Wo kommt unser Öl her? Zu Besuch im Hafen von Triest
Umwelt Tag für Tag, Tonne für Tonne fließt Rohöl von der Adria bis Lenting. Der fossile Brennstoff ist nach wie vor der wichtigste Energieträger für Bayern. Dabei fordern mehr und mehr Menschen ein Umdenken. Wie passt das zusammen? Ein Besuch im Hafen von
Triest Es riecht nach Heizungskeller. Da kann die Bora noch so stark von Kroatien über die tiefblaue Adria bis in den Hafen von Triest blasen. Denn trotz des böigen Fallwindes bleibt der Geruch des Öls in der Nase stecken. Was daran liegen mag, dass hier reichlich davon ankommt. An den Löschbrücken des Marine Terminals werden gerade zwei gewaltige Tanker aus Libyen und Nigeria abgepumpt. Das Öl fließt über dicke Transferrohre in das nahe Lager von San Dorligo della Valle. An Bord der Front Sirius und der Aias – rund 146 000 Tonnen.
In diesen Tagen, in denen Greta Thunberg mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnet wird, in denen die 16-jährige Schwedin eine zornige Rede hält, blickt man aufmerksamer denn je zum UN-Klimagipfel nach New York. Weil der Planet in einem immer bedenklicheren Zustand ist. Und es seit langem schon Woche für Woche weltweit heißt: Nach der Fridays-for-Future-Demo ist vor der Fridays-forFuture-Demo. Dass man jetzt sehr schnell sehr viel gegen den Klimawandel tun muss, ist inzwischen ein politischer Gassenhauer. Nimmt man den besorgniserregenden Bericht des Weltklimarats ernst, werden die Menschen mehr denn je ihre Gewohnheiten, ihren Konsum, ihre Ernährung, ihr Reisen – kurz ihr Leben – überdenken müssen. Egal ob es fünf vor oder längstens schon Viertel nach zwölf ist, alle einschlägigen Studien sagen: Es muss sich schnell etwas ändern. Das, allerdings, sagt sich leicht, ist aber sehr schwer.
Wer besser verstehen will, was zum Beispiel Energiesparen heißen wird, der bekommt in der Bucht von Muggia einen guten Eindruck von den Dimensionen, um die es dabei tatsächlich geht. Bayern, die bayerische Wirtschaft, braucht Öl. Nach wie vor. Massenhaft. Und um zu begreifen, was es heißt, daran zu sparen, weltweit, in jedem Haushalt, dem hilft ein Blick auf die fetten Tanker, die hier liegen. Wie sie am zweitgrößten Ölterminal des Mittelmeers die Hauptschlagader der bayerischen Wirtschaft abfüllen. Tag für Tag, Tonne für Tonne. Ziemlich volles Rohr.
In San Dorligo della Valle, wo das Öl zwischengelagert wird, hat die TAL ihren italienischen Sitz. Die deutsch-österreichisch-italienische Gesellschaft betreibt die transalpine Ölleitung (TAL). Aus großbäuchigen Rundtanks wird das Rohöl über und durch die Alpen gepumpt. Von Italien bis ins bayerische Zwischenlager dauert seine Reise im Rohr dreieinhalb Tage – über den Felbertauern vorbei an Kitzbühel über Burghausen bis nach Lenting bei Ingolstadt, direkt an der A9. Auch dort ist das Lager an den großbäuchigen Rundtanks erkennbar, die denen von San Dorligo ähneln. Zwischendrin gibt es auf der Strecke immer wieder Pumpstationen. Denn am höchsten Punkt geht die Fernleitung über 1572 Meter, auch wenn sie größtenteils unterirdisch verläuft. Die Gesamtlänge der Pipeline: 753 Kilometer. Überaus bedeutsam für die Industriestandorte. Denn was Bayern und Baden-Württemberg an Öl brauchen, kommt zu 100 Prozent über die TAL aus dem Hafen von Triest.
Den gibt es inzwischen seit 300 Jahren, was letztens gebührlich begossen wurde. Wer hier auf ein Schiff steigt und vom Wasser zum Hafenbecken blickt, sieht einen der großen Umschlagplätze der europäischen Wirtschaft, ein Tor nach Süden, sieht die großen leuchtend gelben Kräne, die gebrauchten Container, die von Diesel angetriebenen Lastwagen, eine Riesenflotte des Transits. Die Tonnage, die in Triest umgeschlagen wird, macht den Hazur Nummer elf in Europa. Ein paar Schifffahrtminuten Richtung Osten taucht dann die Brücken der TAL auf. Die ist der wichtigste Partner des Hafens. Seit 1967 werden hier die Tanker aus aller Welt empfangen und gelöscht.
Am 9. August hat Nummer 20 000 bei der TAL angelegt. 20 000 Schiffe, die man „sicher und professionell“gelöscht habe, wie Alessio Lilli, General Manager der TALGruppe, betont. Lilli steht in der Hauptverwaltung in San Dorligo und hat gerade die Bürgermeister der italienischen, deutschen und österreichischen Gemeinden begrüßt, die direkt mit der Pipeline zu tun haben.
Lilli ist ein weltgewandter Italiener, der mehrere Sprachen spricht. Er kann ziemlich anschaulich erklären, wie viel Öl bereits nach Norden geflossen ist: Die Rava, das 20 000. Schiff, hatte 80 000 Tonnen Rohöl dabei. Für sich schon ganz ordentlich, aber nur ein Bruchteil dessen, was in den vergangenen fünf Jahrzehnten hier ankam und weitergepumpt wurde – Klimawandel hin oder her. 2017 wurde die Rekordmenge von 42,4 Millionen Tonnen Rohöl transportiert. 2018 waren es immerhin 41,6 Millionen Tonnen. Auch in diesem Jahr werden es mehr als 40 Millionen, wie Lilli erklärt.
Insgesamt hat das Unternehmen, für das er verantwortlich zeichnet, in 52 Jahren 1,5 Milliarden Tonnen Rohöl durch die Rohre nach Norden gejagt. Damit könnte man den Verbrauch von ganz Italien für 25 Jahre decken. Hätte man das alles mit Lastwagen über den Brenner kutschieren müssen, die Klimabilanz Europas wäre noch schlechter, als sie ohnehin schon ist.
Aber wie lange braucht es solche Mengen noch? Fragt man bei der frisch ergrünten Bayerischen Staatsregierung an, teilt das Wirtschaftsministerium mit, dass Öl „derzeit noch der mengenmäßig bedeutendste Energieträger in Bayern“sei. Insbesondere im Verkehrsbereich dominieren Benzin, Diesel und Kerosin mit einem Anteil von über 90 Prozent. Bei Gebäuden und in der Industrie habe Erdgas heute zwar einen größeren Anteil als Heizöl. Nicht vergessen werden dürfe allerdings, dass „Mineralölprodukte auch ein wesentlicher Rohstoff für die chemische Industrie sind“. Das Ziel sei, „so viel Energie wie möglich in Bayern zu gewinnen“und fossile Energien wie Öl „zunehmend“durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Aktuell, sagt eine Ministeriumssprecherin, könne aber „nicht abgeschätzt werden“, wann und in welchem Maße das der Fall sein werde.
Fragt man TAL-Chef Lilli, wie er die Zukunft seiner Branche sieht, verweist er auf den Anfang der 1970er Jahre. Damals schon hieß es, um die Jahrtausendwende herum werde das Ölgeschäft vorbei sein. „Heute aber gibt es viel mehr Rohöl als damals.“Der Marktanteil werde niedriger werden, ist Lilli überzeugt. Aber: „Die Ölwirtschaft bleibt.“Außerdem, fügt er hinzu: „Alle Statistiken sagen, dass bis 2050 Öl bei weitem noch die größte Energiequelle weltweit sein wird.“
Die TAL arbeite ohnehin an ihrer Kapazitätsgrenze. Aber es wäre auch „kein Problem“, 45 Millionen Tonnen pro Jahr über die Alpen zu bringen. Ob er eine besondere Verantwortung der Ölindustrie in den Zeiten des Klimawandels sieht? Lilli, freundlich wie stets, antwortet: „Wir alle müssen unsere Verantwortung wahrnehmen. Wir alle müssen etwas tun. Auf allen Ebenen müssen wir uns klar werden, was wir für die Zukunft unserer Kinder tun müssen. Und dann konsequent sein.“
Bis alle Staaten auf diesem Planeten eine konsequente Haltung haben, diese abstimmen und auch politisch durchsetzen können, werden wohl noch viele Tanker im Hafen von Triest ankommen. Oder?
Jörg Feddern von Greenpeace hofft das nicht. Der Diplom-Biologe ist bei der Umweltschutzorganisation seit 2000 für das Thema Öl zuständig. Er sagt: „Wenn wir das verbindliche Pariser Abkommen mit seinen Klimazielen ernst nehmen wollen, kann die Konsequenz nur sein, dass wir schnell aussteigen müssen.“Er verweist auf den Weltklimarat, der am Mittwoch eindringlich vor steigendem Meeresspiegel und schmelzenden Gletschern gewarnt hat. Feddern sagt: „Das zeigt doch erneut: Der Meeresspiegel steigt noch schneller als gedacht.“Für die Ölindustrie bedeutet das aus seiner Sicht in der Konsequenz: „Die Erdölressourcen, die derzeit noch nicht erschlossen sind, müssen in der Erde bleiben.“Das derzeit noch vorhandene Ölbudget müsse aufgeteilt werden. Vor allem aber: „Die Regierungen müssen ein Datum fixieren, wann mit der Förderung aufgehört wird.“
Im Gegensatz zu Lilli glaubt Feddern nicht an die Zukunft des Öls: „Ich bezweifele massiv, dass Öl 2050 die Rolle spielen wird, die sich die Erdölindustrie erträumt.“Und für die Verbraucher bedeute das: „Wir müssen uns vom Verbrennungsmotor verabschieden. Das Thema ist durch. Wir müssen den Individualverkehr reduzieren und den öffentlichen Nahverkehr endlich ausbauen.“Eine Greenpeacefen
1,5 Milliarden Tonnen Öl in 52 Jahren über die Alpen
20 000 Öltanker wurden hier schon leer gepumpt
Studie zeige, dass man spätestens ab 2025 Autos mit Verbrennungsmotoren nicht mehr neu zulassen dürfe. Und wie soll das wirtschaftlich gehen? Feddern sagt: „In der Energiewende liegen ja auch Chancen. Das fossile Zeitalter wird abgelöst vom Zeitalter von den erneuerbaren Energien.“
In den Anfängen des bayerischen Ölzeitalters, als die TAL in den 1960ern die Pumpen anwarf, gab es einen regelrechten Ölrausch. Und der Bürgermeister von Lenting wurde seinerzeit von seinen Kollegen gerne Ölscheich genannt. Mit dem schwarzen Gold schwappte auch Geld in die Region. In und um Ingolstadt entstanden Raffinerien. Der Pipelinebau begann 1964. 1000 Tage später war man fertig. Gesamtkosten: 192 Millionen US-Dollar, finanziert von einem Konsortium aus 83 Banken und Aktionären. Nach Angaben der TAL war das Megaprojekt eine der „größten privaten Investitionen der damaligen Zeit“.
Zu den Gesellschaftern der TAL gehören heute zehn Ölkonzerne wie Shell, Total, BP oder Exxon Mobil. Sie sind zugleich auch die Kunden. Weshalb die TAL quasi nicht gewinnorientiert, sondern kostendeckend arbeitet. Zugleich investiert man Millionen in die Infrastruktur. Das Pipeline-System versorgt acht Raffinerien. Die bayerischen sind in Burghausen, Vohburg, Ingolstadt und Neustadt an der Donau. Dort wird verarbeitet, was in Triest ankam.
Im Hafen sind die Front Sirius und die Aias inzwischen wieder ein paar Tonnen leichter. Bald werden sie ablegen, wiederkommen, mehr Energie für Bayern ranschiffen. Triest wird auch die Stadt der Winde genannt. Die Bora wird weiter pfeifen. Und an den Brücken der TAL wird sich Ölgeruch daruntermischen. Nachhaltig.