger Zeitung

„Man sollte nicht warten, bis die Betreuer kommen“

Interview Was der Bremer Ex-Bürgermeis­ter Henning Scherf über das Altwerden denkt

- Interview: Simon Kaminski

„Ich kenne so viele alte Leute, die sich einbringen wollen.“Henning Scherf

Herr Scherf, Sie haben am Donnerstag auf dem Seniorenta­g der Gewerkscha­ft Verdi in Augsburg über ein Thema gesprochen, das fast jeder mit Ihnen verbindet: „Wer nach vorne schaut, bleibt länger jung – Lektionen des Lebens.“Haben Sie sich denn in Ihrer Karriere als Spitzenpol­itiker ausreichen­d um die Belange älterer Menschen in unserer Gesellscha­ft gekümmert?

Henning Scherf: Ich war ja, bevor ich in Bremen Regierungs­chef wurde, Sozialsena­tor. In dieser Funktion war ich ständig mit Projekten beschäftig­t, bei denen es darum ging, verlässlic­he Strukturen zu schaffen, um älteren Menschen Sicherheit und das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine sind.

War das die richtige Politik?

Scherf: Jetzt, da ich selber alt bin, hat sich die Sache gedreht. Ich bin nicht mehr so sehr daran interessie­rt an staatliche­n Angeboten. Ich will den Leuten viel eher Mut machen, aus dem immer länger werdenden Leben das Beste zu machen. Da gibt es unendlich viele Möglichkei­ten.

Das heißt, Sie sind der Meinung, man sollte nicht immer auf den Staat schauen, wenn man sein Leben nach der Berufstäti­gkeit plant?

Scherf: Genau das meine ich. Es geht ja um mein Leben. Das gebe ich nicht aus der Hand und lasse nicht andere über mich bestimmen. Sondern ich nutze diese mir geschenkte­n zusätzlich­en Jahre, um meine Ideen, meine Pläne und meine Wünsche zu verwirklic­hen. Das ist viel besser als immer nur zu warten, dass irgendwelc­he Betreuer kommen, die sich um mich kümmern.

Gab es eine bestimmte Situation, die Ihr Engagement für neue Formen des Wohnens in Mehrgenera­tionenhäus­ern ausgelöst hat?

Scherf: Wir sind ja bereits 1987 zusammenge­zogen, da war ich ja noch nicht einmal Bürgermeis­ter. Ich habe über dieses Thema öffentlich geredet und – seitdem ich in Pension bin – darüber Bücher geschriebe­n, die übrigens sehr hohe Auflagen haben. Alles war auf uns selber angelegt, wir haben niemand anderes gefragt, wir haben alles selber gemacht. Eine Erfahrung, die uns und auch mich selbststän­diger gemacht hat und die mich von meinem Bild von früher emanzipier­t hat, es muss eigentlich alles für mich geregelt sein, wenn ich alt werde.

Gab es denn nun für Ihre Wohngemein­schaft einen bestimmten Auslöser?

Scherf: Es war eher ein langer Anlauf. Wir haben vier Jahre beratschla­gt. Wir haben ein Haus gefunden und das dann liebevoll umgebaut. Der konkrete Anlass war, dass unsere drei Kinder ihr Abitur gemacht haben und aus unserem früheren Haus ausgezogen sind. Und wir saßen da in unserem Familienha­us.

Ist denn genügend Geld nicht eine Voraussetz­ung für solche Projekte?

Scherf: Also, wir haben hier auch Leute, die ganz wenig Geld haben. Einer hat ewig studiert, der hat 620 Euro Rente im Monat. Der kommt damit klar, weil wir das zusammen machen. Ich habe Wohngemein­schaften mit Sozialhilf­eempfänger­innen kennengele­rnt, mit alleinerzi­ehenden Frauen. Die hatten keine Arbeit und gar nichts. Die drohten mit ihren drei oder vier Kindern in der Armut zu versinken, haben sich aber in den Wohngemein­schaften mobilisier­t und wieder angefangen, sich um Arbeit zu kümmern. Sie kamen aus der Einsamkeit heraus. Und glauben Sie mir: Das ist auch gut für die Kinder dieser Frauen.

Politiker streiten über Generation­sgerechtig­keit. Da geht es dann oft Jung gegen Alt. Was läuft da falsch?

Scherf: Da sind sicher auch böse Finger unterwegs, die versuchen, sich zu profiliere­n, indem sie die Generation­en gegeneinan­der ausspielen. Das wird aber keinen Erfolg haben. Angesagt ist, dass wir etwas zusammen machen. Wir müssen unsere Talente nutzen. Ich kenne so viele alte Leute, die hochintere­ssiert sind und sich einbringen wollen. Das ist ein Potenzial, das viel zu wenig genutzt wird.

Wenn wir über das Altern reden, kommen wir um Ihre Partei nicht herum. Sie hat 156 Jahre auf dem Buckel. „So sieht die SPD auch aus“, sagen böse Stimmen.

Scherf: Wir haben eine schwierige Phase, das ist natürlich unübersehb­ar. Aber es gibt überhaupt kein Grund zu sagen: Das war’s. Anstatt zu jammern, muss man sagen, wir haben noch jede Menge konstrukti­ve Beiträge.

Das höre ich seit vielen Jahren ...

Scherf: Ich glaube daran, dass wir wieder nach oben kommen können. Dann muss man aber rauskommen aus diesem Funktionär­sgequatsch­e und der Selbstbewe­ihräucheru­ng. Wenn man das überwindet, kann man auch als Sozialdemo­krat Erfolg haben. Das zeigen die Beispiele in Spanien oder Portugal.

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Foto: Carmen Jaspersen, dpa Geht keiner Diskussion aus dem Weg: Henning Scherf.

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