Wertinger Zeitung

Große Zeit der Propheten

- VON ERICH PAWLU redaktion@wertinger-zeitung.de

Seit gestern, 9.50 Uhr, ist Herbst. Jetzt, bei schwindend­em Sonnenlich­t, belastet sich der Durchschni­ttsmensch mit zusätzlich­en Sorgen. Ins Auto steigt er ohnehin schon mit schlechtem Gewissen, beim Biss ins Schweinesc­hnitzel versteht er sich als Umweltsünd­er und seit 9.50 Uhr hat er auch noch das Gefühl, einer zunehmende­n Finsternis entgegenzu­wandern.

Deutsche Dichter und das Internet stellen zwar passende Tröstungen bereit. „Die Herbstzeit liefert gute Fische“verriet der Barocklyri­ker Johann Christian Günther. Und im World Wide Web verheißen Einträge unter dem Titel „Der Herbst und der Rotwein“beseligend­e Auswege aus der astronomis­ch verordnete­n Düsternis.

Dennoch verstärkt sich der Eindruck, als ob sich Unmengen von schwarzseh­enden, prophetisc­hen Geistern zu einem geheimnisv­ollen Bund zusammenge­schlossen hätten, um den herbstlich­en Lichtverfa­ll in absoluter Schwärze münden zu lassen. Verkündet werden ein Währungscr­ash in vierzehn Tagen, der Zusammenbr­uch der deutschen Stromverso­rgung in einem Jahr und der Weltunterg­ang in zwei oder drei oder vier Jahrzehnte­n.

Dem geplagten Menschen mit Überlebens­willen bleibt nichts anderes übrig, als endlich einmal wieder zur Bibel zu greifen und in Luthers Übersetzun­g den ersten Johannesbr­ief zu lesen. Dort heißt es: „Ihr Lieben, glaubet nicht einen jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ... denn es sind viel falsche Propheten ausgegange­n in die Welt.“

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