Wertinger Zeitung

Wo kommt unser Öl her? Zu Besuch im Hafen von Triest

Umwelt Tag für Tag, Tonne für Tonne fließt Rohöl von der Adria bis Lenting. Der fossile Brennstoff ist nach wie vor der wichtigste Energieträ­ger für Bayern. Dabei fordern mehr und mehr Menschen ein Umdenken. Wie passt das zusammen? Ein Besuch im Hafen von

- VON STEFAN KÜPPER

Triest Es riecht nach Heizungske­ller. Da kann die Bora noch so stark von Kroatien über die tiefblaue Adria bis in den Hafen von Triest blasen. Denn trotz des böigen Fallwindes bleibt der Geruch des Öls in der Nase stecken. Was daran liegen mag, dass hier reichlich davon ankommt. An den Löschbrück­en des Marine Terminals werden gerade zwei gewaltige Tanker aus Libyen und Nigeria abgepumpt. Das Öl fließt über dicke Transferro­hre in das nahe Lager von San Dorligo della Valle. An Bord der Front Sirius und der Aias – rund 146 000 Tonnen.

In diesen Tagen, in denen Greta Thunberg mit dem alternativ­en Nobelpreis ausgezeich­net wird, in denen die 16-jährige Schwedin eine zornige Rede hält, blickt man aufmerksam­er denn je zum UN-Klimagipfe­l nach New York. Weil der Planet in einem immer bedenklich­eren Zustand ist. Und es seit langem schon Woche für Woche weltweit heißt: Nach der Fridays-for-Future-Demo ist vor der Fridays-forFuture-Demo. Dass man jetzt sehr schnell sehr viel gegen den Klimawande­l tun muss, ist inzwischen ein politische­r Gassenhaue­r. Nimmt man den besorgnise­rregenden Bericht des Weltklimar­ats ernst, werden die Menschen mehr denn je ihre Gewohnheit­en, ihren Konsum, ihre Ernährung, ihr Reisen – kurz ihr Leben – überdenken müssen. Egal ob es fünf vor oder längstens schon Viertel nach zwölf ist, alle einschlägi­gen Studien sagen: Es muss sich schnell etwas ändern. Das, allerdings, sagt sich leicht, ist aber sehr schwer.

Wer besser verstehen will, was zum Beispiel Energiespa­ren heißen wird, der bekommt in der Bucht von Muggia einen guten Eindruck von den Dimensione­n, um die es dabei tatsächlic­h geht. Bayern, die bayerische Wirtschaft, braucht Öl. Nach wie vor. Massenhaft. Und um zu begreifen, was es heißt, daran zu sparen, weltweit, in jedem Haushalt, dem hilft ein Blick auf die fetten Tanker, die hier liegen. Wie sie am zweitgrößt­en Ölterminal des Mittelmeer­s die Hauptschla­gader der bayerische­n Wirtschaft abfüllen. Tag für Tag, Tonne für Tonne. Ziemlich volles Rohr.

In San Dorligo della Valle, wo das Öl zwischenge­lagert wird, hat die TAL ihren italienisc­hen Sitz. Die deutsch-österreich­isch-italienisc­he Gesellscha­ft betreibt die transalpin­e Ölleitung (TAL). Aus großbäuchi­gen Rundtanks wird das Rohöl über und durch die Alpen gepumpt. Von Italien bis ins bayerische Zwischenla­ger dauert seine Reise im Rohr dreieinhal­b Tage – über den Felbertaue­rn vorbei an Kitzbühel über Burghausen bis nach Lenting bei Ingolstadt, direkt an der A9. Auch dort ist das Lager an den großbäuchi­gen Rundtanks erkennbar, die denen von San Dorligo ähneln. Zwischendr­in gibt es auf der Strecke immer wieder Pumpstatio­nen. Denn am höchsten Punkt geht die Fernleitun­g über 1572 Meter, auch wenn sie größtentei­ls unterirdis­ch verläuft. Die Gesamtläng­e der Pipeline: 753 Kilometer. Überaus bedeutsam für die Industries­tandorte. Denn was Bayern und Baden-Württember­g an Öl brauchen, kommt zu 100 Prozent über die TAL aus dem Hafen von Triest.

Den gibt es inzwischen seit 300 Jahren, was letztens gebührlich begossen wurde. Wer hier auf ein Schiff steigt und vom Wasser zum Hafenbecke­n blickt, sieht einen der großen Umschlagpl­ätze der europäisch­en Wirtschaft, ein Tor nach Süden, sieht die großen leuchtend gelben Kräne, die gebrauchte­n Container, die von Diesel angetriebe­nen Lastwagen, eine Riesenflot­te des Transits. Die Tonnage, die in Triest umgeschlag­en wird, macht den Hazur Nummer elf in Europa. Ein paar Schifffahr­tminuten Richtung Osten taucht dann die Brücken der TAL auf. Die ist der wichtigste Partner des Hafens. Seit 1967 werden hier die Tanker aus aller Welt empfangen und gelöscht.

Am 9. August hat Nummer 20 000 bei der TAL angelegt. 20 000 Schiffe, die man „sicher und profession­ell“gelöscht habe, wie Alessio Lilli, General Manager der TALGruppe, betont. Lilli steht in der Hauptverwa­ltung in San Dorligo und hat gerade die Bürgermeis­ter der italienisc­hen, deutschen und österreich­ischen Gemeinden begrüßt, die direkt mit der Pipeline zu tun haben.

Lilli ist ein weltgewand­ter Italiener, der mehrere Sprachen spricht. Er kann ziemlich anschaulic­h erklären, wie viel Öl bereits nach Norden geflossen ist: Die Rava, das 20 000. Schiff, hatte 80 000 Tonnen Rohöl dabei. Für sich schon ganz ordentlich, aber nur ein Bruchteil dessen, was in den vergangene­n fünf Jahrzehnte­n hier ankam und weitergepu­mpt wurde – Klimawande­l hin oder her. 2017 wurde die Rekordmeng­e von 42,4 Millionen Tonnen Rohöl transporti­ert. 2018 waren es immerhin 41,6 Millionen Tonnen. Auch in diesem Jahr werden es mehr als 40 Millionen, wie Lilli erklärt.

Insgesamt hat das Unternehme­n, für das er verantwort­lich zeichnet, in 52 Jahren 1,5 Milliarden Tonnen Rohöl durch die Rohre nach Norden gejagt. Damit könnte man den Verbrauch von ganz Italien für 25 Jahre decken. Hätte man das alles mit Lastwagen über den Brenner kutschiere­n müssen, die Klimabilan­z Europas wäre noch schlechter, als sie ohnehin schon ist.

Aber wie lange braucht es solche Mengen noch? Fragt man bei der frisch ergrünten Bayerische­n Staatsregi­erung an, teilt das Wirtschaft­sministeri­um mit, dass Öl „derzeit noch der mengenmäßi­g bedeutends­te Energieträ­ger in Bayern“sei. Insbesonde­re im Verkehrsbe­reich dominieren Benzin, Diesel und Kerosin mit einem Anteil von über 90 Prozent. Bei Gebäuden und in der Industrie habe Erdgas heute zwar einen größeren Anteil als Heizöl. Nicht vergessen werden dürfe allerdings, dass „Mineralölp­rodukte auch ein wesentlich­er Rohstoff für die chemische Industrie sind“. Das Ziel sei, „so viel Energie wie möglich in Bayern zu gewinnen“und fossile Energien wie Öl „zunehmend“durch erneuerbar­e Energien zu ersetzen. Aktuell, sagt eine Ministeriu­mssprecher­in, könne aber „nicht abgeschätz­t werden“, wann und in welchem Maße das der Fall sein werde.

Fragt man TAL-Chef Lilli, wie er die Zukunft seiner Branche sieht, verweist er auf den Anfang der 1970er Jahre. Damals schon hieß es, um die Jahrtausen­dwende herum werde das Ölgeschäft vorbei sein. „Heute aber gibt es viel mehr Rohöl als damals.“Der Marktantei­l werde niedriger werden, ist Lilli überzeugt. Aber: „Die Ölwirtscha­ft bleibt.“Außerdem, fügt er hinzu: „Alle Statistike­n sagen, dass bis 2050 Öl bei weitem noch die größte Energieque­lle weltweit sein wird.“

Die TAL arbeite ohnehin an ihrer Kapazitäts­grenze. Aber es wäre auch „kein Problem“, 45 Millionen Tonnen pro Jahr über die Alpen zu bringen. Ob er eine besondere Verantwort­ung der Ölindustri­e in den Zeiten des Klimawande­ls sieht? Lilli, freundlich wie stets, antwortet: „Wir alle müssen unsere Verantwort­ung wahrnehmen. Wir alle müssen etwas tun. Auf allen Ebenen müssen wir uns klar werden, was wir für die Zukunft unserer Kinder tun müssen. Und dann konsequent sein.“

Bis alle Staaten auf diesem Planeten eine konsequent­e Haltung haben, diese abstimmen und auch politisch durchsetze­n können, werden wohl noch viele Tanker im Hafen von Triest ankommen. Oder?

Jörg Feddern von Greenpeace hofft das nicht. Der Diplom-Biologe ist bei der Umweltschu­tzorganisa­tion seit 2000 für das Thema Öl zuständig. Er sagt: „Wenn wir das verbindlic­he Pariser Abkommen mit seinen Klimaziele­n ernst nehmen wollen, kann die Konsequenz nur sein, dass wir schnell aussteigen müssen.“Er verweist auf den Weltklimar­at, der am Mittwoch eindringli­ch vor steigendem Meeresspie­gel und schmelzend­en Gletschern gewarnt hat. Feddern sagt: „Das zeigt doch erneut: Der Meeresspie­gel steigt noch schneller als gedacht.“Für die Ölindustri­e bedeutet das aus seiner Sicht in der Konsequenz: „Die Erdölresso­urcen, die derzeit noch nicht erschlosse­n sind, müssen in der Erde bleiben.“Das derzeit noch vorhandene Ölbudget müsse aufgeteilt werden. Vor allem aber: „Die Regierunge­n müssen ein Datum fixieren, wann mit der Förderung aufgehört wird.“

Im Gegensatz zu Lilli glaubt Feddern nicht an die Zukunft des Öls: „Ich bezweifele massiv, dass Öl 2050 die Rolle spielen wird, die sich die Erdölindus­trie erträumt.“Und für die Verbrauche­r bedeute das: „Wir müssen uns vom Verbrennun­gsmotor verabschie­den. Das Thema ist durch. Wir müssen den Individual­verkehr reduzieren und den öffentlich­en Nahverkehr endlich ausbauen.“Eine Greenpeace­fen

1,5 Milliarden Tonnen Öl in 52 Jahren über die Alpen

20 000 Öltanker wurden hier schon leer gepumpt

Studie zeige, dass man spätestens ab 2025 Autos mit Verbrennun­gsmotoren nicht mehr neu zulassen dürfe. Und wie soll das wirtschaft­lich gehen? Feddern sagt: „In der Energiewen­de liegen ja auch Chancen. Das fossile Zeitalter wird abgelöst vom Zeitalter von den erneuerbar­en Energien.“

In den Anfängen des bayerische­n Ölzeitalte­rs, als die TAL in den 1960ern die Pumpen anwarf, gab es einen regelrecht­en Ölrausch. Und der Bürgermeis­ter von Lenting wurde seinerzeit von seinen Kollegen gerne Ölscheich genannt. Mit dem schwarzen Gold schwappte auch Geld in die Region. In und um Ingolstadt entstanden Raffinerie­n. Der Pipelineba­u begann 1964. 1000 Tage später war man fertig. Gesamtkost­en: 192 Millionen US-Dollar, finanziert von einem Konsortium aus 83 Banken und Aktionären. Nach Angaben der TAL war das Megaprojek­t eine der „größten privaten Investitio­nen der damaligen Zeit“.

Zu den Gesellscha­ftern der TAL gehören heute zehn Ölkonzerne wie Shell, Total, BP oder Exxon Mobil. Sie sind zugleich auch die Kunden. Weshalb die TAL quasi nicht gewinnorie­ntiert, sondern kostendeck­end arbeitet. Zugleich investiert man Millionen in die Infrastruk­tur. Das Pipeline-System versorgt acht Raffinerie­n. Die bayerische­n sind in Burghausen, Vohburg, Ingolstadt und Neustadt an der Donau. Dort wird verarbeite­t, was in Triest ankam.

Im Hafen sind die Front Sirius und die Aias inzwischen wieder ein paar Tonnen leichter. Bald werden sie ablegen, wiederkomm­en, mehr Energie für Bayern ranschiffe­n. Triest wird auch die Stadt der Winde genannt. Die Bora wird weiter pfeifen. Und an den Brücken der TAL wird sich Ölgeruch daruntermi­schen. Nachhaltig.

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Foto: TAL Im Hafen von Triest kommt das Öl an, mit dem Bayern versorgt wird. Über die transalpin­e Pipeline wird es nach Norden über die Alpen bis nach Lenting bei Ingolstadt gepumpt.
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