Lampenfieber? Geiger Frank Peter Zimmermann über seinen Kampf gegen die Nervosität
Interview Frank Peter Zimmermann ist einer der weltbesten Geiger. Weil sein Anspruch an sich selbst so hochgesteckt ist, leidet er unter extremem Lampenfieber. Anfang Oktober tritt er in Bad Wörishofen auf
Steht Ihnen denn nun die von Ihnen heiß geliebte Stradivari-Geige „Lady Inchiquin“eigentlich auf Dauer zur Verfügung – nachdem Sie das Instrument 2015 hatten zurückgeben müssen, das Land Nordrhein-Westfalen es aber erwarb und zurück in Ihre Hände gab? Frank Peter Zimmermann: Es gibt jetzt erst einmal bis zum Jahr 2027 einen Vertrag, aber ich bin mir sicher, dass mir Nordrhein-Westfalen die „Lady Inchiquin“länger leihen wird. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist auch, dass Nordrhein-Westfalen die Geige im Grunde zweimal bezahlt hat: 2001 hatte sie die Westdeutsche Landesbank ja schon aus Landesmitteln gekauft.
Können Sie denn mit der „Lady Inchiquin“problemlos reisen? Gibt es kein Elfenbein an ihr, das in diverse Länder nicht eingeführt werden darf? Zimmermann: An der Geige gibt es kein Elfenbein. Die Wirbel sind aus Buchsbaum, eigentlich vergleichsweise billig im Verhältnis zum geschützten Edelholz. Aber ich traue mich nicht, meine guten Bögen mit Elfenbein in die USA mitzunehmen; im Extremfall würden sie dort sogar zerstört werden. Das letzte Mal bin ich mit einem „Prügel“rübergeflogen, und etliche meiner Kollegen von den Berliner Philharmonikern nehmen Karbon-Bögen.
Werden Sie die „Lady Inchiquin“auch am 2. Oktober beim „Festival der Nationen“in Bad Wörishofen spielen? Zimmermann: Auf jeden Fall. Ich spiele immer auf ihr. Da gibt es Töne, die einfach besser klingen und mehr inspirieren als von anderen Instrumenten. Deshalb nehme ich sie auch zum Einstudieren von neuen Stücken für mein Repertoire und auch zum Einstudieren zeitgenössischer Stücke.
Sie setzen sich sehr für den Komponisten Bohuslav Martinu ein und spielen in Bad Wörishofen dessen zweites Violinkonzert. Was ist das Besondere daran? Warum sollten wir es kennen beziehungsweise kennenlernen? Zimmermann: Mit Martinu ist es ähnlich wie mit Hindemith, er ist ein vollkommen unterschätzter Komponist des 20. Jahrhunderts. Sein zweites Violinkonzert ist sehr facettenreich – wie die Musik Martinus insgesamt. In all seinen Werken ist es so, dass man glaubt, Passagen wiederzuerkennen, die man von seinen Kollegen her kennt, etwa von Bartók, Strawinsky, Ravel, Debussy, der Pariser „Groupe des Six“und ganz besonders Dvorˇák. Dazu kommen noch Einflüsse der tschechischen Volksmusik und des Jazz. Es ist einfach immer wieder beglückend, Martinu zu spielen.
Wie kam es denn, dass Sie beim 25-jährigen Jubiläum des Festivals der Nationen dabei sind?
Zimmermann: Die Bamberger Symphoniker haben mich gefragt, ob ich an eine Tournee mit ihnen noch zwei Tage dranhängen könne. Das machen wir nun, und nach Bad Wörishofen wird dann das zweite Violinkonzert Martinus aufgenommen. In den letzten Jahren habe ich ja schon jeweils die zwei Violinkonzerte von Schostakowitsch, Bartók, Prokofjew, Karol Szymanowski eingespielt.
Eine semi-provokante Frage: Gibt es etwas, um das Sie andere Geiger beneiden?
Zimmermann: Was für mich immer schwieriger wird, ist das Lampenfieber. Ich beneide die Geiger, die unbelastet einfach aufs Podium gehen und spielen. Sogar meine Frau hat schon unter meinen Lampenfieberattacken leiden müssen – Tage vor einem Konzert. Ähnlich erging es übrigens auch David Oistrach. Musik bedeutet mir: Leben und Tod für jede Note.
Was meinen Sie, worin dieses Lampenfieber begründet ist? Zimmermann: Man will halt wirklich immer das Beste geben. Und ich hatte meine Ziele immer sehr hochgesteckt. Milstein, Grumiaux und David Oistrach sind meine Leitbilder. Es geht bei mir so weit, dass ich sogar zu viel übe. Ich will immer alles auf den Punkt bringen und alles kontrollieren. Aber es geht nicht so weit, dass ich noch anfange zu dirigieren. Da gilt: Schuster, bleib’ bei deinem Leisten. Ich habe das nicht gelernt.
Was ist das für ein Gefühl, wenn Sie nach einem Konzert wissen, das war jetzt nicht Ihr bester Abend, sondern ein zweit- oder drittbester?
Frank Peter Zimmermann mit seiner Stradivari.
Zimmermann: Ich weiß nicht, ob es jemals einen besten Abend gibt. Es gibt auch keinen besten Geiger, nur zweit- und drittbeste. Wenn es nicht so lief, wie es sein sollte, bin ich niedergeschlagen. Ich gehe ins Hotel, lese was, rufe meine Frau an und meine Kinder. Aber am nächsten Morgen geht es doch immer wieder weiter. Es gibt ja andererseits auch wirklich schöne Momente. Das Beethoven-Violinkonzert habe ich jetzt wohl um die 250 Mal gespielt; aber zuletzt mit dem Concertgebouw Orchestra Amsterdam unter Daniele Gatti gelang es mehrmals sehr beglückend.
Unterrichten Sie? Haben Sie Schüler? Zimmermann: Nein, nicht im eigentlichen Sinn. Ich habe meinen älteren Sohn unterrichtet, und ich höre mir immer mal jemanden an, wenn er oder sie mir etwas vorspielen will. Und ich gebe an zwei Tagen im Jahr eine Meisterklasse an nordrheinwestfälischen Hochschulen – als Gegenleistung für die mir geliehene „Lady Inchiquin“.
Was begeistert Sie im Leben – neben der Musik?
Zimmermann: Ich bin ein begeisterter Kinogänger, ein- bis zweimal gehe ich mit meiner Frau monatlich ins Kino. Früher war es Ingmar Bergman, den ich außerordentlich schätzte, auch Buñuel, zuletzt habe ich Tarkowski entdeckt. Und auf Konzertreisen gehe ich in die Museen. Die Zeit zwischen 1910 und 1920 fasziniert mich besonders, dieser Weg in die Abstraktion. Außerdem sammle ich Brief-Autografe großer Komponisten wie Dvorˇák, Tschaikowsky, Debussy – und neben dem Lesen fummle ich auch im Garten ein bisschen rum.
Was lesen Sie denn gerade? Zimmermann: Die Bach-Biografie des Dirigenten John Eliot Gardiner. Und in belletristischer Hinsicht zuletzt viel von Heinrich Böll, etwa die „Ansichten eines Clowns“, „Billard um halb zehn“, „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“.
Sie haben Ihre fünf Echo-Preis-Trophäen unter persönlicher Aufsicht vernichten lassen. Wie muss man sich das vorstellen?
Zimmermann: Ich war nie bei einer Verleihung. Aber ich sah einmal abends im Hotel fünf Minuten einer TV-Übertragung von solch einer Verleihung. Ich war erschüttert – und mir wurde bei der Show klar: Da passe ich nicht hinein. Und diese Trophäen waren ja auch so sperrig. Also brachte ich sie in die Müllanlage in Köln-Gremberghoven und sah zu, wie sie geschreddert wurden. Das war übrigens vor dem EchoPreis-Skandal 2018.
Es reizt Sie schon länger, die sechs Solo-Sonaten von Bach aufzunehmen, aber schon länger schrecken Sie auch davor zurück. Warum? Zimmermann: Ich fühle mich noch nicht reif dafür. Sie sind der Mount Everest. Und man will ja auch etwas Neues und Gültiges dazu sagen. Ich weiß nicht, ob ich das hinbringen werde. Frank Peter Zimmermann, 1965 in Duisburg geboren, gehört als Geiger zur Weltelite. Er nahm nahezu alle großen Violinkonzerte von Johann Sebastian Bach bis György Ligeti auf und wurde dafür weltweit mit bedeutenden Preisen bedacht. Zimmermann, der bereits als Fünfjähriger das Geigenspiel erlernt hatte und als Zehnjähriger sein erstes Konzert mit Orchester gab, spielt auf einer Antonio Stradivari aus dem Jahr 1711, die ihm zunächst die Westdeutsche Landesbank lieh, heute aber von der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen zur Verfügung gestellt wird. Zimmermann lebt in Köln. (AZ)