Große Zeit der Propheten
Seit gestern, 9.50 Uhr, ist Herbst. Jetzt, bei schwindendem Sonnenlicht, belastet sich der Durchschnittsmensch mit zusätzlichen Sorgen. Ins Auto steigt er ohnehin schon mit schlechtem Gewissen, beim Biss ins Schweineschnitzel versteht er sich als Umweltsünder und seit 9.50 Uhr hat er auch noch das Gefühl, einer zunehmenden Finsternis entgegenzuwandern.
Deutsche Dichter und das Internet stellen zwar passende Tröstungen bereit. „Die Herbstzeit liefert gute Fische“verriet der Barocklyriker Johann Christian Günther. Und im World Wide Web verheißen Einträge unter dem Titel „Der Herbst und der Rotwein“beseligende Auswege aus der astronomisch verordneten Düsternis.
Dennoch verstärkt sich der Eindruck, als ob sich Unmengen von schwarzsehenden, prophetischen Geistern zu einem geheimnisvollen Bund zusammengeschlossen hätten, um den herbstlichen Lichtverfall in absoluter Schwärze münden zu lassen. Verkündet werden ein Währungscrash in vierzehn Tagen, der Zusammenbruch der deutschen Stromversorgung in einem Jahr und der Weltuntergang in zwei oder drei oder vier Jahrzehnten.
Dem geplagten Menschen mit Überlebenswillen bleibt nichts anderes übrig, als endlich einmal wieder zur Bibel zu greifen und in Luthers Übersetzung den ersten Johannesbrief zu lesen. Dort heißt es: „Ihr Lieben, glaubet nicht einen jeglichen Geist, sondern prüfet die Geister, ... denn es sind viel falsche Propheten ausgegangen in die Welt.“