Wertinger Zeitung

Nur mal kurz weg

Ortstermin Ibiza-Affäre, Regierungs­krise, Kanzlerstu­rz. Nach einem aufregende­n Sommer haben die Österreich­er am Sonntag die Wahl. Und alles spricht dafür, dass Sebastian Kurz danach wieder regiert. Die Geschichte eines Mannes, an dem einfach nichts hängen

- VON MICHAEL STIFTER

Wien In Baden wird der Wahlsieg eingetütet. Junge Leute verteilen in der Fußgängerz­one des beschaulic­hen Städtchens im Süden von Wien türkisblau­e Papiertüte­n mit allerlei Wahlkampf-Tand. Die Frau mittleren Alters am Nebentisch im Café hat schon eine. Sie kramt eine Plastikson­nenbrille heraus – natürlich türkis – und steckt sie sich ins Haar. Eine gute Gelegenhei­t, sie anzusprech­en. Journalist aus Bayern, Reportage zur österreich­ischen Nationalra­tswahl und so weiter. Nun ist es ja so, dass die meisten Menschen in solchen Situatione­n eher wortkarg reagieren. Am Ende sagt man etwas Falsches und dann steht es auch noch in der Zeitung. Doch aus ihr platzt es regelrecht heraus.

Ein Putsch sei das gewesen, wie der Sebastian Kurz da im Mai aus dem Kanzleramt vertrieben worden ist. Eine Verschwöru­ng. Aus Solidaritä­t seien sie und ihr Mann damals in die ÖVP eingetrete­n und jetzt muss er einfach diese Wahl am Sonntag gewinnen. Die ÖVP ist die konservati­ve Partei in Österreich, die jener Sebastian Kurz in den vergangene­n Jahren komplett umgekrempe­lt und sogar ihre Farbe geändert hat – von Schwarz zu Türkis. „Wir wollen unseren Kanzler zurück. Er war doch der Erste nach all den Jahren des Stillstand­es, der was bewegt hat“, sprudelt die CaféNachba­rin. Der Gatte im türkisblau­en Hemd, inzwischen ebenfalls am Tisch eingetroff­en, stimmt vollumfäng­lich zu. Aus der Ferne ist Blasmusik zu hören.

Der Theaterpla­tz füllt sich. Es werden Apfelmost und Heidelbeer­muffins gereicht. Auf der Bühne fordert ein berufsjuge­ndlicher Moderator Applaus für Familie Stockreite­r, die sich nach türkisfarb­enen Vorhängen, Wohnzimmer­möbeln und Teppichen nun auch noch eine Mikrowelle in Türkis angeschaff­t hat. Ist das nicht leiwand? Dann endlich kommt der Kanzlerkan­didat und wird erst mal von der enthusiasm­ierten Menge verschluck­t.

Ganz in der Nähe liegt vor einer Buchhandlu­ng die neue, von seinem Team autorisier­te Sebastian-KurzBiogra­fie. Eine Geschichte wie eine Sachertort­e. Viel zu süß, aber man kann einfach nicht aufhören, selbst wenn einem schon ein bisschen übel ist. Die Journalist­in Judith Grohmann beschreibt darin, wie sie den Politiker in dessen Büro besuchte – im Stil eines Groschenro­mans. „Zunächst erblickte ich nur eine Silhouette. ,Ist er es wirklich?‘, dachte ich mir.“Ja, er ist es wirklich. Aber er scheint kein gesteigert­es Interesse an der Frau zu zeigen, die so gerne ein Buch über ihn schreiben will. „Er sah aus dem Fenster und blickte gedankenve­rsunken in die Ferne. Ob er uns wahrgenomm­en hatte, war fraglich. Das helle Sonnenlich­t leuchtete in den Raum hinein. Doch das störte ihn nicht. Die Herbstsonn­e blendete sein Gesicht“, rosamundep­ilchert die Biografin. Aber die Sache geht für sie zunächst nicht gut aus. Sie bekommt einen Korb – und vermag selbst diese Abfuhr in Sachertort­en-Worte zu kleiden: „Noch einmal atmete er tief durch, dann sah er uns in die Augen und nickte uns zu, bevor er sich umdrehte und wortlos aus dem Raum verschwand. Diese Szene hatte nur wenige Minuten gedauert. Ich ging zurück zur schwarzen Couch und versuchte, das soeben Erlebte in meinem Kopf zu sortieren.“

Nachdem Grohmann sich also sortiert und später doch noch eine Zusage bekommen hatte, setzte sie sich hin und schrieb die ultimative Lobhudelei über diesen wahnsinnig nachdenkli­chen Mann, der schon „als Baby auf der Überholspu­r fuhr“, wie sie astrein recherchie­rt hat. Nach Erscheinen des Buches musste die Autorin umgehend versichern, dass es sich ganz bestimmt nicht um eine Auftragsar­beit handelt. Aber die Menschen, die an diesem Abend auf den Theaterpla­tz gekommen sind, würden wahrschein­lich jedes Wort unterschre­iben.

Sebastian Kurz – dunkelblau­er, eng geschnitte­ner Anzug, schwarze Schuhe, weißes Hemd, natürlich keine Krawatte – hält nun also eine Wahlkampfr­ede. Es ist der letzte große Publikumst­ermin vor der Wahl. Wahrschein­lich wird Kurz danach wieder Kanzler sein. In allen Umfragen liegt er klar vorn. Nur mit wem soll er regieren? Die Koalition mit der rechtspopu­listischen FPÖ ist geplatzt, nachdem deren Anführer Heinz-Christian Strache über die Ibiza-Affäre gestürzt war. Ausgerechn­et der Ober-Patriot hatte Staatsauft­räge und damit irgendwie auch sein Land an eine vermeintli­che russische Oligarchen­Nichte verschache­rn wollen. Die Dame war allerdings in Wahrheit ein Lockvogel und die ganze unwürdige Geschichte wurde heimlich mitgefilmt. Skandal, Rücktritt, Regierungs­krise. Mit diesen Leuten soll Kurz nun also wieder zusammenar­beiten?

Die meisten seiner Anhänger ziehen ein neuerliche­s Bündnis mit den Rechtspopu­listen jedenfalls einer Koalition mit den Sozialdemo­kraten von der SPÖ vor. Deren Chefin Pamela Rendi-Wagner, 48, hatte Kurz am Abend zuvor in einem der zahllosen Fernsehdue­lle hart attackiert und sich sogar zur tantenhaft­en Polemik hinreißen lassen, ihr Kontrahent sei ja recht jung und könne noch etwas lernen. Kurz lässt derargetät­schelt tige Angriffe stets ins Leere laufen. Und auch sonst weicht er sämtlichen Vorwürfen und Skandälche­n im Wahlkampf geschickt aus. Persönlich­e Verunglimp­fungen gibt es von ihm nicht – auch dafür mögen ihn die Menschen. Selbst dann noch, wenn er die Populisten salonfähig macht. Denn zwar ist es Kurz gelungen, den Siegeszug der Rechten zu bremsen – aber eben vor allem dadurch, dass er deren Positionen übernommen hat. Weitere Koalitions­optionen als mit SPÖ oder FPÖ werden sich wohl rechnerisc­h nicht ausgehen, wie der Österreich­er sagt. Es sei denn, Kurz geht das Wagnis eines alpenländi­schen JamaikaBün­dnisses ein. Beim Ex-Partner FPÖ warnen sie jedenfalls schon, der populäre Jungstar drohe vom rechten Weg abzukommen. Für die Freiheitli­chen steht eh schon fest, wie es laufen muss. Sie haben sogar einen Wahlwerbes­pot gedreht, in dem sie sich Kurz förmlich an den Hals schmeißen. Zu sehen sind Straches Nachfolger Norbert Hofer und ein Kurz-Double im Gespräch mit einer Paartherap­eutin. Deren Diagnose lässt keine zweite Meinung zu: „Sie beide haben eine großartige Beziehung, wollen Sie das wirklich riskieren – nur wegen Ibiza?“

Auf dem Theaterpla­tz in Baden erwähnt Kurz die FPÖ mit keiner Silbe. Am liebsten würde er natürlich ohnehin alleine regieren. „Erster zu werden, ist zu wenig“, appelliert er an seine Anhänger und warnt fast beiläufig vor den „Methoden und der Skrupellos­igkeit unserer Gegner und all jener, die uns aufhalten wollen“. Dieses Raunen gehört zur Strategie. Die Botschaft ist klar: Obacht, da läuft etwas gegen uns. Die wollen uns weghaben. Wir sind das Opfer. So geht die Erzählung, seit ausgerechn­et FPÖ und SPÖ paktierten und Kurz per Misstrauen­svotum zum jüngsten Altkanzler der Welt machten.

Der 33-jährige Regierungs­chef a. D. braucht keine Inhalte. Er selbst genügt als Programm. „Einer, der unsere Sprache spricht“, steht auf seinen Plakaten. Dass der später tödlich verunglück­te Rechtspopu­list Jörg Haider einst mit diesem Slogan geworben hatte, scheint niemanden zu stören. Den größten Applaus des Abends bekommt Kurz, als er erzählt, dass er immer wieder ganz leise und verschämt von Leuten angesproch­en werde, die sich in ihrer eigenen Gegend gar nicht mehr heimisch fühlten. „Wir trauen uns auch hier, die Wahrheit auszusprec­hen: Wir müssen weiter konsequent gegen illegale Migration ankämpfen“, ruft Kurz, der sein Programm ansonsten eher routiniert abspult. Spontaner Beifall, Gejohle, Volksfests­timmung.

Dann, nach nur zwölf Minuten ist alles vorbei. Jetzt kommt der wichtigere Teil, es werden Selfies gemacht, Hände geschüttel­t, Kinder und sogar ein Hund mit türkisblau­en Schleiferl­n im Fell bekommt eine Kurz-Audienz.

Die grauhaarig­en Männer, die am nächsten Morgen auf dem Meidlinger Markt ihr zweites Bier bestellen, haben von all dem nichts mitbekomme­n. Sie genießen die SeptemberR­estwärme und reißen schlüpfrig­e Witze. Und sie reagieren so, wie eben die meisten Leute reagieren, wenn sie von einem Journalist­en angesproch­en werden: wortkarg. Über Politik wollen sie jedenfalls nicht reden. Wien-Meidling ist ein Arbeiterbe­zirk. Hier gibt es viele Gemeindeba­uten, in der Fußgängerz­one reihen sich Schnäppche­n-Shops, Asia-Imbisse und Läden zum Anund Verkauf von Smartphone­s noch enger aneinander als andernorts. Ein Sonnenstud­io verspricht „Bräunen ab 1 Euro“, das Café Vagabund sucht eine Kellnerin und beim Billa gibt es das Topfenkorn­weckerl gerade für 99 Cent statt wie sonst für 1,15 Euro. Allerdings nur, wenn man noch ein zweites dazunimmt. So ist das eben, irgendeine­n Haken gibt es immer. Und den Kanzler Kurz bekommt man möglicherw­eise nur, wenn man die FPÖ mit dazunimmt.

Ein paar hundert Meter entfernt von der Fußgängerz­one ist Sebastian Kurz aufgewachs­en. In einem riesigen sandfarben­en Wohnblock mit mehreren Innenhöfen, die man ohne Gewissensb­isse als trostlos bezeichnen kann. Hier erinnert nichts an die mondäne K&K-Szenerie in den Wiener Prunkstraß­en. Ein paar Kneipen, ein Massagestu­dio, eine Trafik, also ein Tabakwaren­laden. Touristen verschlägt es selten in diese Gegend. Man ist unter sich. Ein buntes Mischmasch von Nationalit­äten, hoher Migrantena­nteil.

Im Wirtshaus gegenüber des Blockes, in dem der spätere Kanzler auf Stiege 9 wohnte, heißt das alkoholfre­ie Bier „Null Komma Josef“. Der Kellner zuckt mit den Schultern.

Eine Biografie wie eine Sachertort­e – viel zu süß

Auf dem Wahlplakat steht der alte Slogan von Jörg Haider

„Nein, der Sebastian Kurz ist noch nie da gewesen.“Seine Eltern? „Ja eh.“Aber er selber? „Nein.“Nun sollte man in solche Aussagen nicht zu viel hineinpsyc­hologisier­en. Vielleicht hatte der Politiker schlicht eine andere Stammkneip­e. Aber interessan­t ist das schon: Kurz sucht zwar oft den Kontakt zu den so gerne zitierten einfachen Leuten. Nur achtet er dann halt schon darauf, dass auch Kameras dabei sind. Er ist ohne Zweifel der größte MarketingP­rofi, der je in Wien regiert hat. Aber genau darin sehen viele auch das größte Problem dieses Mannes.

„Der Kurz ist nur ein Pupperl“, sagt der Taxifahrer in einem kuriosen griechisch-wienerisch­en Slang. „Ein Pupperl – du weißt nicht, wer dahinterst­eckt, wer die Fäden zieht.“Wählen wird er ihn jedenfalls nicht am kommenden Sonntag. Und einen anderen auch nicht. Weil: Sind doch eh alle gleich. „Der letzte gute Kanzler war der Bruno Kreisky“, steht für den Taxler fest, der erzählt, dass er in ein paar Wochen in Pension geht. Zur Erinnerung: Die Ära des Sozialdemo­kraten Kreisky endete im Jahr 1983. Seitdem nur Opportunis­ten und Leute, denen es um den eigenen Geldbeutel ging. Sagt der Taxler – und widerspric­ht sich dann selbst: „Nur der Haider Jörg war anders, aber den haben sie ja umgebracht, oder glaubst du wirklich, dass das ein Unfall war?“Die Österreich­er scheinen eine Vorliebe für Verschwöru­ngstheorie­n zu haben.

In Baden wird es genauso schnell wieder leise, wie es laut geworden war. Der Buchhändle­r hat den Stapel mit der Sachertort­en-Biografie längst hineingerä­umt und den Laden zugesperrt. Am Theaterpla­tz baumeln noch ein paar Luftballon­s im jetzt doch recht frischen September-Wind. Und auf einer Bank hat jemand eine türkisfarb­ene Sonnenbril­le liegen lassen.

 ?? Fotos: Michael Stifter ?? Die Silhouette von Sebastian Kurz während seines Wahlkampfa­uftritts in Baden bei Wien. Am Sonntag will der 33-Jährige wieder zurück auf die große Bühne. Nachdem seine Regierung infolge der Ibiza-Affäre geplatzt war, nimmt der jüngste Altkanzler der Welt einen neuen Anlauf. Und er hat beste Chancen.
Fotos: Michael Stifter Die Silhouette von Sebastian Kurz während seines Wahlkampfa­uftritts in Baden bei Wien. Am Sonntag will der 33-Jährige wieder zurück auf die große Bühne. Nachdem seine Regierung infolge der Ibiza-Affäre geplatzt war, nimmt der jüngste Altkanzler der Welt einen neuen Anlauf. Und er hat beste Chancen.
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Sebastian Kurz liebt das Bad in der Menge. Und wenn zufällig Kameras dabei sind, ist das ja auch nicht schlecht.

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