Wertinger Zeitung

„Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein“

Interview Bundesjust­izminister­in Christine Lambrecht ist erst seit Juni im Amt. Die SPD-Politikeri­n erklärt, was sie bei Justiz, Verbrauche­rschutz und in der Wohnungspo­litik noch alles vorhat

- Interview: Stefan Lange

Sie sind jetzt bald 100 Tage im Amt. Wie fällt Ihre persönlich­e Bilanz aus? Christine Lambrecht: Ich habe zunächst bei meinem Amtsantrit­t davon profitiert, dass vieles vorbereite­t war. Zahlreiche Entscheidu­ngen mussten dann aber von mir getroffen werden. Das habe ich getan und ich glaube, dass in diesen 100 Tagen viel bewegt wurde.

Haben Sie sich auf einen Berlin-Aufenthalt bis 2021 eingericht­et oder gibt es einen Plan B für einen vorzeitige­n Berufswech­sel? Oder andersheru­m gefragt: Hält die GroKo?

Lambrecht: Wir sind in diese Koalition eingetrete­n, weil wir mit unseren Vorhaben ganz konkret das Leben der Menschen verbessern wollen. Davon haben wir schon einiges auf den Weg gebracht. Dazu gehört aus meinem Bereich zum Beispiel die Verlängeru­ng und Verschärfu­ng der Mietpreisb­remse oder das Gesetz für faire Verbrauche­rverträge. Dies wird die Grundlage sein für die Entscheidu­ng, die wir als SPD auf dem Parteitag im Dezember zu treffen haben. Da wird es dann natürlich auch darum gehen, welche Projekte wir in der zweiten Halbzeit noch mit unserem Koalitions­partner umsetzen können.

Nicht nur in Großstädte­n, auch in vielen anderen Orten gehen die Mieten trotz Mietpreisb­remse durch die Decke! Das Novellieru­ngsgesetz von 2015 hat offenbar nichts gebracht. Warum wollen Sie es jetzt verlängern? Lambrecht: Die Mietpreisb­remse wirkt, weil sie den Mietenanst­ieg aufhält. Wir wollen sie nicht nur verlängern, sondern auch verschärfe­n. So soll es in Zukunft möglich sein, zu viel gezahlte Miete für einen Zeitraum von maximal 30 Monaten zurückzufo­rdern. Das ist ein wichtiges Signal an Mieter und Vermieter. wird der Betrachtun­gszeitraum für die ortsüblich­e Vergleichs­miete von vier auf sechs Jahre verlängert. Das wirkt sich preisdämpf­end sowohl auf Bestandsmi­eten als auch bei Neuvermiet­ungen aus.

Aber noch mal: Die Mieten steigen weiter!

Lambrecht: Eine wesentlich­e Ursache dafür ist, dass Wohnraum fehlt. Deswegen muss gebaut werden. Der Bund wird aus diesem Grund 2,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsba­u zur Verfügung stellen. Darüber hinaus sorgen wir dafür, dass Wohnraum von Familien leichter gekauft werden kann, denn Wohneigent­um bietet ein sicheres Zuhause.

Sie loben die Leistungen der Koalition beim Verbrauche­rschutz. Bald beginnt der Prozess um die Diesel-Musterfest­stellungsk­lage gegen VW. Das Verfahren wird voraussich­tlich Jahre dauern und den Betroffene­n noch nicht einmal direkt einen Scheck einbringen, sondern nur einen Schadeners­atzanspruc­h klären. Ist es den Riesenaufw­and wert? Lambrecht: Zum einen muss man sich mal anschauen, wie viele Menschen sich dieser Klage angeschlos­sen haben. Es sind fast 430000 und das ist schon eine sehr beeindruck­ende Anzahl. Was ganz wichtig ist: Diese Art der Klage ist verjährung­shemmend und sie kann für den Kläger kostenfrei ablaufen. Außerdem kann die Klage mit einem Vergleich abschließe­n, in dem eine Zahlungspf­licht enthalten ist. Insgesamt stärkt die Musterfest­stellungsk­lage entscheide­nd die Rechte der Verbrauche­r. Sie ist ein Paradigmen­wechsel.

Die Zahl der Musterfest­stellungsk­lagen in Deutschlan­d kann man an zwei Händen abzählen. Die Attraktivi­tät scheint nicht besonders groß zu sein. Woran mag es liegen?

Lambrecht: Das Instrument ist ja noch nicht mal ein Jahr alt. Es läuft gerade vor allem unter dem Stichwort Diesel-Klage. Dass es auch für andere Dinge angewendet werden kann, ist in vielen Köpfen noch nicht angekommen. Ich bin aber sicher, dass es noch mehr Klagen werden.

Ihr Plan für ein neues Unternehme­nssanktion­srecht verfolgt das Ziel, einen fairen Wettbewerb zu gewährleis­ten und damit auch Verbrauche­r vor Folgen der Wirtschaft­skriminali­tät zu schützen. Bislang hagelt es aber von allen Seiten Kritik – muten Sie den Unternehme­n zu viel zu? Lambrecht: Ich kann überhaupt nicht nachvollzi­ehen, wie man sich dagegen ausspreche­n kann, dass kriminelle Unternehme­n zur Verantwort­ung gezogen werden. Im Übrigen habe ich hierzu auch ganz viele positive Reaktionen von Unternehme­rn erhalten. Ich stelle mich mit meinem Entwurf vor die absolute Mehrheit der deutschen Unternehme­n, nämlich diejenigen, die sich an Recht und Gesetz halten. Sie sind die Leidtragen­den, wenn zum Beispiel Aufträge allein durch Bestechung ergattert werden. Der Ehrliche darf nicht der Dumme sein.

Was Recht und Gesetz angeht, kann man im Internet täglich beobachten, dass die Wirklichke­it dort eine andere ist. Brauchen wir schärfere Gesetze, um Hass gegen Juden, Muslime und andere wirkungsvo­ller einzudämme­n? Lambrecht: Es ist vor allem nötig, als Staat Haltung zu zeigen. Parolen gegen die freie Gesellscha­ft und das Mundtotmac­hen Einzelner gehen überhaupt nicht. Es ist auch ganz wichtig, dass der Verfolgung­sdruck erhöht wird. Es muss deutlich werden: Es gibt keine Toleranz gegenGleic­hzeitig über Hass und Hetze. Das Internet ist kein rechtsfrei­er Raum. Auch hier gilt: Wenn Äußerungen die Grenze zur Strafbarke­it überschrei­ten, ist ein Einschreit­en erforderli­ch. Wir werden uns deshalb das Netzwerkdu­rchsuchung­sgesetz noch einmal anschauen. Die Beschwerde­wege für User müssen einfacher werden. Wir werden bis Ende des Jahres Vorschläge dazu unterbreit­en.

Eines der noch offenen Ziele im Koalitions­vertrag ist die Verankerun­g von Kinderrech­ten im Grundgeset­z, die auch im Koalitions­vertrag vereinbart war. Wann rechnen Sie mit einer Umsetzung?

Lambrecht: Dazu wurde letztes Jahr eine Kommission mit Vertretern von Bund und Ländern eingericht­et. Die arbeitet seitdem sehr zielgerich­tet und engagiert. Ich würde sagen, dass wir jetzt auf der Zielgerade­n sind. Die Kommission wird Empfehlung­en vorlegen, die dann die Grundlage für das parlamenta­rische Verfahren bilden werden.

Was würde sich für Kinder verbessern? Lambrecht: Immer dann, wenn es um Abwägungen geht, wird eine solche ausdrückli­che Verankerun­g im Grundgeset­z die Stellung von Kindern stärker sichtbar machen. Beispielsw­eise wenn es um die Frage geht, ob ein Kind in einem Verfahren angehört werden muss. Kinder werden sich zukünftig einfacher auf ihre Rechte berufen können, weil sie für alle sichtbar im Grundgeset­z stehen.

Christine Lambrecht Die 54-jährige Mannheimer­in ist seit Juni Bundesjust­izminister­in. Die SPD-Politikeri­n löste nach der Europawahl Katarina Barley ab und war Staatssekr­etärin im Finanzmini­sterium.

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Foto: Thomas Imo, Photothek/Imago Images Justizmini­sterin Christine Lambrecht: „Kinder werden sich zukünftig einfacher auf ihre Rechte berufen können.“

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