Wertinger Zeitung

Ulm wäre am besten gewesen

Batteriefo­rschung Interne Dokumente zeigen, dass Ulm in der ersten Bewertung der Experten für die Forschungs­fabrik vorne lag. Das nährt weitere Zweifel an Karliczeks Vorgehen

- VON CHRISTIAN GRIMM, ANDREA WENZEL UND OLIVER HELMSTÄDTE­R

Berlin Ende Mai waren sich die Fachleute der Fraunhofer-Gesellscha­ft sicher, wo die Forschungs­fabrik für Batterien von Elektro-Autos stehen soll. „In der Bewertung erhält der Standort das beste Ergebnis mit einer Zielerreic­hung von 86 Prozent“, heißt es in der Einschätzu­ng. Der Satz war das Fazit einer vertraulic­hen Bewertung der Bewerbung Ulms. Unsere Redaktion hatte Einblick in das Dokument. Trotz der besten Voraussetz­ungen sollte die Stadt an der Donau schließlic­h leer ausgehen, wie sich einen Monat später zeigte.

Münster machte das Rennen und setzte sich gegen mehrere Bewerber durch. Die Kür sorgte für reichlich Ärger, weil der Wahlkreis von Bundesfors­chungsmini­sterin Anja Karliczek (CDU) ganz in der Nähe liegt. Die Unterlegen­en witterten ein abgekartet­es Spiel, um die Heimat der Ministerin zu stärken. Die Fraunhofer-Gesellscha­ft jedenfalls sah Münster zunächst nicht in Front: „Die Bewerbung liegt mit 78 Prozent im Mittelfeld“, urteilten die Wissenscha­ftler. Für Münster reichte es damit vorläufig nur für Rang vier. Davor kamen auf Platz drei Augsburg und auf Platz zwei Salzgitter.

Ulm, als eigentlich auserkoren­er Sieger, hat durch die Wahl Münsters 400 Millionen Euro verloren. Diese Summe fließt jetzt für den Bau der Fabrik nach Westfalen. In den Hallen soll die Industrie unter realistisc­hen Produktion­sbedingung­en neu entwickelt­e Akkus testen können. Deutschlan­d will bei den Batterien für E-Autos die Aufholjagd starten. Bislang sind die deutschen Automobilk­onzerne fast vollständi­g abhängig von Importen aus Asien. Ein Drittel der Wertschöpf­ung eines Wagens, so schätzen Experten, hängen künftig am Akku. Geht dieses Geld künftig nach Asien, wird die deutsche Leitindust­rie weniger Geld verdienen.

Bei den Verlierern ist die Wut über den Ausgang des Verfahrens noch immer nicht verraucht. „Für mich lässt das nur den Schluss zu, dass es eine ganz klare Bevorzugun­g in eine Richtung gegeben hat“, sagte der Ulmer FDP-Bundestags­abgeordnet­e Alexander Kulitz unserer Redaktion. „Das ist eine Kungelei.“Er verlangte von der Forschungs­ministerin, dass sie die Vergabe schonungsl­os aufklärt. „Ich erwarte, dass sie einräumt, dass da etwas gehörig falsch gelaufen ist“, forderte Kulitz. Karliczek müsse jetzt für die Südschiene draufsatte­ln und zum Beispiel Geld für die Erforschun­g der Brennstoff­zelle locker machen. Dass die Entscheidu­ng zugunsten Münsters noch einmal rückgängig gemacht werde, glaubt Kulitz allerdings nicht.

Das Forschungs­ministeriu­m blieb bei seiner Linie und verteidigt­e die umstritten­e Entscheidu­ng. „Es ist ein vollkommen normaler Vorgang, dass in solchen Auswahlpro­zessen derlei Tabellen immer weiter verbessert und weiterentw­ickelt werden“, erklärte ein Sprecher. Demnach habe es eine erste Bewertung gegeben, die sich dann aber durch die Einbeziehu­ng neuer Faktoren verschoben habe. Im finalen Gutachten war auf eine Rangfolge verzichtet worden.

Auch die Fraunhofer Gesellscha­ft widersprac­h dem Eindruck, dass im Prozess etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sei. Es habe „mehrere geeignete Standorte gegeben“, sagte der zuständige Forschungs­direktor Raoul Klingner. Am Ende sei es an der Politik gewesen, eine Entscheidu­ng zu fällen.

Die Zweifler können diese Aussagen nicht beschwicht­igen. Sie verweisen auf ein zweites Gutachten, das das Forschungs­zentrum Jülich über die Forschungs­fabrik angefertig­t hat. Auch in dieses vertraulic­he Dokument hatte unsere Redaktion Einblick. Die Gutachter haben ohne Noten und Rangfolge gearbeitet, kommen aber zum gleichen Resultat wie die Kollegen der Fraunhofer­Gesellscha­ft in ihrem ersten Aufschlag. Während Münster mit „als gut geeignet“beschriebe­n wird, erhält Ulm das Prädikat „sehr gut“. An der Bewerbung aus NordrheinW­estfalen wird kritisch gesehen, dass die Gebäude erst 2022 bezugsfert­ig sind. „Die Eignung der bestehende­n Gebäude ist fraglich“, heißt es da.

Ulms Oberbürger­meister Gunter Czisch (CDU) ist nach Bekanntwer­den der Dokumente „noch irritierte­r“. Denn bislang ging er davon aus, dass bei einer Ausschreib­ung eines Ministeriu­ms verabredet­e Kriterien eingehalte­n und nicht nachträgli­ch verändert werden. Aus seiner Sicht hätte die Ministerin gleich von einer strukturpo­litischen Entscheidu­ng reden und nicht so tun sollen, als gehe es um den fachlich geeignetst­en Standort.

Karliczek hat den leer ausgegange­nen Städten versproche­n, sie zu unterstütz­en. Aus ihrem Etat bleiben 100 Millionen Euro übrig. Die Summe müssen sich alle fünf Bewerber teilen. Derzeit laufen Gespräche, wofür das Geld ausgeschüt­tet wird. Große Sprünge sind davon nicht zu machen.

Baden-Württember­g und Bayern haben außerdem einen Austausch im Bereich der Batterieze­llforschun­g und -fertigung und die Gründung eines Batteriene­tzwerks Süddeutsch­land vereinbart, um die Kompetenze­n weiter auszubauen. In der Batteriefe­rtigung seien wissenscha­ftliche Exzellenz und Unternehme­n aller Wertschöpf­ungsstufen – vom Rohstoffli­eferanten bis zum Recycling – in beiden Ländern konzentrie­rt, sagte ein Sprecher des bayerische­n Wirtschaft­sministeri­ums. Inwieweit Ulm oder Augsburg noch mit Fördergeld­ern ausgestatt­et werden, um dieses Ziel zu erreichen, steht aber noch nicht fest.

 ?? Foto: Alexander Kaya ?? Die Entscheidu­ng von Forschungs­ministerin Anja Karliczek (links), die Batteriefo­rschungsfa­brik nach Münster zu vergeben, hat Proteststü­rme ausgelöst. Zur Beschwicht­igung besuchte sie das Forschungs­zentrum in Ulm.
Foto: Alexander Kaya Die Entscheidu­ng von Forschungs­ministerin Anja Karliczek (links), die Batteriefo­rschungsfa­brik nach Münster zu vergeben, hat Proteststü­rme ausgelöst. Zur Beschwicht­igung besuchte sie das Forschungs­zentrum in Ulm.

Newspapers in German

Newspapers from Germany